Petrus ist noch säumig

Der Katholikentag in Münster war ein großer Appell für ein Mehr an Ökumene
Foto: epd/Friedrich Stark
Foto: epd/Friedrich Stark
Streit um einen AfD-Politiker auf einem Podium, Debatten um das Kreuz in bayerischen Behörden, Angst um den Frieden in aller Welt. Und dann noch die Ökumene! „Suche Frieden“ - das Motto des Katholikentages in Münster passte.

Auf einmal springen sie auf, die drei jungen Leute gleich neben mir, eingeschrieben für katholische Theologie in Münster, eine Frau und zwei Männer. Sie hasten nach vorn und stellen sich neben einen etwa gleichaltrigen Mann, der von hinten vor das Podium gerannt war. Hastig entrollen sie ein Plakat, das kaum zu lesen ist, und rufen: „Kein Frieden mit der AfD! Kein Frieden mit der AfD!“ Hinter mir, reiner Zufall, springen zugleich ein paar bürgerlich aussehende Männer mittleren Alters auf und brüllen: „Haut ab! Haut ab!“ Es sind Claqueure der AfD, die ihrem Mann auf der Bühne möglichst häufig überlaut Beifall klatschen - und sich ansonsten pausenlos mit Sprüchen wie „Merkel muss weg!“ oder „Märchentante!“ hervor tun.

Der 101. Katholikentag in Münster Mitte Mai war aufgeladen mit Emotionen wie wenige zuvor: Wie umgehen mit der rechtspopulistischen AfD? Darf man sie zum Mega-Christentreffen einladen - oder ausdrücklich nicht wie noch vor zwei Jahren in Leipzig? Wie den brüchigen Frieden weltweit stärken, hier in der Friedensstadt und auf diesem Treffen mit dem Motto „Suche Frieden“ wenige Stunden, nachdem der US-Präsident mit seiner Entscheidung zum Ausstieg aus dem Atomvertrag mit dem Iran den Nahen Osten erneut zu einem Pulverfass gemacht hat? Ist es richtig, wenn eine Landesregierung im Wahlkampfmodus das christliche Kreuz zu einem Kultursymbol verengt und vorschreibt, es in allen staatlichen Behörden aufzuhängen?

All das bewegte die engagierten Christinnen und Christen in Münster - aber mindestens ebenso brisant war erneut ein Dauerbrenner der Katholikentage: der Stand der Ökumene. Wo immer das Thema diskutiert wurde, waren die Hallen überfüllt. Dass dies auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Öffnung der römisch-katholischen Kirche für die Ökumene so war, dafür hatten die deutschen katholischen Bischöfe unfreiwillig mit gesorgt. Die Streitfrage: Darf man den evangelischen Partnern katholischer Christen die Kommunion ausnahmsweise geben? Drei Viertel der deutschen Bischöfe waren dafür, nur sieben dagegen.

Wenn man dem Kirchenvolk zuhörte, war klar, auf welcher Seite dieses Konflikts es in seiner überwältigenden Mehrheit steht: Während der fünf Tagen in Münster brandete immer dann sehr starker Beifall auf, wenn es um ein Mehr an Ökumene ging. Den Ton gab Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schon bei seiner Eröffnungsrede am ersten Tag des Christentreffens vor, als er sich als „bekennender evangelischer Christ, der in einer konfessionsverschiedenen Ehe lebt“, vorstellte. Das Staatsoberhaupt sagte mit Blick auf die Eucharistie auch für protestantische Ehepartner: „Ich bin sicher: Abertausende Christen in konfessionsverschiedenen Ehen hoffen darauf.“

Am nächsten Morgen, beim Gottesdienst an Christi Himmelfahrt vor dem Schloss von Münster, ging Steinmeier nicht zur Kommunion. Anders als seine Frau. Ein Sinnbild dafür, dass diese Frage in vielen Ehen keine Petitesse ist. Schätzungen gehen davon aus, dass rund ein Drittel der kirchlich gültig geschlossenen Ehen konfessionsverbindend ist. In Deutschland dürften dies Hunderttausende sein.

Schön polemisch brachte der evangelische Christ, Arzt, TV-Moderator und Kabarettist Eckart von Hirschhausen den Eucharistiestreit in einer Podiumsdiskussion mit dem Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki auf den Punkt. Woelki ist einer der sieben Oberhirten, die gegen den Beschluss der Bischofskonferenz sind. Hirschhausen sagte, er zahle, da er gemeinsam mit seiner katholischen Frau steuerlich veranlagt werde, de facto ebenfalls Kirchensteuer für die katholische Kirche, und zwar viel. Dafür wolle er aber auch „die Oblate - oder mein Geld zurück“.

Nette Pointe. Aber angesichts des etwas abfälligen Wortes „Oblate“ statt „Hostie“ hatte es Woelki dann rhetorisch leicht, die Sache abzutun mit dem Hinweis: Die Eucharistie bedeute eben Katholiken wie ihm etwas anderes und offenbar viel mehr als Protestanten - auch deshalb könne man sie ihnen nicht einfach geben.

Keine Bewegung im Eucharistiestreit also beim Kölner Erzbischof, der immer mehr in die Fußstapfen seines reaktionären Vorgängers Joachim Kardinal Meisner zu treten scheint. Und natürlich geht, das ist dabei zu lernen, die Bewegung in der Ökumene keineswegs mit Sicherheit immer nur in eine Richtung, nämlich nach vorne. Deshalb sind ökumenische Traumpaare wie das des bayerischen Landesbischofs und EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm mit seinem katholischen Pendant, dem Münchner Erzbischof und Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, so wichtig. Die beiden traten in Münster so zuverlässig gemeinsam auf wie Pat und Patachon - wenngleich ernster und ernst zu nehmender.

„Euer Kirchentag“

Die Bromance der beiden Münchner Nachbarn ist mittlerweile schon so sprichwörtlich, dass sie in Münster anfingen, darüber Witze zu machen. So lachten beide nur noch, als bei einer Bilder-Show am Anfang der Diskussion „Ökumene nach 2017 - Aufbruchs- oder Katerstimmung“ das in diesen Kreisen fast schon ikonenhafte Foto ihrer herzlichen Umarmung beim Hildesheimer Versöhnungsgottesdienst im März vergangenen Jahres gezeigt wurde. Überhaupt wurde dauernd gelacht während der Veranstaltung, beste Stimmung auf dem Podium und im Publikum. Ökumene? Wo ist das Problem?!

Das galt ebenso für die gemeinsame Bibelarbeit der beiden Bischöfe zum Ersten Petrusbrief (3,8-18). „Wir werden Christus folgen, der uns zur Einheit ruft“, rief Bedford-Strohm in seiner euphorischen Art, blickte dann zu seinem Freund Reinhard - „und jetzt bist du dran.“ Immensen Beifall erhielt Bedford-Strohm auch, als er kurz danach einen der schönsten Ökumene-Sätze des Katholikentages ausrief: „Dieser Katholikentag ist auch mein Katholikentag! Und der Kirchentag in Dortmund wird auch euer Kirchentag sein!“ Der Kirchentag in Dortmund ist für 2019 geplant. Es folgt 2021 ein Ökumenischer Kirchentag in Frankfurt - und erst 2022 soll es wieder einen regulären Katholikentag geben. Aus organisatorischen Gründen, wie es heißt. Aber wohl auch, um über das Konzept Katholikentag noch einmal nachzudenken, neue Wege zu gehen.

Wie weit die Ökumene mittlerweile geht und welche weite Strecke sie in den vergangenen Jahrzehnten schon zurück gelegt hat, gemessen an den langsam mahlenden Mühlen der Kirchen - daran zu erinnern ist manchmal nötig. So geschehen auf dem „Zentralen Ökumenischen Gottesdienst“ des Katholikentages im Bischofsdom St. Paulus - auch dieser Gottesdienst im riesigen Dom war überfüllt. Die Feier wurde geleitet vom orthodoxen Metropoliten Augoustinos, dem katholischen Bischof Felix Genn, der Präses Annette Kurschus der Evangelischen Kirche von Westfalen und der lutherischen Erzbischöfin Antje Jackelén aus Schweden.

Antje Jackelén, eine gebürtige Herdeckerin, erntete am meisten Applaus und viel Gelächter mit einer bezeichnenden Anekdote über den lutherischen Theologen und Ökumeniker Nathan Söderblom (1866?-?1931). Der Friedensnobelpreisträger hatte bei einem einzigartigen ökumenischen Treffen 1925 in Stockholm mit fast 700 Teilnehmern angesichts des Fehlens katholischer Vertreter bemerkt: Johannes, also die Orthodoxen, sei ja da, auch Paulus, die Protestanten, fehle nicht. Nur Petrus, die Katholiken, sei noch säumig. Dies geflügelt werdende Wort nahm der damalige schwedische Erzbischof 1989 wieder auf, als Johannes Paul II. als erster Papst überhaupt Skandinavien besuchte. Er begrüßte den Pontifex Maximus mit den Worten: „Heute ist Petrus gekommen - und er heißt Johannes Paulus!“

Die Ökumene braucht einen langen Atem, das wurde auf dem Katholikentag wieder deutlich - aber sie hat ihn auch. Bei der Abschlussmesse auf dem Schlossplatz erhielt Kardinal Marx während seiner Predigt am meisten Beifall, als er betonte, dass alle Christen Glieder der einen Kirche Jesu Christi seien, ob evangelisch, ob katholisch, ob orthodox. Die Christen müssten zeigen, dass sie eins sind, sagte er, und, in Anspielung auf den innerkatholischen Eucharistiestreit, „auch wir Bischöfe bemühen uns“. Manchmal schien es in Münster, als sei der Streit innerhalb der Kirchen größer als der zwischen ihnen. So wirkte beim Friedensgruß die Umarmung von Marx und Woelki, der diesen nur noch den „Vorsitzenden“ nennt: maximal distanziert. Von weitem gesehen.

Philipp Gessler

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