Hochaktuell

Theologische Denkimpulse
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Die Sammlung lässt sich als eine kleine praktisch-theologische Theologiegeschichte der Gegenwart lesen, die in vielem hochaktuell ist.

Dass Gerhard Marcel Martin seine Marburger Abschiedsvorlesung „Am Ende des Alphabets: Zeitmaße“ an den Schluss seiner soeben erschienenen, über fünfhundert Seiten umfassenden Aufsatzsammlung gesetzt hat, scheint kein Zufall zu sein.

Dabei täuscht die Bezeichnung „Abschied“. Der Praktische Theologe hat sich zwar schon 2007 vom regulären akademischen Dienst verabschiedet, ist aber seitdem nicht weniger theologisch produktiv gewesen. In unvergleichlicher Intensität tritt Martin weiterhin in Dialog auf den verschiedenen Bühnen des Denkens und, wie er immer wieder betont, des Wahrnehmens und des Fühlens in Wissenschaft und Gesellschaft auf - und gerne in leiblicher Bewegung. Er war nie der Mann der großen Monographien im stillen Kämmerlein.

Wohl aber hat er durch programmatische Essays im rechten Moment die Praktische Theologie fast fünfzig Jahre lang sehr inspiriert und in großer Kontinuität - „verbindlich“, wie er selber gerne schreibt, - den Dialog zwischen Seelsorge und Tiefenpsychologie, zwischen Christentum, Judentum und Buddhismus, zwischen Literaturwissenschaften und Homiletik geführt, um nur einige Bereiche zu nennen. In diesem Sammelband spiegelt sich sein Lebenswerk als Praktischer Theologe.

So begegnen einem in der Sammlung von 44 Aufsätzen, die er im Rahmen eines enzyklopädischen Registers praktisch-theologischer Begriffe von A bis Z überzeugend anordnet, zum einen klassische Impulsgeber wie „Ausverkauf oder armes Theater. Unsere Kultur im Kontext gegenwärtiger Kultur“ oder „‚Bibliodrama‘ als Spiel, Exegese und Seelsorge“. Es sind aber in diesem Buch auch sämtliche Vorträge veröffentlicht, die Martin im Rahmen der Jahrestagungen der „Internationalen Gesellschaft für Tiefenpsychologie“ zwischen 1979 und 2000 gehalten hat. Beim Lesen wird deutlich: Die Tiefenpsychologie ist für seinen ästhetisch-subjektiv begründeten, zunehmend phänomenologischen Zugang zur Erkenntnis grundlegend gewesen.

Das Buch erschließt darüber hinaus Martins praktisch-theologische Wege der letzten Jahre im Bereich von Mystik, Spiritualität und interreligiösem Dialog, insbesondere mit dem Buddhismus. Sie wurden Martin unter anderem durch seine Gastprofessur an der Otani-Universität in Kyoto, nach seiner Emeritierung von 2006 bis 2008, ermöglicht, eine Ehre, die seine fächerübergreifenden Kompetenzen zeigt.

Die Sammlung lässt sich als eine kleine praktisch-theologische Theologiegeschichte der Gegenwart lesen, die in vielem hochaktuell ist. Wie sehr dabei die Praktische Theologie mit der - positiven - Subjektivität des Denkenden verbunden ist, macht Martin in Darstellungen akademischer Lehrer und Denkpartner von Karl Jaspers und Ernst Bloch über Jürgen Moltmann bis zu Henning Luther deutlich.

Die immer würdigende Diskussion von deren Denkimpulsen in systematischer und prägnanter Kürze ist höchst instruktiv und macht die Entwicklung einer Praktisch Theologischen Disziplin deutlich, deren Reichtum vor allem durch Angstfreiheit im theologischen Denken und Forschen gekennzeichnet ist.

Marcus A. Friedrich

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