Heilige im Himmel

Nachhall eines Massenmordes
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Mosebach beschönigt nichts an der bedrohten Lage der Kopten. Fasziniert ist er aber dennoch.

Im Jahre 2015 wurde zwanzig koptischen Arbeitern (und einem Mann aus Ghana) an einem Mittelmeerstrand bei Sirte in Libyen die Kehle durchgeschnitten. Die unbekannten Täter enthaupteten die Leichen. Anschließend tauchte im Netz ein authentisches Video von der Tat auf, gewissermaßen professionell inszeniert.

Die Ermordeten wurden kurz nach der Bluttat vom koptischen Papst Tarwadros II. als Märtyrer heiliggesprochen. Auch Mosebach billigt ihnen diesen durch den islamistischen Terror beschädigten Titel zu (er schreibt „Martyrer“). Die Familien der Toten erhielten vom Staatspräsidenten Sisi neue Häuser, Scheußlichkeiten aus Beton, wie sie überall auf dem ägyptischen Land die traditionellen Bauten verdrängen. Dort, bei den Familien der Opfer, erlebt der Besucher eine Überraschung: Kaum entdeckt er wenigstens leise Zeichen der Trauer bei den Angehörigen. Fast alle zeigen nur Stolz darauf, dass ihre Söhne als Heilige in den Himmel eingegangen sind. Die Kopten, wahrscheinlich ethnische Nachfahren der alten Ägypter, sind noch immer in einer für Westler unglaublichen Weise von dem Glauben geprägt, der ihnen, den Angehörigen der ältesten noch existierenden christlichen Kirche, das Überleben seit der islamischen Eroberung erlaubt hat. Allerdings als eine benachteiligte Minderheit am Rande der Gesellschaft - und gerade deshalb wird ihnen von vielen Ägyptern nachgesagt, sie besäßen geheimen Reichtum und konspirative Macht, ähnlich wie man das hierzulande einst von den Juden sagte. Koptische Frauen erzählen Mosebach, sie würden des Öfteren von Musliminnen gebeten, für sie zu beten - ihr Gott sei schließlich dafür bekannt, dass er auch individuell helfe.

Martin Mosebach ist ein renommierter Schriftsteller, bekannt geworden mit Romanen aus dem städtischen westdeutschen Milieu - und er ist Katholik, einer jener Christen, darf man unterstellen, die sich nach dem wahren, echten, intensiven Glauben eher sehnen, als dass sie ihn hätten. Eine durch und durch moderne und urbane Spezies, deren Sehnsucht aber unversehens ins Nostalgisch-Rückwärtsgewandte umschlagen kann: die Quellen, die reinen, entspringen in der Vergangenheit, und dort muss man sie aufsuchen.

Aber es führt ja nur ein Irrweg zurück. Mosebach meidet ihn. Er beschönigt nichts an der bedrohten Lage der Kopten. Fasziniert ist er aber dennoch: Hier ist sie noch zu finden, die Glaubensstärke, die er in der „westlichen Kirche“ vielleicht vermisst…

Gerät Mosebach doch noch ins Schwärmen? Nein, seine Aufschwünge sind solche der distanzierten Art, unabhängig davon, ob es um aktuelle Politik, Geschichte, Theologie geht. Aber jene dunkle Wolke, die Möglichkeit, er könnte nur eine Nachricht aus einer untergehenden Welt gesendet haben, erwähnt er nur widerwillig.

Helmut Kremers

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