Das dritte „Sch“

Samuel Scheidt ist wieder da
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Wer sie hört, kann sich der Suggestivkraft dieser wunderbaren, jahrhundertelang vergessenen Musik nicht entziehen.

Unter den drei großen „Sch“ in der deutschen Musik des 17. Jahrhunderts überstrahlt Heinrich Schütz die beiden anderen. Nicht nur, dass der schon zu Lebzeiten als „Vater unser deutschen Musik“ verehrte Dresdner Hofkapellmeister am längsten von allen dreien auf Erden wirkte - sagenhafte 87 Jahre von 1585 bis 1672 -, sondern überdies gehört sein Werk zu den Schätzen, die seit über einem Jahrhundert verlässlich gehoben und vermessen werden.

Da haben es die anderen „Schs“ schwerer: Johann Hermann Schein (1586 bis 1630) war ein deutlich kürzeres Leben als Schütz vergönnt, und im Chorwesen der Gegenwart kommen zumeist nur seine Motetten aus der unter dem Namen „Israelsbrünnlein“ bekannt gewordenen Sammlung zur Geltung. Noch schwerer hat es bis heute Samuel Scheidt (1587 bis 1654), das dritte „Sch“ im Bunde. Während Schein, der von 1616 bis zu seinem frühen Tod in Leipzig als Thomaskantor wirkte, in seinen Motetten eher dem italienischen Madrigalstil nacheiferte, ging Scheidt, der durch unglückliche Umstände zeitlebens nirgends länger eine auskömmliche Anstellung fand und schließlich in Halle ein Armenbegräbnis bekam, kompositorisch andere Wege. Ihm war es in seinen Vokalwerken mehr um das musikalisch-architektonische Moment und um eine konsequente kontrapunktische Setzweise als um unmittelbare Textausdeutung zu tun. Wer aber meint, Scheidts überlieferte Motetten über Psalmen und Choraltexte (zumeist von Martin Luther) seien deswegen spröde, täuscht sich sehr. Das Athesinus Consort Berlin entfaltet in seiner aktuellen Aufnahme eine tiefgründig intensive Klangschönheit, die mit reizvoller Sprachbetonung und lustvoll entfalteter wie gezähmter Dynamik gepaart ist, so dass sich der Hörer - einmal angefangen - der Suggestivkraft dieser wunderbaren, jahrhundertelang vergessenen Musik nicht entziehen kann.

Ihrer Kombinations- beziehungsweise Konfrontationsstrategie treu bleibend, haben Bresgott und seine Athesinüsse wie auch schon in der Vergangenheit moderne Chormusik von ihrem Hauskomponisten Frank Schwemmer (geboren 1961) eingeflochten, dem mit einer sechsteiligen Hoheliedmotette „Die Stimme meines Freundes“ für Violoncello und zehnstimmigen Chor von 2016 ein Meisterwerk gelungen ist, an dem man sich kaum satthören kann: Gezogene Sprache, Zischlaute und dabei eine Klanglichkeit, die sowohl in Sachen Dramatik und Harmonik Fesselndes und Reizvolles bietet. Summa: Diese CD ist eine Pioniertat, die hoffentlich eine Fortsetzung findet, denn noch schlummert genügend Scheidt in den Archiven und Frank Schwemmer scheint - so ist zu hören - vor Tatendrang zu sprühen. Na dann …

Reinhard Mawick

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