Schöne Summe

Aufsätze von Peter Bukowski
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Ein Buch mit theologischen Texten, in dem man sich sofort festliest - das gibt es wirklich nicht alle Tage.

Wer weiß schon, was „Naikan“ ist? Wahrscheinlich wissen das auf Anhieb nur wenige. Aber wer den neuen Band von Peter Bukowski, dem langjährige Moderator des Reformierten Bundes und Direktor des Seminars für Pastorale Ausbildung in Wuppertal, gelesen hat, der weiß das und noch viel mehr, hat er doch auf 200 Seiten einen theologischen Denker und Praktiker kennengelernt, der Tiefsinn und Lebendigkeit in vorbildlicher Weise vereint.

Aber um die Leserschaft nicht weiter auf die Folter zu spannen: „Naikan“ ist eine „Form der Selbsterforschung“, die aus Japan kommt. Das Wort „Naikan“, so Bukowski, bedeute so viel wie „konzentrierte Innenschau“, und wer sich auf Naikan einlasse, meditiere unter der Anleitung eines Lehrers mehrere Tage die verschiedensten Etappen seines Lebens unter drei Leitfragen: „1. Was hat meine Mutter Gutes für mich getan. 2. Was habe ich ihr Gutes zurückgegeben? 3. Welche Schwierigkeiten habe ich ihr bereitet?“ Bukowski schreibt, er habe sich, als er davon hörte, sofort die kritische Rückfrage gestellt: „Wo bleibt die Frage nach dem, was meine Mutter - und dann auch alle anderen - mir an Schwierigkeiten bereitet hat/haben?“ Die Vertreter des Naikan aber, so Bukowski, klammerten diese Frage bewusst aus und ihr Argument sei folgendes: „In der Beschäftigung mit dieser Frage sind die meisten Menschen ziemlich gut.“ Der kleine Exkurs über diese japanische Selbsterforschungsmethode platziert Bukowski als Illustration in seinem Kapitel „Gottes Hilfe predigen“ und bekennt, dass ihm dieser Ansatz geholfen habe, die Weisheit des 103. Psalmes neu zu entdecken: „Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“. Allerdings wäre Bukowski nicht Bukowski, wenn er in diesem Zusammenhang die drohenden Einseitigkeit nicht gleicht mitdenkt, um vor ihnen zu warnen: „Ein happy-clappy-evangelium ist in Wahrheit nicht so fromm, wie es bisweilen daherkommt und lebensdienlich ist es auch nicht.“ Es sind solche interessanten Beispiele und solche überraschenden Volten, die Bukowskis Buch, in dem er Vorträge, Predigten und Skizzen aus den vergangenen Jahren und auch einige neue Texte gesammelt hat, so reizvoll machen. Ein Buch mit theologischen Texten, in dem man sich sofort festliest - das gibt es wirklich nicht alle Tage. Was soll man herausgreifen? Besonders überzeugend sind die vier Texte übers Predigen, die sicher nicht zufällig die Mitte des Buches bilden. Unter den Überschriften „Gerechtigkeit predigen“, „Gericht predigen“, „Gottes Hilfe predigen“ und „Emotional predigen - ein Impuls“ bündelt Bukowski seine Erfahrungen und Beobachtungen, die er in der Ausbildung mehrerer Vikarsgenerationen gesammelt hat. Alle, die regelmäßig predigen, sollten diese tiefsinnigen und doch so leicht daherkommenden und mit Beispielen illustrierten Überlegungen lesen - sie eröffnen einem neben dem unzweifelhaften Lesegenuss durchaus auch die Möglichkeit, die eigene Praxis selbstkritisch zu überprüfen.

Peter Bukowski kann und will nicht verbergen, dass er von der Theologie Karl Barths geprägt ist. Die scheint ja in den vergangenen Jahrzehnten etwas aus der Mode gekommen zu sein, aber Bukowskis Ausführungen, zum Beispiel auch im einleitenden Aufsatz „Wer ist Jesus Christus für uns heute“, die er anlässlich seiner Verabschiedung aus dem Amt des Leitenden Geistlichen des Reformierten Bundes im Jahre 2015 auch als Antwort auf die von Notger Slenzcka vertretene Subjektivitätstheologie Schleichermacher‘scher Provenienz entwarf, sind für alle „Lager“ mit Gewinn zu lesen. Bukowski zählt sich gerne zur „Minderheit“, die diesen subjektivitätszentrierten Weg nicht mitgehen will. Für ihn ist und bleibt klar, „dass die Auferstehung (Jesu) in einem (gegenständlichen) raum-zeitlichen Geschehen den entsprechenden Glauben der Jünger allererst hervorbringt und also begründet.“ Daraus folgert er: „Wir müssen also die Auferweckung (Jesu) als Glaubensgrund strikt vom Glauben der Jünger unterscheiden.“ Aber auch wer in diese barthianische Richtung nicht mitgehen kann oder will, findet bei Bukowski viele wichtige Gedanken, die von der Fülle eines reichen und reichlich praktisch reflektierten Glaubens und eines überaus originellen und kreativen theologischen Nachdenken zeugen. Mehr davon!

Reinhard Mawick

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