Konsequenz

Punktum
Konsequenz ist schwer und kostet etwas. Aber ich fürchte, meinem Freund Adam macht sie Spaß.

Mein Freund Adam ist konsequent: Er lebt derzeit im Hambacher Forst, wahrscheinlich auf einem Baum, denn Baumhäuser bauen, so etwas kann er. Adam ist 51 Jahre alt geworden und sieht aus wie 40. Ich kenne ihn seit der ersten Klasse. Mit anderen Aktivist*innen, wie man das in dem Fall wohl am besten scheiben sollte, verhindert er durch sein Leben auf dem Baum die Abholzung dieses Waldes. Adam trägt einen Anteil daran, wenn der völlig verrückte Braunkohletagebau in Deutschland endlich gestoppt wird. Denn nur wenn der Hambacher Forst erhalten bleibt, wird auch das Abbaggern ganzer Landstriche im Raum Köln gestoppt. Nach Auskunft der Aktivist*innen im Hambacher Forst macht der Abbau der Kohle im Rheinischen Braunkohlerevier rund 30 Prozent des deutschen CO2-Ausstoßes aus - mehr als der komplette Autoverkehr dieses Landes. Wann, verflixt, wird diese Form der Energiegewinnung endlich beendet? Keine andere ist so klimaschädlich, zerstört so viel Landschaft und ist so ineffizient.

Aber um das zu stoppen, müsste man konsequent sein - und das ist unsere Kanzlerin, die sich gern als Klimakanzlerin geriert, in Sachen Naturschutz eben nicht. Beispiel Glyphosat: Dieser Agrarminister („So ist er, der Schmidt.“), der von sich in der dritten Person spricht, was ein zuverlässiges Zeichen für Größenwahn und Realitätsverlust ist, stimmt entgegen aller Koalitionsvereinbarungen für die weitere Zulassung dieses Pflanzengifts auf EU-Ebene. Dass Glyphosat die Artenvielfalt hierzulande nachweislich massiv verkleinert und wahrscheinlich auch für Menschen schädlich ist - was soll’s?! Aus dem Kanzleramt aber kommt nur eine zarte Rüge für den irrlichternden Minister anstatt seine Entlassung. Konsequent ist hier gar nichts. Höchstens der Irrsinn. Gleiches gilt für die erwiesener Maßen schädliche Diesel-Technik in deutschen Autos. Da finden wahnsinnig wichtige „Dieselgipfel“ mit der Kanzlerin statt. Und was passiert danach? Nüschte, wie man hier in Berlin sagt. Denn da wäre ja Konsequenz vonnöten. Aber Konsequenz ist in Deutschland nicht zu erwarten, wenn es um Maßnahmen geht, die der geheiligten deutschen Autoindustrie missfallen könnte.

Konsequenz ist eben schwer, und sie kostet etwas. Auch ich bin nicht immer konsequent: Ab und zu fliege ich mit dem Flugzeug in den Urlaub, gelegentlich esse ich Fleisch - und ein Auto, das die meiste Zeit nur blöd rumsteht, habe ich auch noch. Mein Freund Adam ist seit ein paar Jahren Vegetarier. Er hat kein Auto, trampt viel, und ein Smartphone hat er auch nicht mehr. Es sieht nicht danach aus, dass er deshalb unglücklicher wäre. Ich würde mit ihm gern mal über Konsequenz reden. Aber oben auf seinem Baum ist er ohne Handy nicht zu erreichen. Wenn er wieder unten ist, versuche ich, ihn zu erreichen. Dann kann er mir erzählen, wie ein konsequentes Leben so ist. Ich fürchte, er sagt, es macht Spaß.

Philipp Gessler

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