Hemmschwelle muss bleiben
Die Gießener Ärztin Kristina Hänel ist so etwas wie eine Galionsfigur im Kampf gegen den Paragraphen 219a geworden. Im vergangenen November wurde sie zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie Werbung für Abtreibungen auf ihrer Webseite gemacht hatte. Gegenüber Spiegel Online sagte sie am 22. Januar 2018: „Es ist schon lange so, dass ich von sogenannten Lebensschützern öffentlich als ‚Kindermörderin‘ an den Pranger gestellt werde, nur weil ich als Ärztin legale Schwangerschaftsabbrüche vornehme. Schon das finde ich schwer erträglich. Aber seit dem Prozess bekomme ich auch vermehrt üble Drohmails von Rechtsradikalen. Das ist belastend. Gleichzeitig müssten Angriffe aus dieser Ecke eigentlich den letzten Zweiflern klarmachen, dass mit Paragraph 219a etwas nicht stimmt.“
Dass Kristina Hänel bedroht und beschimpft wird, ist schlimm und darf nicht sein. Daran ist aber nicht der Paragraph 219a schuld. Der regelt lediglich, dass bestraft wird, wer „seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt“.
Das ist nur folgerichtig, denn Abtreibungen, also Kinder in ihren ersten Lebenswochen zu töten, sind in Deutschland nicht legal. Warum also sollte man dafür werben dürfen? Werbung macht man gemeinhin, um Menschen zu animieren, etwas zu tun. Was Frau Hänel wohl meint, wenn sie von „legalen Schwangerschaftsabbrüchen“ spricht, ist die Tatsache, dass Abtreibungen in bestimmten Fällen straffrei sind. Dann nämlich, wenn das Kind nicht älter als zwölf Wochen ist und wenn die Frau einen Nachweis darüber mitbringt, dass sie sich über den Eingriff beraten lassen hat.
Freie Arztwahl
Wenn Hänel nun in mehreren Interviews beklagt, dass sich Frauen nicht frei informieren könnten, stimmt das nicht. In Deutschland gibt es hunderte verschiedene Beratungsstellen unterschiedlicher Prägung, die Frauen aufsuchen können. Der Gesetzgeber verpflichtet Frauen in Paragraph 218a sogar dazu, sich zu informieren. Die Frage ist, wer die vorgeschriebene Beratung leisten soll. Eine unabhängige Beratungsstelle oder Ärzte? Der Gesetzgeber möchte, dass dies staatlich anerkannte Beratungsstellen tun, weil Ärzte, die letztlich für die Leistung bezahlt werden, möglicherweise einem Interessenkonflikt unterliegen. Und das ist nachvollziehbar. Niemand unterstellt Ärzten, verantwortungslos Kinder abzutreiben, nur um sich das Honorar einzustreichen. Aber wenn der Gesetzgeber hier vorbeugen möchte, ist dies legitim. Und wer neben der vorgeschriebenen unabhängigen Beratung noch die ärztliche Meinung hören möchte, kann diese jederzeit erfragen. Auch mit Paragraph 219a hat jede Frau in Deutschland freie Arztwahl. An Informationsmöglichkeiten für die, die danach suchen, mangelt es in diesem Land wahrhaftig nicht.
Tatsächlich ließ sich aber in der bisherigen Debatte eine gewisse Uninformiertheit feststellen, denn vielen Menschen war offenbar gar nicht bewusst, dass Abtreibungen gesetzwidrig sind. Gerade deswegen ist noch mehr und nicht weniger Sensibilisierung notwendig. Die Zahl derer, die nicht wissen, dass Schwangerschaftsabbrüche verboten sind, würde noch weiter ansteigen, wenn sie Abtreibungen auf den Webseiten von Ärzten eingereiht sehen zwischen alltäglichen, legalen Dienstleistungen.
Die Richterin, die Kristina Hänel verurteilte, begründete die Entscheidung damit, dass „der Gesetzgeber (nicht) möchte, dass über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, als sei es eine normale Sache.“ Genau darum geht es: Abtreibungen dürfen nicht als etwas „Normales“ wahrgenommen werden, weil sie das Leben eines anderen Menschen beenden. Das muss deutlich werden. Die Hemmschwelle darf nicht sinken. Diese Ansicht darf auch vertreten, wer die wichtigen Anliegen von Frauen nach Selbstbestimmung teilt, unterstützt und fördert. Das eine schließt das andere nicht aus.
Chrismon-Chefredakteurin Ursula Ott hat in einem Meinungsbeitrag zum Thema zugespitzt: „Wer Frauen und ihren Körper im Netz mit den übelsten Sexismen beleidigt (...), bleibt in diesem Land ungestraft. Wer sich medizinisch sorgfältig und verantwortungsvoll mit genau diesem weiblichen Körper befasst, bekommt eine Geldstrafe.“ Der Vergleich passt nicht. Natürlich sind Beleidigungen über Soziale Medien übel, aber sind nicht gleichzusetzen mit Werbung für Abtreibungen. Das eine ist ärgerlich und verletzend, bei dem anderen bespricht man den Tod eines Menschen. Natürlich befürwortet Ursula Ott keine Abtreibungen, aber sie tut genau das, was die Richterin im Fall Hänel vermeiden will: Sie redet darüber, „als sei es eine normale Sache“. Eben wie der alltägliche Ärger über boshafte Social-Media-Kommentare. Das Leben eines ungeborenen Menschen hat dann doch eine andere Dimension.
Argumentation hinkt
In anderen Bereichen sind wir Deutschen durchaus sensibel. So empören sich Kritiker des Paragraphen 219a beispielsweise darüber, wie dieses Relikt aus der NS-Zeit überhaupt noch im Gesetzbuch stehen kann.
Seine heutige Fassung hat der Paragraph allerdings maßgeblich unter der SPD-geführten Koalition in den Achtzigerjahren bekommen. Die Argumentation über die NS-Zeit hinkt also, genauso übrigens wie der unsägliche Begriff „Babycaust“, den Ärztin Hänel als Unwort des Jahres vorgeschlagen hatte.
Bringen aber Restriktionen wie Werbeverbote für Abtreibungen „das Leben von Frauen in Gefahr“, wie Hänel ebenfalls im Spiegel-Interview sagt? Zweifellos ist es wahr, dass unter unhygienischen Bedingungen stümperhaft durchgeführte Abtreibungen das Leben von Frauen gefährden, aber durch Paragraph 219a wird keine Frau veranlasst, in solche Umstände zu flüchten.
Der Paragraph verbietet lediglich Werbung für eine ohnehin verbotene Angelegenheit. Wer vehement dafür kämpft, dass der Paragraph abgeschafft und Werbung für Abtreibungen erlaubt wird, strebt eine ethische Verschiebung des Rechtsempfindens an.
Abtreibungen würden sich in der Wahrnehmung von Menschen noch stärker normalisieren als dies ohnehin schon der Fall ist. Je weiter die Hemmschwelle sinkt, desto näher liegt es, das Abtreibungsrecht selbst irgendwann anzutasten und Abtreibungen des kleinen Menschen generell zu erlauben.
Stefanie Ramsperger