Haltung unklar

Der bayerische Kreuzerlass und die Reaktion der Kirchen
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder will ein Kreuz in jedem  Eingangsbereich einer Behörde seines Bundeslandes. Foto: dpa/Peter Kneffel
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder will ein Kreuz in jedem Eingangsbereich einer Behörde seines Bundeslandes. Foto: dpa/Peter Kneffel
Der Erlass des bayerischen Kabinetts, dass ab 1. Juni in allen Amtsstuben des Landes ein Kreuz zu hängen habe, hat die großen Kirchen in Deutschland kalt erwischt. Der bekannte Münchner Theologe Friedrich Wilhelm Graf findet besonders die Reaktion der evangelischen Kirche nicht überzeugend, weil sie die Brisanz der Verordnung nicht zu bemerken scheint.

Im März 2017 beschloss die Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche inBayern eine Erweiterung der Kirchenverfassung. Mit der historisch unsinnigen Behauptung, die Barmer Theologische Erklärung habe im Mai 1934 „eine biblisch begründete Gegenposition zur NS-Ideologie“ formuliert, wurden ihre sechs Thesen in die Kirchenverfassung inkorporiert.Dass zahlreiche Barmer Synodale Mitglieder der NSDAP waren und es hier nicht um Widerstand gegen die Diktatur oder Protest gegen das Zentrum der NS-Ideologie, den Rasseantisemitismus, sondern um den kirchenpolitischen Kampf für die Selbständigkeit der Kirche und gegen die Deutschen Christen ging, dürfte nur einzelnen bayerischen Synodalen bewusst gewesen sein. Auf der Homepage der Landeskirche heißt es zur Barmer Erklärung: „In Schriftzitaten und eindrücklichen, klaren Formulierungen wird das Wesen der Kirche und ihres Auftrages entfaltet und die staatliche Vereinnahmung der Kirche zurückgewiesen. ... Die Barmer Theologische Erklärung ... entwirft eine Leitlinie christlichen Handelns, die auch heute noch aktuell ist.“Große Orientierungskraft scheint die Verfassungserweiterung nicht entfaltet zu haben. Jedenfalls lässt sich nicht erkennen, dass die führendenVertreter und Vertreterinnen der bayerischen Landeskirche den entschiedenen Christozentrismus von „Barmen“ wirklich ernst nehmen. Im Streit um den sogenannten „Kreuz-Beschluss“ der Bayerischen Staatsregierung äußert sich das leitende geistliche Personal der Landeskirche gerade nicht im Sinne von „Barmen“. Der Ministerrat des Freistaates Bayern hatte am 24. April beschlossen: „Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes im Freistaat ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns deutlich wahrnehmbar ein Kreuz als sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Bayern und Deutschland anzubringen. (...) Das Kreuz ist das grundlegende Symbol der kulturellen Identität christlich-abendländischer Prägung.“ Als der neue Ministerpräsident Markus Söder inder Eingangshalle der Staatskanzlei demonstrativ ein Kreuz aufhängte, erklärte er gar: „Das Kreuz ist nicht das Zeichen einer Religion“ - eine steile Behauptung, die er angesichts vielfältiger Kritik auch aus den Kirchen später relativierte. Ausweichende ReaktionDer bayerische Landesbischof und Ratsvorsitzende der EKD allerdings reagierte auf den Kreuzbefehl der Staatsregierung nur ausweichend und widersprüchlich. „Wir als Christen und wir als Kirchen werden natürlich immer wieder darauf hinweisen, dass das Kreuz zuallererst ein religiöses Symbol ist“, erklärte Heinrich Bedford-Strohm, ohne zu sagen, was es denn sonst noch symbolisieren können soll. Darf man an die erste Barmer These erinnern? Seine Aussage, es sei gar nicht entscheidend, ob das Kreuz an der Wand hänge oder nicht, sondern ob es „auch vom Inhalt her mit Leben erfüllt wird“, verschleiert nur das Problem. Gewiss darf man eine sich ausdrücklich „christlich-sozial“ nennende Partei etwa in Sachen Flüchtlingspolitik an moralische Normen erinnern. Aber was soll es bedeuten, das Kreuz „vom Inhalt her mit Leben“ zu erfüllen? Der landesbischöfliche Verweis auf „Menschenwürde und Humanität“ trägt zur Lösung des Problems nicht bei, dass die bayerische Staatsregierung sich Deutungskompetenz für das Zentralsymbol des christlichen Glaubens anmaßt. „Wird der Bischof dafür beten, dass die Kreuze herunterfallen, wenn die Politik der CSU diese Botschaft/von Menschenwürde und Humanität/malträtiert? Wird er in die Eingangshallen der Ämter gehen, und die Kreuze dann abhängen?“, fragte daraufhin Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung. Deutlich anders die Reaktion einiger katholischer Bischöfe Bayerns: Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick erklärte mit Nachdruck, dass das Kreuz „kein Identitätszeichen irgendeines Landes oder eines Staates“ sei. Nach einigen Tagen des Schweigens legte der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Kardinal Marx, in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung nach. Der Kabinettsbeschluss habe nur „Spaltung“, „Unruhe, Gegeneinander“ provoziert. „Der Staat kann nicht von sich aus das Zeichen des Kreuzes definieren. Das geschieht durch die Botschaft des Evangeliums und das Zeugnis der Christen.“ Der Kardinal warnte davor, das Kreuz zu „verharmlosen“, und bezichtigte die Staatsregierung einer übergriffigen Symbolpolitik: „Wenn das Kreuz nurals kulturelles Symbol gesehen wird, hat man es nicht verstanden. Dann würde das Kreuz im Namen des Staates enteignet. ... es steht doch dem Staat nicht zu, zu erklären, was das Kreuz bedeutet. Er kann und muss dafür sorgen, dass sich religiöse Überzeugungen artikulieren können. Aber er kann nicht bestimmen, was der Inhalt dieser religiösen Überzeugung ist.“ Gegen die politische Verzweckung des Kreuzes erklärte er: „Das Kreuz bringt nicht einfach ein bestimmtes politisches Programm mit sich. ... Ich werde immer misstrauisch, wenn einer behauptet, das Evangelium ließe sich eins zu eins in praktische Politik umsetzen.“ Die Frage, ob der Ministerpräsident vor dem Beschluss mit ihm darüber gesprochen habe, beantwortete Marx mit Nein. Ob dies auch für den Landesbischof gilt? Man wüsste gern, ob Markus Söder als von der Kirchenleitung berufenes Mitglied der Landessynode - erst kurz vor der Wahl zum Ministerpräsidenten legte er sein Mandat nieder - 2017 für die Erweiterung der Kirchenverfassung um die „Barmer Erklärung“ gestimmt hat. Wie auch immer - die diskursive religiöse Lage im Freistaat ist derzeit paradox. Waren lutherische Protestanten lange Zeit der Ansicht, dass eine theologiacrucis „das Spezifikum der reformatorischen gegen die römisch-katholische Theologie“ bezeichne - so das Evangelische Kirchenlexikon - erleben sie nun einen Kardinal, der den religiösen Eigensinn des Kreuzes ungleich entschiedener verteidigt als ihre eigene Kirchenführung. Denn auch der große Text in der Frankfurter Allgemeinen, mit dem Heinrich Bedford-Strohm nach ihm widerfahrener Kritik noch einmal in die Debatte eingriff, lässt keine klare theologische Haltung erkennen. Zwar geht der Ratsvorsitzende mit ausdrücklichem Bezug auf den bayerischen Ministerpräsidenten nun zur „einseitigen Okkupation des zentralen christlichen Symbols durch die Politik“ auf Distanz. Wohl kein christlicher Theologe wird ihm darin widersprechen, dass die Kirchen „den Sinn des Kreuzes öffentlich deutlich zu machen“ haben. Aber es kommt gerade darauf an, wie dies geschieht. Der „öffentliche Theologe“ Bedford-Strohm will mit Luther die „Dinge ... beim rechten Namen genannt“ wissen. Doch auf trennscharfe theologische Begriffe scheint er in Sachen „Kreuz“ verzichten zu wollen. „Es kann im Lichte von Luthers Heidelberger Disputation gerade nicht auf ein Zeichen einer erfolgreichen Kultur- und Beheimatungsleistung reduziert werden, sondern es ist mindestens genauso das Zeichen einer zum Nachdenken bringenden Infragestellung aller weltlichen Werte. Nur aus dieser theologischen Tiefe heraus kann es Zeichen einer Heimat sein, die sich im Glauben erschließt.“ Das ist eine irritierend unklare theologische Explikation des „Wortes vom Kreuz“. Der Landesbischof bestreitet nicht, dass das Kreuz das „Zeichen einer erfolgreichen Kultur- und Beheimatungsleistung“ ist - man soll es nur nicht darauf „reduzieren“ dürfen. Denn „mindestens genauso“ - wirklich: „genauso“? - soll es Symbol kritischer Selbstreflexion „aller weltlichen Werte“ sein.

Jerusalem oder Provinz?

Abgesehen von der heillosen „Werte“-Semantik überrascht es zu sehen, dass der religiöse Gehalt des christlichen Zentralsymbols mit einer behaupteten kulturellen Funktion parallelisiert und nicht einmal entschieden vorgeordnet wird. Das sah man in „Barmen“ anders. Darf man nach dem theologischen Gehalt des Begriffs der „Heimat“ fragen, der hier, politisch sehr zeitgeistkonform, aus christologischer „Tiefe heraus“ geadelt wird? Weshalb dient der Glaube dazu, „Heimat“ zu erschließen? Ist das himmlische Jerusalem oder die fränkische Provinz gemeint? Bedeutende lutherische Theologen identifizierten Heimat einst mit der Bindung ans eigene Volk. „Barmen“ war die entschiedene Absage an diese gerade im bayerischen Protestantismus vielfältig gefeierten „Volksnomos“-Theologien. Nur politisch naiv und hilflos ist der Versuch, das regierungsamtlich verordnete Aufhängen von Kreuzen in Staatsgebäuden mit einem volksmissionarischen Programm zu verknüpfen. „Wenn das Kreuz in öffentlichen Gebäuden hängt, sollte es an das Geheimnis der Erlösung durch Jesus Christus erinnern, auch an die im Glauben gewonnene Freiheit,dem Nächsten zu dienen, an die Humanität, die darin ihre größte Würdigung erhält, dass Christus für alle Menschen gestorben ist.“ Zunächst zum „Wenn“: Es wird ab 1. Juni in bayerischen Finanzämtern und Justizpalästen hängen. Sodann zum „sollte“: Wie will der Landesbischof denn sicherstellen, dass Vorbeieilende es als Zeichen der „Erlösung“ deuten? Wie passt „Geheimnis“ zum staatlichen Behördenraum? Der dogmatische Jargon macht nur den Mangel an theologischer Klarheit sichtbar. Auf Golgatha gestorben ist der aus politischen Gründen verurteilte Jude Jesus von Nazareth. Dass er „Christus“ sei, ist Interpretament der nach seinem Tod an ihn Glaubenden. Und dass sein Tod für „alle Menschen“ heilsbedeutsam sei, ist ebenfalls ein christliches Glaubenszeugnis, wird also von vielen Menschen und auch bayerischen Staatsbürgern nicht geteilt. Bei Paulus kann man zum Kreuz lesen, dass es den Griechen eine „Torheit“ und den Juden ein „Ärgernis“ sei. So überrascht es, dass die Regionalbischöfin für München und Oberbayern und Ständige Stellvertreterin des Landesbischofs das Kreuz als ein „inklusives Symbol“ bezeichnet hat - in der Predigt eines Ökumenischen Gottesdienstes aus Anlass der Eröffnung der Landessausstellung „Wald, Gebirg und Königstraum - Mythos Bayern“ in Kloster Ettal. Das Kreuz erinnere daran, sagte Susanne Breit-Keßler, „dass der wahre Gott sich als wahrer Mensch offenbart“. Nun mag dies für Glaube und Hoffnung der Christen entscheidend sein. Aber es bedeutet nicht, dass sich jeder Bürger des Freistaates Bayern durch das Kreuz positiv angesprochen fühlen muss. Michael Brenner, der weltweit hoch renommierte Inhaber des Lehrstuhls für jüdische Geschichte der Münchner Universität, hat in der Süddeutschen Zeitung die vielfältigen Diskriminierungserfahrungen geschildert, die seine Kindheit und Jugend als junger Jude in der Oberpfalz prägten. In seiner berechtigten Kritik der verlogenen „Konstruktion vom christlich-jüdischen Abendland“ erinnert er daran, dass das Kreuz für Juden immer „auch ein Symbol“ war, „das während vieler Jahrhunderte für Intoleranz, Verfolgung und Bekehrungseifer stand“. Weil es „doch einzig und allein das Symbol der christlichen Glaubensgemeinschaften“ sei, wirke es auch heute noch exkludierend. Alle anderen, egal ob sie unter dem Kreuz gelitten haben oder nicht, können sich von diesem Symbol nicht mit eingeschlossen fühlen.

Autoritäre Bevormundung

Eine „identitätsstiftende, prägende Wirkung“, wie Markus Söder sie sieht, hat das Kreuz für Juden, Muslime und Atheisten nun einmal nicht. Es macht sie zu Außenseitern. Vielleicht gehören sie ja auch ein bisschen dazu, aber eben nicht ganz. Die von dem evangelischen Regensburger Regionalbischof Hans-Martin Weiss gemeinsam mit dem katholischen Bischof Rudolf Voderholzer vertretene Ansicht, dass das Kreuz „auch für jene“ „hilfreich“ sei, „die diesen Glauben nicht teilen“, ist nur arrogante, autoritäre Bevormundung. „Ich freue mich darüber, wenn politisch Verantwortliche sich bewusst unter das Kreuz stellen“, erklärte die Regionalbischöfin, seit 2009 Trägerin der Bayerischen Verfassungsmedaillein Silber. Doch ob ein Politiker ein frommer Protestant sein will und andere Politikerinnen ihr Leben als gute Katholikinnen führen wollen, steht nicht zur Debatte. Es geht um vier ganz andere Fragen.

Traditionell staatsfromm?

Erstens: Darf der freiheitliche Verfassungsstaat, der sich ob seiner religiös-weltanschaulichen Neutralität mit keiner Religion und Weltanschauung identifizieren darf, in Bayern aus welchen Gründen auch immer die Mehrheitsreligion symbolpolitisch privilegieren? Zweitens: Sehen die Vertreter der christlichen Kirchen nicht, dass Staatskreuze die Exklusion und Diskriminierung von Juden, Muslimen, Agnostikern und sonst wie viel oder wenig Gläubigen symbolisieren? Drittens: Ist das Kreuz für die Kirchen ausschließlich ein religiöses Symbol, oder wollen sie es zulassen, dass alle möglichen anderen gesellschaftlichen Akteure es sich für ihre je partikularen Zwecke zu eigen machen? Viertens: Tut es dem Christentum im Lande gut, wenn sich der Staat seines Zentralsymbols bedient? Oder wird durch inflationäre Aufhängung das Kreuz nur entwertet? Eine Nachbemerkung noch: Markus Blume, der als intellektuell differenzierungsfähig geltende neue Generalsekretär der CSU, hat die Kritiker des Kreuzbeschlusses als entweder „Religionsfeinde“ oder „Selbstverleugner“ beschimpft. Kardinal Marx hat diese Feindrhetorik à la Carl Schmitt klar kritisiert. Aus dem bayerischen Landeskirchenrat war - ob der traditionell lutherischen Staatsfrömmigkeit der entscheidenden Akteure? - dazu nichts zu hören

Friedrich Wilhelm Graf

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Foto: dpa/Horst Galuschka

Friedrich Wilhelm Graf

Dr. D. Friedrich Wilhelm Graf ist Professor em. für Systematische Theologie und Ethik. Er lebt in München.


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