Silberglanz und Verfall

Eine Ausstellung über die Kunst des Alters in Hannover
Foto: pixelio/Dietmar Meinert
Es gibt eine intensive Kunst des Alters, eine Kunst, die ältere Menschen darstellt, positiv und negativ.

Inzwischen selber ziemlich alt (76), gehe ich erwartungsvoll in eine Ausstellung im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover. Sie trägt den Namen „Silberglanz. Von der Kunst des Alters“. Wohlgemerkt nicht „Von der Kunst des Alterns“, wie Ratgeber und Bekenntnisse von älteren Prominenten es anempfehlen, nach dem Motto: „Altwerden ist nichts für Feiglinge“, sondern „Von der Kunst des Alters.“

Welche Vorstellungen mit dem Alter verbunden werden zeigen Kunstwerke aus drei Jahrtausenden - vom Alten Ägypten bis in die Gegenwart. Und das ist das Überraschende. Es gibt eine intensive Kunst des Alters, eine Kunst, die ältere Menschen darstellt, positiv und negativ. Über 120 Exponate, darunter hochkarätige Leihgaben, vermitteln ein vielfältiges Bild des Alters, von der antiken Vorstellung des Alten als Träger von Wissen und Macht über die nachdenkliche Innenschau sich porträtierender Künstler bis hin zu den Werbekampagnen, die die Generation 60 plus ins Visier nimmt.

Dann ein Schock! In einem Raum liegt die stark verkleinerte Plastik eines alten nackten toten Mannes. Dead Dad nennt der Künstler Ron Mueck sein Werk. Erschreckend realitätsnah liegt der tote Vater auf dem Boden, fast wie der tote Christus auf Holbeins berühmtem düsteren Basler Gemälde. In dieser veristischen Darstellung spiegelt sich die Verletzlichkeit des Menschen. Als älterer Besucher wird man mit seinem eigenen unausweichlichen Ende konfrontiert: So wirst du auch einmal daliegen. Es ist zugleich aber auch eine Pieta der Erinnerung des Künstlers an den eigenen Vater. Vergleichbar bestürzend ist Daniel Mauchs kleine Skulptur Nackte Alte aus dem Jahr 1570. Sie ist aus dem harten Holz des Buchsbaums geschnitzt und in ihrer ungeschönten Wahrhaftigkeit eine Herausforderung für den Betrachter.

Die Zeichen des körperlichen Verfalls, schlaffe Haut und Hängebrüste, sind überdeutlich. Der Blick auf das Alter ist dem Wandel der Zeiten unterworfen und abhängig von der jeweiligen Kultur. So zeigen antike Bildnisse von Philosophen und Dichtern diese als ältere erfahrene Männer. Alter wird mit Weisheit gleichgesetzt. Im Mittelalter übertrug man diese Ansicht auf die Darstellung der Apostel und Heiligen. Obwohl Jesu Jünger junge Männer waren, wird der Petrus von Petro Perugino als würdevolle betagte Figur in einem Früchtekranz dargestellt, die ein wenig bekümmert und zugleich liebevoll dreinschaut.

Ganz anders das Selbstbildnis des älteren Max Liebermann, der im dunklen Anzug mit Pinsel und Palette den Betrachter selbstbewusst anblickt. Oder aber den Spiegel, um sein Antlitz zu sehen. Diese doppelte Perspektive nutzen die Ausstellungsmacher, um daraus für den Besucher eine „Selfie-Station“ zu kreieren. Der Besucher kann sich mit dem berühmten Künstler zusammen porträtieren. Schöne Idee!

Die Würde des Alters ist in Hannover besonders auf Frauenporträts zu erkennen. Lovis Corinth malt das Porträt der älteren Frau eines befreundeten Industriellen. Ihr ausladender Hut zeigt die nach wie vor mondäne Haltung, während die Augen und die Hände der Porträtierten von ihrem Alter sprechen. Cindy Shermann fotografiert eine in die Jahre gekommenen Diva, die dennoch mit erhobenem Kopf und elegischem Blick sich zu behaupten trachtet.

Silberglanz, welch doppeldeutiger Titel! Die Älteren mit ihrem grausilbernen Haar sind noch wertvoll, gerade auch als Konsumenten und Touristen, aber bald müssen sie abtreten, auch wenn es immer mehr Hochbetagte gibt. Die Hannoveraner Ausstellung beschönigt nicht, aber lässt den Glanz des Alters samt seines Verfall aufleuchten.

Die Ausstellung ist bis 18. Februar im Landesmuseum Hannover zu sehen.

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Hans-Jürgen Benedict

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Foto: privat

Hans-Jürgen Benedict

Hans-Jürgen Benedict war bis 2006 Professor für diakonische Theologie an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie des Rauhen Hauses in Hamburg. Seit seiner Emeritierung ist er besonders aktiv im Bereich  der Literaturtheologie.


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