Die FIFA und der schnöde Mammon

Der Weltfußballverband schwimmt im Geld - mit verheerenden Folgen
Die Welt des Fußballs brennt - vor allem wegen überbauschender Korruption. Foto: akg-images/ M. Koeppel, „Es brennt“, 2006.
Die Welt des Fußballs brennt - vor allem wegen überbauschender Korruption. Foto: akg-images/ M. Koeppel, „Es brennt“, 2006.
Der frühere FIFA-Präsident Sepp Blatter, wegen Korruptionsvorwürfen zurückgetreten, hat die Macht seines Verbands so beschrieben: „Die FIFA ist durch die positiven Emotionen, die der Fußball auslöst, einflussreicher als jedes Land der Erde und jede Religion.“ Die Korruptionsgeschichte der FIFA ist endlos. Ein kurzer Überblick vom taz-Leibesübungen-Redakteur Johannes Kopp.

Die FIFA ist auf einem sehr guten Weg. Das hat deren Präsident Gianni Infantino Anfang des Jahres auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos verkündet. Im schweizerischen Kurort, wo sich alljährlich ein erlauchter Kreis aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft trifft, um drängende globale Fragen zu diskutieren, war auch der oberste Repräsentant des Fußballs geladen. Die Gespräche mit diversen Staatsoberhäuptern, so berichtete Infantino, hätten ihn in seiner Auffassung bestätigt, dass „das Vertrauen in unsere Organisation wiederhergestellt ist“. Und der Schweizer machte deutlich, dass die Welt ohnehin auf die Hilfe der FIFA kaum verzichten kann. Staatsmännisch sprach er von möglichen Kooperationen mit den G20 und der Afrikanischen Union und erläuterte: „Ziel ist es, den Fußball dabei zum Motor des Fortschritts zu machen, zu einem Werkzeug für Bildung und zu einem Unterstützer einer gesünderen Lebensweise. Denn in der modernen Gesellschaft kommt es mehr denn je auf die Werte des Fußballs an.“

Ein klarer Fall von Hybris

An Sendungsbewußtsein hat es den Führern des Fußballweltverbandes nie gemangelt - selbst wenn die schmutzigsten verbandseigenen Korruptionsskandale in den Nachrichtensendungen Spitzenplätze eroberten. Infantinos Vorgänger Sepp Blatter erklärte noch in den letzten Monaten seiner Amtszeit, als das Ansehen seines Vereins nahezu ruiniert war, geradezu trotzig: „Die FIFA ist durch die positiven Emotionen, die der Fußball auslöst, einflussreicher als jedes Land der Erde und jede Religion.“ Ein klarer Fall von Hybris, einerseits. Andererseits spiegelt dieses Selbstverständnis recht anschaulich die Grundlagen des Systems FIFA: Jeder noch so schmutzige Deal kann es mit den positiven Energien des Fußballs, von denen die FIFA profitiert, nicht aufnehmen. Aus dieser Gewissheit speist sich bis heute das Gefühl der eigenen Unantastbarkeit. So kann auch Infantino die FIFA als globalen Problemlöser inszenieren, während in New York sich jüngst etliche altgediente Funktionäre des Verbands für ein großes Geflecht von Korruptionsfällen verantworten mussten. Hochgradig kriminelle Machenschaften förderten die amerikanischen Ermittler in den vergangenen Jahren zu Tage. Die einstige US-Justizministerin Loretta Lynch verglich die FIFA in diesem Zusammenhang mit der Mafia.

Der Schweizer Jurist und Kriminologe Mark Pieth, der zwischen 2011 und 2013 vom um seinen guten Abgang besorgten Blatter damit beauftragt war, demokratische Strukturen in der FIFA zu verankern, stellte vor gut zwei Jahren frustriert fest: „Die FIFA ist wie der Vatikan - darüber gibt es nur noch den Himmel.“ Auch Infantino, der im Februar 2016 als selbst erklärter Erneuerer und Reformator das Präsidentenamt übernahm, ist jeglicher irdischer Kritik entrückt. Nach gerade einmal drei Monaten Amtszeit wurde unter seiner Regie eine Statutenveränderung veranlasst, welche die von Pieth implantierte Gewaltenteilung untergrub. Dem FIFA-Council, dem entscheidungsstärksten Gremium, wurde für ein Jahr die Möglichkeit eingeräumt, die Mitglieder des zentralen Kontrollorgans, der Ethikkommission, abzusetzen. Wenig später stellte die Ethikkommission Ermittlungen gegen Infantino ein, der sich mehrere Flüge von Dritten bezahlen ließ. Auch seine exorbitanten Gehaltsvorstellungen und seine von der FIFA finanzierte Matratze (ungefähr 9400 Euro) sorgten für Wirbel.

Die Ethik-Kommission hatte seit 2015 mehr als 70 FIFA-Funktionäre verurteilt und sich innerhalb des Verbands nicht gerade beliebt gemacht. Nach Spiegel-Informationen ermittelte sie im Frühjahr 2017 erneut gegen Infantino. Genaueres hat man nie erfahren, die beiden Ethik-Chefs Cornel Borbély und Hans-Joachim Eckert wurden kurz darauf, Anfang Mai, auf dem FIFA-Kongress in Bahrains Hauptstadt Manama durch den FIFA-Rat entmachtet.

Borbély beklagte damals, dies werde den Aufklärungsprozess angesichts noch hunderter unbearbeiteter Fälle weiter verlangsamen. Bemerkenswert war die Replik von Infantino. Die große Zahl der unbearbeiteten Fälle sei traurig. Hoffentlich werde das nun mit dem neuen Personal besser. Im Rückblick war das gewiss bislang das Husarenstück seiner Amtszeit: Die von ihm orchestrierte Entmachtung der ihm und vielen Weggefährten gefährlich gewordenen Kontrolleure garniert mit einer Kritik an deren mangelnder Kontrollkompetenz. Gianni Infantino hat sich längst seine eigene Wirklichkeit geschaffen ähnlich wie Blatter oder US-Präsident Donald Trump. Dessen Lieblingswort hat sich auch in seinen Sprachgebrauch eingeschlichen. „Viele Fake News und alternative Fakten“, wetterte Infantino nach dem Personalaustausch in der Ethikkommission, seien über den Weltverband im Umlauf. In gewissen Ländern sei das FIFA-Bashing zum Volkssport geworden.

Unter seinen Funktionärskollegen in der FIFA und auf den Empfängen mit Staatsoberhäuptern ist Infantino ganz Anderes gewöhnt. Die Regierungschef vom WM-Bewerbern lassen sich nicht lumpen, um das größte Sportevent in ihr Land zu holen. Dass die FIFA ihre WM-Gewinne jeweils steuerfrei abführen kann, ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Bei der letzten Weltmeisterschaft in Brasilien 2014 waren das immerhin 3,3 Milliarden Euro. Und die FIFA-Funktionäre der 207 Mitgliedsverbände zeigen sich dankbar für die seit Jahrzehnten steigenden Zuwendungen aus dem Haushalt des Weltverbandes. Inbesondere das Geschäft mit den TV- und Vermarktungsrechten hat den Fußball zu einer Goldgrube werden lassen. In der Ära Blatter stieg der Umsatz der FIFA innerhalb von 16 Jahren von 282 Millionen auf 2,1 Milliarden Euro. Begünstigend für die Bilanzen kommt hinzu, dass der Weltverband mit Sitz in Zürich nicht wie ein gewinnorientiertes Unternehmen, sondern wie ein gemeinnütziger Kegelverein besteuert wird. Währenddessen hat die Kommerzialisierung der WM-Turniere fast schon totalitäre Züge angenommen. Beim Einlass werden etwa selbst bei Journalisten die Etiketten der Wasserflaschen entfernt, wenn die Herstellerfirma kein FIFA-Partner ist.

Jedes Land hat eine Stimme

Der Rubel wird auch im Sommer bei der WM in Russland kräftig rollen. Und danach sollen die Renditen durch noch mehr TV- und Vermarktungserlöse bald noch höher ausfallen. Für die WM 2026 ist die Aufstockung des Teilnehmerfelds von 32 auf 48 Teams bereits beschlossene Sache. Das Versprechen der Erweiterung und der höheren jährlichen Zuwendungen an die Nationalverbände haben Infantino erst ins Amt verholfen. Mit dem neuen Finanzprogramm erhält nun jeder Nationalverband etwa vier Millionen Euro in vier Jahren, zuvor waren es im gleichen Zeitraum 1,3 Millionen.

Die enorme Bedeutung, die noch dem kleinsten Mitgliedsverband zukommt, hat das System FIFA so anfällig für Bestechlichkeit gemacht. Jedes Land hat eine Stimme, sprich die Entscheidungen von Gibraltar, dem Südsudan und den Komoren haben genauso viel Gewicht wie die von Russland, Deutschland oder Brasilien. Und die Führung des Weltverbands konnte sich immer elegant aus der Verantwortung stehlen. Sepp Blatter etwa argumentierte stets, wieso der Verband für die Verfehlung einzelner Verantwortung tragen müsse. Was der Schweizer von den Schmiergeldzahlungen der Marketingfirma ISL wusste, die schon von 1989 an gut 118 Millionen Euro an - auch Blatter sehr vertraute - FIFA-Funktionäre überwies, um TV- und Vermarktungsrechte zu erhalten, beschäftigt noch heute US-Ermittler.

Aus der Verantwortung stehlen würde sich derzeit die FIFA-Führung unter Gianni Infantino gewiss auch gern. Die Schäden des Erdbebens, das die US-Justizermittlungen gegen führende Fußballfunktionäre des Weltverbands ausgelöst hat, sind noch nicht überschaubar - zumal es auch um zukunftsweisende Fragen geht wie die Vergabe der WM 2022 nach Katar. Beim Prozess in New York hat Alejandro Burzaco, Chef einer argentinischen Sportmarketingfirma, im Zeugenstand unter Eid bereits ausgesagt, die drei ehemaligen südamerikanischen FIFA-Exekutivmitglieder Julio Grondona, Ricardo Teixeira und Nicolás Leoz hätten für ihre Katar-Stimmen mindestens je eine Million Dollar erhalten. Schon der FIFA-interne Garcia-Bericht lieferte Indizien dafür, dass die WM 2022 in Katar gekauft wurde. Und wer mag denn schon glauben, dass damals bei der Doppelvergabe der WM an Katar und Russland, in einem Fall geschmiert wurde, im anderen aber nicht?

Zu den kompromittierenden Zeugenaussagen vor dem Gericht in New York hat die FIFA bislang jegliche öffentliche Stellungnahme gemieden. Es liegt aber auf der Hand, dass der Weltverband an diesen Geschichten so wenig wie möglich rühren möchte. Das offizielle Eingeständnis eines Stimmenkaufs bei der Vergabe des Turniers von 2022, würde dazu führen, dass Katar als WM-Gastgeber nicht mehr vermittelbar wäre. Für die FIFA würde das ein finanzielles Fiasko bedeuten, die zu erwartenden Schadensersatzforderungen aus Katar könnten das großzügige Geldverteilungssystem des Verbandes empfindlich stören. Zum anderen aber werfen die Ereignisse von New York ein denkbar schlechtes Licht auf die eigene Organisation. Das Bild der Mafiaorganisation bekam bei den Prozesstagen in Brooklyn mitunter gespenstisch konkrete Gestalt.

Der argentinische Rechtsanwalt Jorge Delhon warf sich in der Nähe von Buenos Aires vor einen Zug, nachdem sein Name im New Yorker Gerichtssaal erstmals genannt wurde. Und auch der im Verfahren eine Rolle spielende Alfredo Lagos, Vizepräsident des mexikanischen Medienunternehmens Televisa, kam während des Prozesses ums Leben. Er wurde beim Fahrradfahren mit seinen Bodyguards erschossen. Der Kronzeuge Burzaco berichtete ebenfalls von Todesdrohungen. Von der Glaubwürdigkeit seiner Aussagen konnten sich die Beobachter vor Gericht selbst überzeugen. Während seiner Aussage im Justizgebäude fuhr sich der Angeklagte Manuel Burga, einst Fußballchef von Peru, mit zwei Fingern quer über den Hals - eine Halsabschneidergeste. Die Richterin wertete dies als Einschüchterungsversuch und verschärfte danach die Haftbedingungen von Burga. Aus Mangel an Beweisen wurde er jedoch freigesprochen. Den Gerichtssaal verließ er mit den Worten: „Gott segne Amerika.“

Die jüngsten Enthüllungen haben der FIFA zwar wieder jede Menge schlechte Schlagzeilen eingebracht, die Begeisterung am Produkt Fußball aber ist ungebrochen. Gerade aus Südamerika kamen bislang die meisten Kartenbestellungen für die Fußball-WM im Sommer in Russland - vom Gastgeber natürlich abgesehen. Eine derartige Resonanz stärkt das Gefühl der eigenen Unantastbarkeit. Von Ethikkommissionen oder Gerichten lassen sich führende FIFA-Funktionäre nach wie vor nicht so leicht aus der Balance bringen. Dem eigenen Selbstverständnis nach handelt man im Auftrag einer höheren Macht. Mit Unverständnis reagierte Gianni Infantino deshalb auch auf die Debatte über seine 9400 Euro teure Matratze. Gegenüber der Schweizer Boulevardzeitung Blick klagte er: „Der Preis meiner Matratze war ja plötzlich wichtiger als all meine Reformpläne. Das ist eigentlich absurd.“ Nutzen kann der FIFA-Präsident seine edle Schlafstätte sowieso nur selten. Er ist viel unterwegs, um die Geschäfte des Fußballs am Laufen zu halten. Für einen Werbefilm demonstrierte Infantino jüngst das prächtige Zusammenspiel mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Im Kreml jonglierten sich die beiden Machthaber den Ball zu. Und die FIFA präsentierte das Video auf seiner Website mit den Worten: „Manche Leute können die größte Show der Welt kaum noch erwarten.“

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Johannes Kopp

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