Reinigungsmittel

Kolumnen für eine weltoffene Theologie aus Zürich
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Es ist Religionskritik vom Feinsten, nicht zynisch, sondern theologisch aufgeklärt.

Ein wenig kürzer als ein Artikel, aber länger als ein Witz, verspricht die gute Kolumne leichte und geistreiche Lektüre. Was kommt heraus, wenn ein Theologe sich in dieser Kunstform versucht? Niklaus Peter, Pfarrer am Zürcher Fraumünster, wagt den Versuch und hält das Versprechen. Denn er hat etwas zu sagen, und schreiben kann er auch. Seine prägnanten literarischen Aperçus sind ein Genuss – schmecken auch einmal leicht salzig oder süss-sauer, aber nie geschmacklos. Das Bändchen mit dem verspielten Titel „Schachfigur – oder Schachspieler“ enthält vierzig in sechs Kapiteln versammelte Kolumnen, die ursprünglich im Magazin des Tagesanzeigers erschienen sind. Sie richten sich an eine größere Leserschaft, die außerhalb der kirchlichen Binnenwelt lebt.

Niklaus Peter verführt auf heiter-listige Weise, die eigenen Wahrnehmungs und Gedankenroutinen zu unterbrechen und so die Chance zu packen, „aus alten Geistesräumen mit ihren Staubschichten auszuwandern“. Selbiges traut er den Gleichnissen zu – den kleinen Alltagsgeschichten aus Galiläa, die ein wenig länger sind als ein Witz. Witzig dann auch der Vergleich mit dem Jazz als der Kunst des Unerwarteten. Der Auftakt ist gelungen. Überraschend und erfrischend, wie Peter es versteht, mit Denkmodellen, Bildern, Problemen, Figuren und Gestalten aus dem weiten Kosmos der christlichen Geistesgeschichte zu improvisieren – indem er genau hinhört und merkt, was er weglassen muss. Eine Romanidee von Gilbert Keith Chesterton wird zur Werbung für Erkundungen in der Kulturlandschaft des Glaubens, ein Geistesblitz von Blumenberg erhellt den Crashkurs in biblischer Anthropologie, eine raffiniert gebaute Satzmaschine Søren Kierkegaards wird zum Anlass innezuhalten, bevor man wieder Gas gibt im Leben. Der Reiz dieser Miniaturen, ihre Würze und ihre Kraft, verdanken sich ungewohnten Kombinationen und frechen Fragen. Ein Tropfen Glück von Diogenes – und schon schmeckt Friedrich Schleiermacher ganz frisch. Warum ist August Rodins berühmte Skulptur eines Denkers ein Muskelprotz? Worin besteht die reflexive Aufgabe der Medien und was hat das mit dem diabolischen Spiegel aus Hans Christian Andersens Märchen von der Schneekönigin zu tun? Warum sind viele Erfolgsbücher der Geistesgeschichte so atemberaubend schwierig zu lesen? Wann wird Religion toxisch?

In Peters Texten wird eine weltoffene Theologie Reinigungsmittel für ein Christentum, das zur Wellnessreligion zu verkommen droht. Aber er putzt niemanden herab, wird nie frömmlerisch oder moralisch. Auch dann nicht, wenn er die liberale Wurstigkeit der Halbgebildeten aufs Korn nimmt, die meinen, sie wüssten Bescheid – zum Beispiel über Zwingli. „Wenn man all jene, die beim Zwingli-Denkmal am Helmhaus vorbeidüsen ins Vorurteilmessröhrchen blasen ließe, so wäre das statistisch einwandfrei erhobene Resultat ‚Haudegen und Militärkopf‘.“ Vielleicht ist es das, was den Autoren auszeichnet? Dass er mit Denkfrische, Klarheit und feinem Humor Vorurteile entsorgt. Es ist Religionskritik vom Feinsten, nicht zynisch, sondern theologisch aufgeklärt – eine Wohltat für alle, die genug haben vom dünnen Geschwafel der religiösen Bauchredner und einer Kirche, die jede Software auf ihrer Hardware toleriert. Das Einzige, was der Rezensent Kritisches zu sagen weiß: Er hätte es gut gefunden, wenigstens im Anhang das Datum der Erscheinung zu notieren. Einige dieser Kolumnen haben das Format eines Kalenderblattes, andere spiegeln Tagesgeschehen. Wie auch immer: Alle bieten Reflexion. Vor allem belegen sie aufs Schönste, dass das Wort Gottes ein Bonmot ist.

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