Schutzmacht für jüdisches Leben?
Josef Schusters Tonfall bleibt freundlich, auch wenn er auf unangenehme Themen zu sprechen kommt. Nach Antisemitismus in der AfD gefragt, antwortet der Vorsitzende des Zentralrats der Juden grundsätzlich: „Der Grund unseres Protestes ist der Umgang der AfD mit Minderheiten.“ Jetzt, sagt er, gibt es in der AfD Vorbehalte gegen Muslime. Doch wäre das Thema Muslime nicht mehr interessant, könnte es sehr wohl andere Minderheiten treffen, „dazu zähle ich auch Juden.“ Und er fügt hinzu: „Eine klare Trennung der AfD von rechtsextremen Kreisen ist noch nicht erfolgt.“ Manche Funktionäre und Mitglieder hätten sich zuvor für rechtsextreme Gruppen wie die NPD engagiert - da also, wo auch antisemitische Vorurteile zuhause sind. Schuster weiß, dass die AfD gezielt um die Unterstützung durch Juden geworben hat, mitunter erfolgreich, vor allem bei Spätaussiedlern aus den Ländern der früheren Sowjetunion. „Aber das erklärt für mich nicht, wie sich die AfD als Freund der Juden darstellen will“, sagt er, immer noch freundlich, aber entschieden. Der Zentralrat hatte seine Gemeinden schon 2016 davor gewarnt, „sich von einer antimuslimischen, hetzerischen Rhetorik der AfD umgarnen zu lassen“. Zum Umgang mit Minderheiten lieferte die Partei gleich zum Jahresanfang ein unglaubliches Beispiel. Der Dresdner Richter Jens Maier, der für die AfD im Bundestag sitzt, bezeichnete Noah Becker, den Sohn der Tennislegende Boris Becker, in einem Tweet als „kleinen Halbneger“, als der über Diskriminierung wegen seiner dunklen Hautfarbe berichtete. Erst nach großem Druck kündigte Maier eine Entschuldigung an. Becker reagierte mit einer Anzeige, nachdem Maier die Frist für eine Unterlassungerklärung verstreichen ließ.
Wie viel Antisemitismus ist in der AfD zuhause? Die Frage zu stellen ist heikel. Journalisten, die darüber schreiben, wird zugleich der Abschluss einer Berufshaftpflicht gegen mögliche Klagen empfohlen: Bei diesem Thema ziehe die Partei gern vor Gericht. Offenbar trifft es sie ins Mark.
Sorge ums Vaterland
Und sie reagiert heftig. Peter Fischer, der Präsident des Fußballklubs Eintracht Frankfurt, grenzte sich Ende Dezember 2017 gegen die AfD ab und attestierte ihr rassistische Positionen. Er fügte hinzu: „Wir als Eintracht Frankfurt sind als Gegner der Antisemiten bekannt.“ Sofort wiesen Robert Lambrou und Klaus Herrmann, die Sprecher der hessischen AfD, einen Antisemitismusverdacht gegen die Partei als haltlos zurück und sahen Fischer im demokratischen Abseits.
Doch als Sharon Fehr, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Münster, die AfD-Politikerinnen Alice Weidel und Beatrix von Storch wegen Äußerungen kritisierte, die Weidel eine Anzeige wegen Volksverhetzung einbrachten, da wurde die AfD-Ratsgruppe der Stadt deutlich und schrieb an Fehr: „Es wäre wahrscheinlich zu viel verlangt, von Ihnen zu erwarten, dass Sie die große Sorge um unser deutsches Vaterland mit uns teilen.“ Das kann man so lesen: Sie als Jude können ja nur ein halber Patriot sein.
Alice Weidel, die sich mit Alexander Gauland den Vorsitz der AfD-Bundestagsfraktion teilt, ging im Magazin Focus schon kurz vor Weihnachten zum Gegenangriff gegen Schuster und den Zentralrat der Juden über, mit der Strategie, die die AfD auch gegen die Kritik aus den Kirchen anwendet: „Dass der Zentralrat der Juden in Deutschland gegen die AfD zum Angriff bläst, löst in weiten Teilen der jüdischen Gemeinde Befremden aus.“ Tatsächlich hätten viele erkannt, „dass die AfD die einzige Schutzmacht für jüdisches Leben in Deutschland ist“. Wie das? „Weil wir als einzige Partei das Problem klar benennen, dass wir vor allem islamischen Antisemitismus in unserem Land haben und diesen im großen Stil zusätzlich importieren.“
Die AfD als einzige Schutzmacht der Juden in Deutschland? Es fällt auf, dass Alice Weidel nach ihrem starken Satz möglichst schnell vom Thema ablenkte und auf den islamischen Antisemitismus zu sprechen kommen wollte. Und einen Alleinvertretungsanspruch erhebt, den die Partei gern formuliert: beim Schutz der Bürger, bei der Ehrlichkeit in der Politik, bei der Verteidigung des Abendlandes und bei christlichen Werten. Bei Kritikern nährt sie damit den Verdacht, den auch Josef Schuster anspricht: Dass die Nähe der AfD zu Juden eine strategische Behauptung ist, weil sie sich damit gegen den Islam positionieren kann. Denn Alice Weidel und ihrer Partei kommt nicht ein einziger Satz zu den Gründen über die Lippen, warum und wie die AfD jüdisches Leben in Deutschland schützen will.
Wer ins Grundsatzprogramm und ins Bundestags-Wahlprogramm der Partei schaut, findet auch da keinen Satz zum Schutz jüdischen Lebens. Er findet aber unter dem Thema „Tierschutz“ ein Verbot des betäubungslosen Schlachtens, das für Juden religiöse Pflicht ist. Im Wahlprogramm wird die Forderung noch verschärft. Nicht nur das Schlachten, sondern auch die Einfuhr und der Handel des so gewonnenen Fleisches sowie die Werbung dafür sollen untersagt werden.
Ein Totalverbot für koscher geschlachtetes, „geschächtetes“ Fleisch träfe die jüdische Religionsausübung ins Herz und würde für viele Juden ein Leben in Deutschland unmöglich machen, statt es zu schützen. Wie kommt diese Forderung ins Programm? Weil es gegen alle Beteuerungen tatsächlich eine antisemitische Strömung in der Partei gibt? Oder weil wichtigen Teilen der Partei religiöse Sensibilität fehlt und ein Bewusstsein für Freiheit, besonders für die Freiheit des Glaubens, sodass ihnen entging, dass sie beim Kampf gegen den Islam auch dem Judentum den Boden der freien Religionsausübung unter den Füßen wegziehen? Noch auf dem Evangelischen Kirchentag im Mai 2017 rechtfertigte die damalige Vorsitzende der „Christen in der AfD“, die freikirchliche Christin Anette Schultner, das Schächtverbot, nachdem sie zugestanden hatte, dass es eine „extrem schwierige Frage“ darstelle: „Hätte ich das Programm allein schreiben können, hätte ich mich wohl gegen das Schächten entschieden, aber nicht mit gutem Gefühl.“ Denn sie habe eine „hohe Affinität zu Israel“. Schultner fügte hinzu: „Es gibt auch Fragen, da kann man nicht pauschal sagen: Das ist der reine Antisemitismus, sondern da kommen Leute zu anderen Lösungen.“ Vier Monate später, nach der Bundestagswahl, verließ sie die Partei wegen wachsender Radikalisierung.
„Das Schächtverbot war nicht durchdacht“, findet Volker Münz, der kirchenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion. Schächten sei ein schwieriges Thema. Er habe sich gegen die Debatte ausgesprochen. „Aber so ist Basisdemokratie - das haben Sie nicht immer in der Hand“, sagt er und erklärt, dass es um Tierschutz gegangen sei und um die Hinterhofschlachtungen, wie Muslime sie praktizierten. Münz ist Ökonom und hat in einer Bank gearbeitet. In seiner Heimat bei Göppingen gehört er zum Kirchengemeinderat und zur Bezirkssynode. Im Sommer hat er jüdische AfD-Mitglieder auf einem Podium versammelt. Darunter Wolfgang Fuhl, den Sprecher der AfD in der Grenzstadt Lörrach. Fuhl war bis vor fünf Jahren Vizesprecher der örtlichen jüdischen Gemeinde. Zeitweilig gehörte er auch zum Direktorium des Zentralrates der Juden.
„Gegen die AfD ist der Antisemitismusverdacht nicht nachvollziehbar“, sagt Münz. „Viele Mitglieder sind ganz im Gegenteil ausgesprochen juden- und israelfreundlich.“ Eine erstaunliche Aussage. Denn wie Umfragen zeigen stimmen AfD-Anhänger auffällig oft allen antisemitischen Vorurteilen zu, etwa zu fast 50 Prozent einem israelbezogenem Antisemitismus - und zwar weitaus häufiger als die Anhänger anderer Parteien im Bundestag.
Wolfgang Gedeon hat die Landtagsfraktion in Baden-Württemberg zeitweise gespalten, nachdem Fachleute seine Schriften als antisemitisch einstuften. In einem Buch hatte er geschrieben, die Juden arbeiteten an der „Versklavung der Menschheit im messianischen Reich“. Ihr Ziel sei eine „Judaisierung der christlichen Religion und Zionisierung der westlichen Politik“.
Es brauchte zwei Gutachten, bis die Partei zu der Ansicht gelangte, Gedeons Äußerungen seien antisemitisch. „Aus formalen Gründen“ aber wurde im Januar 2018 ein Parteiausschluss Gedeons abgelehnt. Allerdings darf man Gedeon einen Holocaustleugner nennen. Das hat das Landgericht Berlin Mitte Januar entschieden. Es hatte damit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, recht gegeben, der Gedeon als Holocaustleugner bezeichnet hatte. Gedeon hatte dagegen geklagt.
Dennoch plädieren manche in der AfD wieder für eine neue Annäherung an Gedeon. Im Arbeitskreis Europa der Landtagsfraktion arbeitet er erneut mit. Für Münz ist Gedeon ein „eigensinniger Typ, sehr schwierig, aber ich würde ihn nicht als Antisemiten beschreiben“.
Aber da ist auch das, was Fachleute „sekundären Antisemitismus“ nennen: Jens Maier hat es als „Schuldkult“ kritisiert, dass in Deutschland die Erinnerung an die planmäßige Ermordung von Juden im „Dritten Reich“ gegenwärtig bleibt. AfD-Rechtsausleger Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag, hat die Holocaust-Gedenkstätte in Berlin als „Denkmal der Schande“ abgelehnt. Er forderte eine „180-Grad-Kehrtwende“ der Geschichtspolitik. Das ist in der Antisemitismusforchung eine Chiffre für die Forderung nach einem Ende der Erinnerung an den Holocaust - was nichts weniger ist als Antisemitismus: Denn damit soll selbst die Erinnerung an die ermordeten Juden beendet werden. Es wäre so etwas wie ihr zweiter Tod.
Münz meint, Höcke sei missinterpretiert worden. Er bekennt sich zur Verantwortung dafür, „dass Verbrechen wie der Holocaust heute nicht mehr passieren, aber von Schuld der jetzigen Generation würde ich nicht reden“. Er plädiert dafür, die früheren Konzentrationslager als Erinnerungsstätten zu pflegen, „denn diese Orte machen ein Gedenken möglich“. Anders das Berliner Mahnmal, sagt er: „ Es ist unwürdig, denn da können Leute an den Betonblöcken ihre Späße machen und Familien picknicken.“ Münz möchte jüdische Beiträge zur deutschen Kultur stärker herausstellen. Und er sagt: „Man darf die deutsche Geschichte nicht auf die zwölf Jahre der Nazizeit verengen.“
Die Gesellschaft spalten
Doch was ist mit der Judenfeindschaft, die in Deutschland ihre Heimat hat, die bewirkt, dass bis heute keine Synagogen ohne Polizeischutz Gottesdienst feiern kann? Ja, sagt Münz, es gebe Alt- und Neonazis, „aber das steht in keinem Verhältnis zum importierten Antisemitismus“.
Fast immer kommen seine Argumente beim Islam an. Worüber Münz auch spricht, die Bedrohung durch „Multikulturalismus“ ist in seinem Weltbild übermächtig. Er kommt aber nicht darauf zu sprechen, dass die Straße zum Antisemitismus mit der Abgrenzung von einer angeblich fremden Kultur gepflastert war. Das Thema stammt aus dem Wortschatz der Nouvelle Droité, der Neuen Rechten in Frankreich, in der die Denkfigur des Ethnopluralismus aufkam, die auch in rechten Gruppen in Deutschland Fuß gefasst hat. Ethnopluralismus will die Trennung der Völker und Kulturen. Separation aber war der Anfang auch des Antisemitismus. Und es bleibt die Verwunderung darüber, wie entschlossen sich die Partei gegen den Antisemitismusvorwurf wehrt und wie unbefangen sie eine Sprache wählt, mit der auch Antisemitismus gerechtfertigt wird.
„Die Sorge vieler Deutscher vor Überfremdung und die Angst vor wirtschaftlichen Nachteilen waren schon früher ein gefährlicher Nährboden für Antisemitismus und die Suche nach Sündenböcken“, heißt es in einer gemeinsamen Broschüre von EKD, VELKD und UEK vom November 2017. Die AfD ist dort namentlich nicht genannt. Aber ihre Argumente kommen vor. Die Broschüre bezeichnet einen Satz wie „Es muss auch mal Schluss sein mit der Erinnerung an die deutsche Schuld“ als antisemitische Aussage.
Der AfD kann der Vorwurf des Antisemitismus nicht egal sein. Denn ihre konservativen katholischen, evangelischen und evangelikalen Wähler würden darauf allergisch reagieren. Solidarität mit Juden und Israel ist ein Herzstück ihres Glaubens. Gerade hat deshalb US-Präsident Donald Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt. Er weiß, wie er seine evangelikalen Wähler zufriedenstellt.
Das weiß offenbar auch die AfD. Und auch, welche strategischen Freundschaften man dafür schließen muss. Trump würde von „Deals“ sprechen. Wie lange die AfD Freundschaft zu Juden reklamiert, kann niemand sagen. Die zum Zentralrat der Juden zerbrach schon an dessen erster Kritik.
Vielleicht liegt darin ein weiterer Grund, warum Josef Schuster nicht direkt auf Antisemitismus zu sprechen kommt, sondern darauf verweist, wie die Partei die Diskurse verändert. „Man sollte nicht nur darauf schauen, sondern auch auf die Versuche der AfD, die Gesellschaft zu spalten“, sagt er. „Man muss genau hinschauen: Wo werden Grenzlinien verschoben?“
Wolfgang Thielmann
Wolfgang Thielmann
Wolfgang Thielmann ist Pastor und Journalist. Er lebt in Bonn.