Brauchen wir die Orgel im Gottesdienst?

Pro und Contra
Foto: Rolf Zöllner
Über viele Jahrhunderte war die Orgel unangefochtenes Instrument zur musikalischen Gestaltung des Gottesdienstes. Doch viele Gemeinden fremdeln mittlerweile mit ihrem Klang und setzen auf andere Instrumente zur Begleitung des Gesangs. Brauchen wir die Orgel noch im Gottesdienst? Ja, sagt Konrad Klek, Professor für Kirchenmusik an der Universität Erlangen. zeitzeichen-Redakteur Stephan Kosch hält dagegen.

Ein Instrument der Eitelkeit

Die Dominanz der Orgel im Gottesdienst ist nicht zu rechtfertigen

Die Orgel ist ein einmaliges Instrument mit einer faszinierenden Geschichte, für die prächtige Kompositionen geschrieben wurden und noch immer werden. Das Orgelbauhandwerk ist gerade in Deutschland beeindruckend und bewahrenswert. Und jede Kirchengemeinde, die eine Orgel besitzt, sollte sie schätzen, immer wieder restaurieren und sie in dem Raum erklingen lassen, für den sie gebaut wurden. In Konzerten. Aber nicht mehr im Gottesdienst. Eine steile These, ich weiß. Zumal ich sie zunächst nur mit einem sehr subjektiven Grundgefühl begründen kann. Sie stört mich in meiner Andacht, der ich auch und vor allem im Gottesdienst Raum geben möchte. Sie dröhnt von oben hochherrschaftlich und meist etwas protzig in den Kirchraum hinunter, wo ich zur Ruhe kommen und Platz schaffen will für meine Begegnung mit Gott, den ich in der Stille oder den leisen Tönen finde. Ich weiß, eine Orgel kann auch die erzeugen. Meist aber ist sie zu laut, übertönt die musikalischen Gebete und Bekenntnisse der Gottesdienstbesucher mehr als dass sie sie stützt. Denn ihre Stimmen werden sowieso schon immer leiser, weil immer weniger kommen und viele das Singen nicht mehr gewohnt sind. Eine Gitarre, ein Klavier, ein sanftes E-Piano oder ein einfühlsam vorsingender Kantor würde sie vielleicht wieder die Freude an der eigenen Singstimme entdecken lassen. Eine Orgel hingegen macht sie klein und sorgt bei den einen fürs summende Mitlesen und bei den anderen für den vokalen Kampf im trotzigen „Feste-Burg-Modus“. Schön ist das beides nicht.

Apropos Burg: Wie die Häuser der weltlichen Herrscher war die Orgel immer auch ein Statussymbol. Im byzantinischen Reich war sie Bestandteil kaiserlicher Zeremonien, kam von dort als kostbares Geschenk zu den Karolingern. Was die Könige hatten, wollten die Bischöfe und später die Kirchengemeinden auch, und jede Orgel sollte schöner sein und besser klingen als die der anderen. Es steckt viel Eitelkeit in der Geschichte der Orgel, Eigen- und Gotteslob waren stets eng miteinander verbunden. Es geht mir nicht um eine musikalische Bilderstürmerei, die Orgel hat im Laufe der Jahrhunderte ihren Platz in den Kirchen gefunden und gewiss viele Hörer erfreut und Herzen und Seelen erhoben. Aber ihre Dominanz in den Gottesdiensten der Gegenwart ist damit nicht zu rechtfertigen.

Denn die werden immer leerer, der museale Charakter der Kirchengebäude wächst und damit die Distanz zum Leben vor den Kirchentüren. Die gefühlte Schwelle des Portals wird immer höher. Gottesdienste sind voll von Fremdartigkeiten, die Kirchenferne eher irritieren als einladen - und die Orgel spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie steht für eine Kirche, die sich ihrer selbst und ihrer Stellung in der Gesellschaft sicher ist und in der alles bleibt, wie es ist. Sie steht für Vergangenheit. Die Aufgabe der Gegenwart, so eine Erkenntnis aus dem Reformationsjubiläum, ist es aber, dass Kirche hinausgeht aus ihren heiligen Hallen und sich gerade auch mit Gottesdiensten und Andachten der Welt zeigt. Orgeln, die seit Jahrhunderten an ihrem Platz stehen, passen nicht recht ins Reisegepäck einer Kirche, die sich auf den Weg machen muss. Das (kirchen-)musikalische Leben ist klangreicher als die größte Orgel der Welt. Deshalb ein konstruktiver Kompromissvorschlag zum Schluss: Jeder Sonntagsgottesdienst bekommt einen anderen musikalischen Charakter: Mal begleitet ein E-Piano, mal die Gitarre, mal Bläser, mal wird a capella gesungen. Und immer mal wieder gibt es dann auch Gottesdienste mit der Orgel. Vielleicht höre ich sie dann ja sogar gern ...

weiter zum Pro

Stephan Kosch

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.
Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Meinung"