War es eine Strafe Gottes?

Stefanie Desamours untersucht, wie auf Haiti Naturkatastrophen theologisch gedeutet werden
Foto: Andreas Schoelzel
Foto: Andreas Schoelzel
Beim Erdbeben des Jahres 2010 wurden in Haiti bis zu 300.000 Menschen getötet. Stefanie Desamours hat religiöse Führer gefragt, welchen Sinn sie in dieser Katastrophe sehen.

Ich bin 1983 in Wernigerode im Harz, in der früheren DDR, geboren und komme aus keiner religiös geprägten Familie. Religion spielte in meiner Kindheit überhaupt keine Rolle, getauft wurde ich nicht. Ich erinnere mich noch an meine Ethik- und Sozialkunde-Lehrerin in der Schule, die einmal gesagt hat, sie sei Hardcore-Atheistin - aber jeder sollte eine Bibel zuhause haben. Wir hatten keine daheim. Nur meine Oma hatte eine, die hat sie mir vermacht.

Trotzdem habe ich zum christlichen Glauben gefunden. In Büchern habe ich über andere Religionen gelesen, aber das leuchtete mir alles nicht ein. An der Uni und in meiner WG in Magdeburg waren Leute, die einen christlichen Hintergrund hatten. Da fing ich an zu fragen. Bis zu der Erkenntnis: Es gibt Gott. Das mit Jesus Christus ist kein Schmarrn. Es ist sinnvoll.

Erst als Erwachsene, mit 21 Jahren, ließ ich mich taufen. Es war der Endpunkt einer Lebenskrise nach meinem Auszug von Zuhause. Es kamen Fragen auf nach dem Sinn und dem Warum meines Lebens. Nach etwa einem Jahr, einem Prozess, habe ich erlebt, dass Gott mir begegnet ist. Es war eine Bibelstelle, Johannes 12,25, mit der ich nicht klar gekommen bin: „Wer sein Leben lieb hat, der verliert es; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird’s bewahren zum ewigen Leben.“ Schließlich habe ich die Stelle verstanden, es war ein Aha-Moment. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen - dann habe ich mir gesagt: Wenn ich jetzt an meinem Leben festhalte und es nicht Gott gebe, dann verliere ich es.

Ich habe mein erstes Studium von 2002 bis 2007 in Magdeburg absolviert und einen Magister in Soziologie, Psychologie und Pädagogik. Von 2007 bis 2012 habe ich an der Theologischen Hochschule Elstal Theologie studiert. Das ist bundesweit die Haupt-Ausbildungsstätte der Baptisten, westlich von Berlin gelegen.

Da meine Hochschule noch kein Promotionsrecht hat, promoviere ich an der Universität Potsdam im Fach Religionswissenschaft bei Johann Hafner. Für einen theologischen Doktor hätte ich, da ich kein Latein an der Schule hatte, noch drei Sprach-Abschlüsse machen müssen, in Latein, Griechisch und Hebräisch. Bei der Religionswissenschaft passt es für mich perfekt, da kommen meine beiden Studiengänge vor, da fügte sich plötzlich wieder etwas zusammen. Ich hatte schon in Soziologie meine Abschlussarbeit über die soziale Bewältigung von Naturkata-strophen geschrieben.

Seit 2012 lebe ich in Berlin, arbeite aber noch in Elstal. Bis Ende vergangenen Jahres war ich dort Wissenschaftliche Mitarbeiterin. Ich habe auch immer noch eine kleine Stelle im Bereich der Katastrophenhilfe. Seit 2011 haben meine Hochschule und der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland eine Kooperation mit Haiti. Dort gab es 2010 das schreckliche Erdbeben mit 250.000 bis 300.000 Toten. Ich habe im Rahmen meiner Stelle die Hilfsprojekte mit den Partnern in Haiti koordiniert und unter anderem Studierende aus Haiti betreut, die in Elstal einen Master in Freikirchlicher Diakonie gemacht haben.

In meiner Promotionsarbeit geht es darum: Wie deuten die Menschen in Haiti das Erdbeben von 2010? Dazu war ich ein halbes Jahr in Haiti und habe 21 Interviews geführt mit religiösen Leitern aus dem Voodoo, aus der katholischen Kirche und aus Baptisten-Gemeinden. Eine evangelikale Deutung war in Haiti und in den usa, die ja stark in Haiti involviert sind: Das Beben ist passiert, weil die Menschen zur Erlangung der Unabhängigkeit 1804 im Voodoo einen Pakt mit dem Teufel eingegangen seien. Ein Sprichwort sagt, dass etwa 70 Prozent der Menschen in Haiti katholisch sind, etwa 30 Prozent protestantisch - und zu 100 Prozent an Voodoo glauben. Vor allem im Bereich des katholischen Glaubens gibt es einen großen Synkretismus. Die meisten der etwa zehn Millionen Haitianer sind Nachkommen von westafrikanischen Sklaven, die ihren Voodoo-Glauben mitgebracht haben, aber katholisch zwangsgetauft wurden.

Die klassische religiöse Deutung einer Naturkatastrophe ist seit Jahrhunderten: Es ist eine Strafe Gottes für ein Fehlverhalten der Menschen. Deshalb wurde beispielsweise früher der Bau von Deichen gegen Sturmfluten abgelehnt, denn dann lasse man ja der Strafe Gottes keinen Raum mehr. Es wäre ein Eingreifen in die Souveränität Gottes. Das ist verboten. Nur Gebet und Buße sowie ein gottgefälliges Leben könnten Katastrophen verhindern. Später hat man das anders interpretiert: Keinen Deich zu bauen sei eine Sünde, denn die Naturkatastrophe bleibe zwar eine Strafe Gottes, aber man hätte die Anzahl der Opfer verringern können. Meine Frage in Haiti war: Welche Deutungsmuster haben die religiösen Leiter für die Erdbebenkatastrophen und wie hängen sie mit der Einstellung zu Präventionsmaßnahmen zusammmen?

Ein Ergebnis meiner Studie: Die Deutungen der Katastrophen durchmischen sich, und das Bild ist differenzierter, als es die laut propagierte Deutung als Strafe Gottes wegen Voodoo vermuten ließ. Manche der 21 religiösen Leitungspersonen sagten, die Naturkatastrophe sei eine Strafe Gottes - um später zu ergänzen: Aber eigentlich schlage die Natur zurück oder es ist auch menschliches Versagen im Spiel, weil nicht ordentlich gebaut wurde. Nur einige der katholischen Priester, die ich interviewt habe, sagten eindeutig : Nein, das ist nur ein Naturereignis, damit will uns Gott auch nichts sagen. Ich denke, das hat mit der vergleichsweise guten Ausbildung dieser Priester zu tun, die ja studiert haben, während beispielsweise manche Voodoo-Priester Analphabeten sind.

Die Interviews habe ich auf Französisch geführt, teilweise auf Kreolisch, aber dann mit einer Dolmetscherin. Bei der Auswertung muss ich auch die soziale Erwünschtheit berücksichtigen, dass mir vielleicht anderes in mein Mikrofon gesprochen wurde, als die Leute wirklich denken, etwa dass die Katastrophe vielleicht als Strafe wegen Voodoo interpretiert wird. Manche sagen das aber nicht, um nicht als hinterwäldlerisch da zu stehen. Viele Interviewte haben allerdings gesagt: Die Katastrophe ist schon wegen der Plattentektonik der Erde passiert - aber Gott will uns damit gleichwohl etwas mitteilen.

Ich hatte in Haiti viele Freunde und Bekannte, die mir durch ihre Kontakte Interviewpartner vermittelt haben. Aber bis es manchmal zu einem Interview kam, war es schon ab und zu frustrierend, auch weil man in Haiti nicht wirklich Nein sagt. Wenn das Interview dann aber stattfand, war es hoch spannend, weil ich das Gefühl hatte, die Leute lassen mich in ihren Kopf gucken, sie lassen mich an ihrem Denken teil haben.

Ich plane, 2019 oder 2020 mit der Promotion fertig zu werden. Eigentlich wollte ich schon 2017 zum Ende kommen, aber wegen meiner vielen Arbeit nebenher ging das nicht. Das Promotionsprojekt ist herausfordernd, aber es passt zu mir und meinem Anspruch. Es ist ein spannendes Thema, und ich finde es klasse, dass ich alles nutzen und verbinden kann, was ich in meinen Studien mal gelernt habe.

Ich bin nicht nur die Theoretikerin, sondern mag es auch, wenn ich den Transfer in die Praxis leisten kann. Insofern kann ich mir später eine Arbeit sowohl in der Entwicklungszusammenarbeit wie in der Wissenschaft vorstellen. Einen sehr wichtigen und schönen Aspekt hat meine Arbeit in Haiti noch: Ich habe meinen Mann dort auf dem Campus der Universität kennen gelernt. Vor drei Jahren haben wir geheiratet und leben nun seit zwei Jahren in Deutschland.

Aufgezeichnet von Philipp Gessler

Stefanie Desamours

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