Zur rechten Zeit

Gottesvorstellungen in der Antike
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Dass die antiken jüdischen Gottesvorstellungen „zwei Götter“ umfassten, weckt Neugier.

In seinem sehr lesenswerten Buch behandelt der renommierte Judaist Peter Schäfer ein auf den ersten Blick ungewohntes Thema, das bisher nur in Fachkreisen diskutiert wurde. Mit dem Judentum verbindet man zunächst das reflektierte Konzept eines einzigen trans-zendenten Gottes, der sich dem Volk Israel offenbart hat und als Schöpfer einen universalen Horizont eröffnet. Dass die antiken jüdischen Gottesvorstellungen „zwei Götter“ umfassten, weckt Neugier.

Wie sich zeigt, geht es Schäfer, in Weiterführung eigener Publikationen, um eine historische Spurensuche, die den vielleicht etwas vollmundigen Titel auch relativiert: Er zeichnet in einem zeitlichen Bogen von mehr als 1?000 Jahren (2. Jh. v. Chr. bis ca. 900 n. Chr.) die Geschichte einer dem jüdischen Gott JHWH untergeordneten zweiten Gestalt nach, die mit „vergöttlichten“ Menschen (Henoch, David) und „aufgewerteten“ Engeln (Michael, Metatron) identifiziert wurde. Diese Geschichte kann weder einlinig, noch bruchlos rekonstruiert werden und beleuchtet die wechselseitige Herausbildung von rabbinischem Judentum und Christentum. Dabei geht es auch um Unterschiede dieses Verhältnisses in Palästina unter römischer Herrschaft und in Babylonien unter den Sasaniden.

Es ist vorrangig die Epoche der Spät-antike, in der sich explizit Aussagen zu einem „zweiten Gott“ finden. Doch wird die direkte Bezeichnung „Gott“ fast immer vermieden. Nur einmal spricht das mystische 3. Henochbuch vom „kleinen JHWH“, andere Texte fragen zurückhaltend, ob es „zwei Mächte (raschut) im Himmel“ gebe. Schäfer greift weit aus, um diese Aussagen nicht nur in ihrem historischen Kontext verständlich zu machen, sondern auch vor dem Hintergrund des antiken Judentums des Zweiten Tempels. Teil eins setzt ein mit Daniel 7,9–13 (2. Jh. v. Chr.), wonach der „Menschensohn“ (vermutlich ein Engel) und der „Hochbetagte“ (JHWH) am Ende der Tage zusammen die Erde richten werden. Auf diese mehrdeutige Stelle beziehen sich fast alle folgenden Konzepte für die Idee einer zweiten richtenden und rettenden gottnahen Gestalt. Die vorbildlich quellennah präsentierten Passagen aus der jüdischen Traditionsliteratur werden gut verständlich aufgeschlüsselt: Teil eins behandelt neben der mit Daniel 7 anhebenden Linie (zum Beispiel Daniel-Apokryphon aus Qumran, Bilderreden in 1. Henoch) die unter anderem hellenistisch beeinflusste Vorstellung von der uranfänglich bei Gott befindlichen personifizierten Weisheit und die Logos-Spekulation des Philos von Alexandria.

Ein Zwischenstück nach Teil eins beleuchtet knapp, wie der „Menschensohn“ und der Schöpfungsmittler den Christologien der Texte des späteren Neuen Testaments als Vorgaben dienten. Ob das in der judaistischen Debatte für die frühjüdischen Vorstellungen gebrauchte Adjektiv „binitarisch“ (in Anlehnung an die Trinitätslehre) glücklich gewählt ist, sei dahingestellt.

Teil zwei widmet sich dem rabbinischen Judentum und der frühen jüdischen Mystik: Nach dem Blick auf den palästinischen Beleg der Auslegung von Exodus 20,2 in der Mekhilta konzentriert sich Schäfer auf die Hekhalot-Literatur: Das Ringen der Gestalter des babylonischen Talmud mit der mystischen Spekulation der Hekhalot-Texte über die himmlischen Thronhallen JHWHs wird spannend geschildert: Es ist besonders die rätselhafte Gestalt des Engels Metatron, der zugleich der transformierte Mensch Henoch aus Genesis 5,24 ist, an der sich der Streit um die „zwei Mächte im Himmel“ entzündet.

Am Ende fällt ein Schillern zwischen sehr pointierten (der jüdische Himmel sei „oft auch mit zwei Göttern [...] bevölkert“ gewesen) und zugleich zurückhaltenden Aussagen auf („Ich spreche [...] vorsichtig von einer ,semi-göttlichen‘ Gestalt neben dem Schöpfergott“). Dem Rezensenten erscheint Letzteres einleuchtend: Schon der reduzierte Polytheismus der staatlichen Zeit Israels und Judas bis 586 v. Chr. und des, ab dem 6. Jh. v. Chr. folgenden, plastischen (nicht theoretischen) Monotheismus umfasste immer auch göttliche Größen unterhalb von JHWH, was vor allem der Königsmetapher geschuldet ist, die einen Hofstaat (Engel) mit einschloss.

Auch den Davididen Jerusalems verlieh man im Lichte altorientalischer Königsideologie Gott-nahe Züge. Hierzu fällt auf, dass der für die Stellung des erhöhten Christus zur Rechten Gottes im Neuen Testament zentrale Textbeleg, Psalm 110 (LXX), im Buch nicht erwähnt wird; vielleicht weil seine jüdische Rezeption erst spät und verhalten messianische Züge aufweist?

Schäfers Buch kommt schließlich auch zur rechten Zeit, weil in der Protestantischen Theologie der Wert des Alten Testaments und die Neuheit des Christentums wieder kontrovers diskutiert werden. Es zeigt, ohne die Unterschiede zu verwischen (so hat die Menschwerdung Gottes keine jüdische Parallele), die enge Verwobenheit der Identitätsbildung von Judentum und Christentum in der Antike.

Friedhelm Hartenstein

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