Kurios kulinarisch

Eine Geschichte des Abendmahls
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Ein so reichhaltiges wie kurzweiliges, mitunter auch kurioses, aber stets zum Nachdenken anregendes Panorama christlicher Frömmigkeitspraxis im globalen Horizont.

Kulinarisches kommt einem wohl nicht als Erstes in den Sinn, wenn man ans Abendmahl denkt. Aller theologischen Bedeutung zum Trotz schmeckt eine Oblate doch eher nichtssagend. Und auch die gängigen Abendmahlweine sind – nach dem Urteil einer ausgewiesenen Weinkennerin, die von der Süddeutschen Zeitung befragt wurde – im Durchschnitt kaum besser. In seiner kulinarischen Geschichte des Abendmahls geht es Anselm Schubert denn auch um mehr als um bloße Geschmacksfragen. Zwar richtet der Erlanger Kirchengeschichtler den Blick bewusst auf die äußeren Elemente des Abendmahls, auf die Nahrungsmittel in ihrem sozialen und kulturellen Kontext. Doch gelangt er auf diesem nur scheinbaren Umweg zugleich zum theologischen Kern des Abendmahls – und zu seinen Wandlungen in der Geschichte des Christentums.

Herausgekommen ist dabei ein so reichhaltiges wie kurzweiliges, mitunter auch kurioses, aber stets zum Nachdenken anregendes Panorama christlicher Frömmigkeitspraxis im globalen Horizont. Unter den zahlreichen Facetten stechen zwei historische Linien besonders ins Auge: Die erste beginnt mit der ursprünglichen Einheit von Gemeinschafts- und Kultmahl und führt über ihre Trennung im Laufe der Kirchengeschichte zur offenen Frage nach ihrer erneuten Annäherung.

So zeigt Schubert, wie sich das frühchristliche Abendmahl an die antike Tradition der Symposien anlehnt. Die ersten Christen feiern in den Häusern mit mitgebrachten Speisen ein ausgiebiges Festmahl mit zeremonieller Rahmung. Eingebettet in Essen und Trinken, Gespräch und Gesang ist die Liturgie des Brotbrechens und der Kelchspende. Diese auf kleine Zahlen angelegte Form stößt mit dem Wachsen der Gemeinden an organisatorische Grenzen. So wird der kultische Teil ausgegliedert und zunehmend ritualisiert. Brot und Wein lösen sich von der Fülle der Speisen und werden zu Gaben, die die Kirche verwaltet. Auch die Reformation ändert daran nur wenig. Erst im zwanzigsten Jahrhundert sieht Schubert Tendenzen, die Trennung von Gemeinschafts- und Kultmahl wieder aufzuheben.

Eine zweite größere Linie hängt damit eng zusammen: In zahlreichen Variationen führt Schubert vor, wie vielfältig die Formen und Elemente sind, in und mit denen überall auf der Welt Abendmahl gefeiert wird. Mit der Ausbreitung des Christentums in Gegenden, die weder Wein noch Weizen kennen, muss man erfinderisch werden und begeht das Abendmahl mit dem, was man hat: Reis, Kokosnüsse, Bier oder gar Limonade. Dieser kulturellen Vielfalt laufen allerdings stets auch Bestrebungen zur Normierung einer bestimmten Form entgegen, die damit mal mehr und mal weniger Erfolg haben.

Liest man Schuberts kulinarische Geschichte des Abendmahls, dann verliert jedenfalls die Form, in der man selbst das Abendmahl zu feiern gewohnt ist, den Anschein überzeitlicher Selbstverständlichkeit: Es geht eben immer auch anders. Solche Zufälligkeit kann man bedauern. Man kann aber auch sagen: Gerade im Fehlen einer kanonischen Form liegt die besondere Ausdruckskraft des Abendmahls. Denn was sind die Elemente? Mit Anselm Schubert gesprochen: „Sie sind der Beitrag der Menschen zum Gottesdienst, nicht mehr, aber auch nicht weniger. In diesen Elementen und ihren Formen spiegelt sich ihr Leben in seinen Zwängen und Möglichkeiten, ihr Glaube und ihr Zweifel, ihre Not und ihr Überfluss, ihre Vorlieben und ihre Tabus, kurz: ihr ganzes Leben. Erst wenn das Abendmahl dieses Leben in all seiner Buntheit und Vielfalt nicht mehr darstellt, erst dann hat das Abendmahl seinen Sinn verloren.“

Tobias Braune-Krickau

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