Gelebte Theologie

Neue Käßmann-Biografie
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Margot Käßmann, das zeigt Birnstein einmal mehr, war und ist vielleicht so etwas wie ein Popstar der evangelischen Kirche.

Es gibt Biografien, die sich durch kritische Distanz auszeichnen. Andere leben von der Nähe zwischen Autor und beschriebener Person. Beide Zugänge haben ihre Berechtigung, allerdings sollten die Leserinnen und Leser wissen, auf welchen sie sich jeweils einlassen.

Im Falle der jetzt erschienenen Biografie über die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann ist die Sache klar - nicht nur für Insider, sondern für jeden, der es wissen will: Der Autor Uwe Birnstein, evangelischer Theologe und Publizist, ist, seit ihrem Ausscheiden aus dem Amt der Ratsvorsitzenden im Jahr 2010, Käßmanns persönlicher Berater. Die beiden verbindet ein vertrauensvolles Verhältnis. Kennengelernt haben sie sich bereits Mitte der Achtzigerjahre. Die wesentlichen Etappen der Lebensgeschichte Käßmanns, die das Buch von Uwe Birnstein entfaltet, sind in evangelischen Kreisen bekannt: Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags, Bischöfin der Hannoverschen Landeskirche, EKD-Ratsvorsitzende und zuletzt EKD-Botschafterin für das Reformationsjubiläum. Währenddessen: Ehe, vier Kinder, Krebserkrankung, Scheidung. Jetzt steht der vorgezogene Ruhestand an. Am 1. Juli soll er beginnen. Das Haus auf Usedom wartet bereits auf die junge Pensionärin.

Margot Käßmann, das zeigt Birnstein einmal mehr, war (und ist vielleicht noch immer) so etwas wie ein Popstar der evangelischen Kirche. Sie hat all das erlebt, was solche Menschen erleben: Höhen und Tiefen, in den Himmel gejubelt und mit Häme überschüttet zu werden. Letzeres, weil sie einen, nur einen einzigen wirklichen Fehler gemacht hat, einen Fehler, der so bekannt ist, dass man ihn hier nicht noch einmal benennen muss.

Dieser Fehler, der zum Rücktritt von ihrem Amt als Ratsvorsitzende führte, hat Margot Käßmann die schwersten Stunden ihres Lebens beschert, aber zugleich auch ihren größten Triumph. Denn sie hat ihre Schuld offen eingestanden. Sie hat sich nicht verbogen und sich nicht verbiegen lassen, so dass sie erhobenen Hauptes gehen konnte. Damit gewann sie auch den Respekt vieler Menschen, die ihr bis dahin kritisch gegenüber gestanden waren.

Vielleicht ist das überhaupt eine der großen Stärken der am 3. Juni 1958 als Tochter eines Kraftfahrzeugschlossers und einer Krankenschwester in Marburg geborenen Käßmann: ihr eigenständiges Denken, ihr Mut, die Wahrheit zu sagen - und damit auch mal anzuecken -, ihre Gradlinigkeit. Und zwar an vielen Stellen - innerkirchlich, in der Ökumene (vor allem in der Auseinandersetzung mit den orthodoxen Kirchen über die Rolle der Frauen) und in der Politik („Nichts ist gut in Afghanistan“).

Warum sie das konnte? Woher sie die Kraft nahm? Nach der Lektüre des Birnstein-Buches kann man nur vermuten, dass es auch mit ihrer Kindheit zu tun hat, in der sie erleben durfte, was Geborgenheit und Gottvertrauen bedeuten. Es war ein lebensnaher und fröhlicher Glaube, den ihr vor allem die Großmutter vermittelte. Der Theologe Heinz Zahrnt hat diese Art zu glauben so umschrieben: „Glaube ist das herzliche Vertrauen auf Gott als Antwort auf die Angst der Welt.“ Mit diesem Satz beendete Margot Käßmann ihre Predigt zur Einführung als Hannoversche Landesbischöfin. Sicher kein Zufall.

Es ist diese Art gelebter Theologie, die zwar von einem intellektuellen Fundament getragen ist, sich aber nicht intellektuell ausdrückt, welche Margot Käßmann so beliebt gemacht hat. Dass man durch die nun vorliegende Biografie mehr aus ihrem Privatleben sowie aus ihren Lehr- und Wanderjahren erfahren kann, dürfte ihre (vor allem weibliche) Fangemeinde erfreuen. Und es ist wohl nicht zu gewagt, zu behaupten, dass von Margot Käßmann noch zu hören sein wird.

Uwe Birnstein

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