Alles in einen Topf
MeToo“ schallte es in den letzten Monaten durch die Medien. Frauen und Männer klagten an, sexuell bedrängt, belästigt oder sogar vergewaltigt worden zu sein. Oftmals lagen die Ereignisse bereits Jahrzehnte zurück. Täter sind bekannte Stars, die teils schon zum Zeitpunkt des Geschehens berühmt waren, teils seinerzeit noch unbekannt und jetzt als Prominente von ihrem schändlichen Tun eingeholt werden. Zu lesen ist von Verschwiegenheitskartellen. Davon, dass doch eigentlich in der Branche bekannt gewesen sei, dass die Besetzungscouch wortwörtlich zu verstehen ist oder dass sexuelle Übergriffe scheinbar zum Gewohnheitsrecht von Stars gehören.
Um eines vorab klarzustellen, sexuelle Ausbeutung, Übergriffe und das Ausnutzen von Abhängigkeit sind kein Kavaliersdelikt. Da gibt es nichts zu beschönigen oder zu verharmlosen. Dort, wo eine strafbare Handlung begangen wurde, muss die Tat durch Gerichte geahndet werden. Der Kulturbereich muss dieses Thema endlich beherzt aufgreifen. Offenbar herrscht im Kultur- und Medienbereich ein Klima der Angst, das solche Übergriffe ermöglichte und verhindert hat, dass sich die Betroffenen dagegen zu Wehr setzen. Es scheint zumindest teilweise die Devise zu gelten, dass künstlerische Genies nicht mit den üblichen Maßstäben bewertet werden dürfen. Offenbar gibt es darüber hinaus in einigen künstlerischen Branchen einen solchen ökonomischen Druck, dass es als notwendig erachtet wird, seinen Körper zu verkaufen. Hiergegen ist entschieden einzutreten.
Dennoch gilt es, Besonderheiten im Kunstbetrieb zu beachten. Kunst zu machen, ist ein intimer Akt. Kunst ist oftmals körperlich. Kunst machen verlangt nicht selten, nicht nur auf der Bühne, dem Filmset oder dem Atelier, Berührung und Intensität. Kunst hat auch eine erotische Ausstrahlung, die durch die handelnden Personen, die Künstlerinnen und Künstler entsteht.
Neben den genannten Fragestellungen wird in den Kontext „#MeToo-Debatte“ noch eine weitere Frage eingeordnet, die dort überhaupt nichts zu suchen hat, nämlich die Darstellung von Frauen in der Kunst. In Berlin wurde vom Hochschulrat der Alice-Salomon-Hochschule gerade beschlossen, das Gedicht „avenidas“ von Eugen Gomringer von einer Gebäudewand zu entfernen, weil es als frauenfeindlich eingestuft wird und sich Frauen von ihm belästigt fühlen. In der Göttinger Universitätsmensa wurde eine Ausstellung von Werken einer Künstlerin abgehängt, die als zu freizügig erachtet wurde. Viele Beispiele ließen sich noch anführen.
Kunst lebt von Erotik. Die entscheidenden künstlerischen Themen sind Liebe und Erotik, Tod und Vergehen. Die Urtriebe Thanatos und Eros sind nicht erst seit Freud wesentlicher Bestandteil der Künste. Im „Hohelied der Liebe“ der Hebräischen Bibel wird nicht nur die geistige, sondern auch die leibliche Liebe gerühmt. Plastiken aus der Ur- und Frühgeschichte haben vielfach eine erotische Konnotation, geht es doch um Fruchtbarkeit. Eindeutige sexuelle Darstellungen zieren antike Vasen. Antike Schriftsteller sind nicht gerade zimperlich, wenn es um die Darstellung der körperlichen Liebe geht – und keineswegs nur zwischen Mann und Frau. Kunst, egal welcher Gattung auch immer, ist das genaue Gegenteil von Prüderie. In der Kunst werden Sehnsüchte und auch Lüste sublimiert. Genau darum werden unsere Sinne angesprochen.
Dass es dabei Grenzen gibt, was ausschließlich Erwachsenen zugemutet werden kann und was frei zugänglich ist, versteht sich von selbst. Im Filmbereich ist die Altersklassifikation eine gut eingeübte Praxis, und auch in der Computerspielebranche hat sich das Instrument der freiwilligen Selbstkontrolle längst bewährt. Und für die ganz harten Fälle besteht die Möglichkeit der Indizierung. Ebenso selbstverständlich sind Kunstwerke von sexistischer Werbung zu unterscheiden, bei der vor allem der weibliche Körper zum Kauf von Konsumgütern animieren soll.
Die Freiheit der Kunst ist ein hohes Gut. Dafür einzutreten, heißt auch, sich für Kunst stark zu machen, die einem vielleicht selbst nicht gefällt, eventuell gar abstößt. Diese Freiheit wurde in Europa in langen Auseinandersetzungen errungen. Immer wieder neu dafür einzutreten, ist Aufgabe und Verpflichtung zugleich.
In der öffentlichen Diskussion kommt es darauf an, zu differenzieren und genau zu benennen, worum es geht. Die derzeitige Debatte leidet darunter, dass alles in einen Topf geworfen wird. Es ist ein Unterschied, ob jemand seine Position missbraucht, um Frauen oder Männer zu sexuellen Handlungen zu zwingen, oder ob Frauen oder Männer in erotischen Posen dargestellt werden.
Das Überschießen der Diskussion und Infragestellen der Kunstfreiheit erweist dem entscheidenden Ziel der Debatte einen Bärendienst – nämlich entschieden gegen sexuelle Übergriffe in der Kunstwelt vorzugehen. Eine Differenzierung der Diskussion ist dringend erforderlich.
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Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates.
Olaf Zimmermann
Olaf Zimmermann
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates e.V. .