„Was geht mich das an?“

Gespräch mit der Praktischen Theologin Ursula Roth über die Frage, wie der Glaube an die Auferstehung heute Relevanz gewinnen kann
Foto: Uni Frankfurt
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zeitzeichen: Frau Professorin Roth, welche Rolle spielt „Auferstehung“ in Ihrem persönlichen Glaubensleben?

URSULA ROTH: Großen Eindruck hinterlassen bei mir schon immer Osterlieder. Ich finde es erstaunlich, wie es Osterliedern gelingt, zu einem fröhlichen, hoffnungsvollen Auferstehungsglauben anzustiften. Der Einfluss religiöser Lieder darf hier nicht unterschätzt werden. Osterlieder tragen Auferstehungshoffnung weiter, jenseits des theologischen Arguments und jenseits der intellektuellen Auseinandersetzung, sie können uns gleichsam mit hineinnehmen in eine generationsübergreifende Gewissheit.

Wann werden Sie in Ihrem Alltag in besonderer Weise mit dem Auferstehungsglauben konfrontiert?

URSULA ROTH: Ganz häufig bei Beerdigungen. Leider erlebe ich immer wieder, dass die Auferstehungsbotschaft auf dem Friedhof als reine Behauptung präsentiert und dabei wie ein Faktum vorausgesetzt wird. Der Auferstehungsglaube erscheint dann wie eine Zulassungsvoraussetzung. Dass die Auferstehungsbotschaft eine Verheißung enthält und Hoffnung wecken will, kann dabei zu kurz kommen. Trost stiftet eine derart gesetzliche Rede von der Auferweckung wohl eher nicht.

Aber der Apostel Paulus liefert für so eine Haltung in der berühmten Passage in 1. Korinther 15 ja auch ein wirkmächtiges Vorbild, wenn er schreibt: „Ist aber Christus nicht auferweckt worden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich. (…) Denn wenn die Toten nicht auferstehen, so ist Christus auch nicht auferstanden. (…) Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen (Verse 14.16.19) …

URSULA ROTH: Das stimmt, aber Paulus spricht in 1. Korinther 15 nicht zu Hinterbliebenen am Grab, sondern schreibt in eine spezifische Diskurssituation hinein. Wenn wir über den Auferstehungsglauben sprechen, reden wir nicht im luftleeren Raum, sondern immer in eine bestimmte Situation hinein. Als Praktische Theologin geht es mir genau um diese Frage: Mit welchen sprachlichen Bildern und welchen rationalen Argumenten kann der Glaube an die Auferstehung in unterschiedlichen Situationen konkret werden? Und manchmal ist es nicht das dogmatische Argument, das hier zählt, sondern ein Lied oder eine der biblischen Ostergeschichten. Der Auferstehungsglaube lässt sich nicht auf ein dogmatisches Wissenselement reduzieren.

Machen wir trotzdem mal einen Ausflug in die Systematische Theologie. Seit dem 20. Jahrhundert ist besonders die Auffassung prägend geworden, die mit dem Namen Rudolf Bultmann verbunden ist, nämlich dass Jesus ins Kerygma auferstanden sei – das wurde dann variiert von seinen Schülern, zum Beispiel Herbert Braun in die Formel „Die Sache Jesu geht weiter“ oder auch in gewisser Weise von Notger Slenczka, der in dieser zeitzeichen-Ausgabe seinen Beitrag mit dem Satz beschließt: „War das Grab Jesu nun also ‚leer‘ oder ‚voll‘? Was für eine überflüssige Frage!“ (siehe Seite 32). Ist die Frage nach dem leeren Grab auch für Sie eine überflüssige Frage?

URSULA ROTH: Aus dogmatischer Perspektive mag die Frage überflüssig sein. Als Praktische Theologin nehme ich wahr, dass es häufig genau diese Frage ist, mit der sich religiös interessierte Menschen dem Thema Auferstehung nähern. Das möchte ich ernst nehmen, es erscheint mir unangemessen, diese Frage kurzerhand als ‚falsche‘ Frage abzutun. Schließlich stellen diese Frage auch Theologen, ich denke etwa an Hans von Campenhausens berühmte Untersuchung „Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab“ – ein groß angelegter Versuch, die biblischen Texte als historische Quellen zu nutzen. Die Wahrheit der biblischen Erzählungen erschließt sich mir selbst dabei allerdings nicht. Ich lese die biblischen Texte anders.

Wie sollen wir die Ostergeschichten verstehen?

URSULA ROTH: …als literarische Texte. Lassen Sie uns die Erzählungen aus dem Neuen Testament als Literatur verstehen, die der Leserin im Vollzug des Lesens eine religiöse Erfahrung öffnen möchte.

Um die Frage „Was geschah damals ‚wirklich‘?“ geht es dabei jedenfalls nicht.Nun ist ja die Antwort auf diese Frage durchaus abhängig davon, was für ein Verständnis man von unserer Welt oder – umfassender gesagt – von der Wirklichkeit hat. Karl Barth war sich wohl mit Bultmann darüber einig, dass die Frage nach dem leeren Grab eine überflüssige sei, aber er hält daran fest, dass die Auferstehung real sei – wenn auch anders als alle sonstigen Ereignisse um Jesus, da sie ohne jede menschliche Beteiligung stattgefunden habe. Deshalb sei sie mit den Mitteln der historischen Forschung prinzipiell nicht fassbar. Peter Bukowski sieht das in dieser zeitzeichen-Ausgabe ähnlich, wenn er schreibt, dass sich der Kern des Geschehens dem historischen Beweis ebenso wie einer historischen Kritik entziehe, aber er trotzdem daran festhält, der Auferstehungsglaube sei ein begründeter Glaube (Seite 29). Was meinen Sie?

URSULA ROTH: Gehen wir einen Schritt zurück: Was ist denn die Osterbotschaft? Zunächst fällt doch die Vielfalt ganz unterschiedlicher Ostererzählungen ins Auge. Die Erzählung vom leeren Grab ist nur eine von vielen, es gibt nicht die eine Osterbotschaft. Es gibt in den Evangelien ganz unterschiedliche Szenen mit geradezu komischen Details und überraschenden Pointen. Im Lukasevangelium (24,36–49) halten die Jüngerinnen und Jünger den Auferstandenen für einen Geist, sie geraten in Panik, sind verwirrt, entsetzt, von Furcht und Freude überwältigt, sie zögern, zweifeln und staunen. Oder denken wir an das Ende des Markusevangeliums (16,1–8), als die Frauen entsetzt fliehen und niemandem etwas sagen. Oder an das Johannesevangelium (20,11–18), als Maria Magdalena den Auferstandenen für den Gärtner hält. Die Ostererzählungen enthalten dramatische und emotional hoch aufgeladene Szenen, die immer wieder neu in Szene gesetzt sein wollen. Es wird in manchen Predigten viel verspielt, wenn diese Texte zu schnell erklärt, aufgelöst und dadurch gleichsam ‚abgehakt‘ werden.

Trotzdem hat man den Eindruck, der historische Grund der Auferstehung ist die Frage, die den Menschen am meisten unter den Nägeln brennt …

URSULA ROTH: Das glaube ich nicht. Ich habe den Eindruck, dass religiös interessierten Menschen eine andere Frage nicht minder wichtig ist: „Was geht das mich an? Was hat das mit mir zu tun?“ Zwischen den immer wieder traktierten Fragen „Was war damals mit Jesus?“ und „Was wird einst mit uns nach unserem Tod sein?“ spannt sich doch ein ganz anderes Feld auf: Was hat der Auferstehungsglaube mit uns und unserem Leben zu tun, mit meinem Blick auf die Welt und mit meinem Umgang mit dem Tod? Wir müssen den Auferstehungsglauben auf das Leben hier und jetzt beziehen, im Sinn einer präsentischen Eschatologie nach der Relevanz für unser Selbst- und Weltverständnis fragen. Diese Frage nach der Relevanz hatte Rudolf Bultmann mit seinem Entmythologisierungsprogramm im Blick, und dieser Grundimpuls war wichtig. Allerdings wurde die Auferstehungsbotschaft dabei so sehr fokussiert und reduziert, dass das Potential der biblischen Texte meines Erachtens dabei stark abgekürzt wurde.

Dann gibt es also auf die Frage nach dem leeren Grab keine sinnvollere Antwort als eben die, dass es die falsche Frage ist?

URSULA ROTH: Zum einen ist die Frage nach dem leeren Grab sinnvoll, denn mit ihr steht in Frage, was für eine Art von Erfahrungswirklichkeit diesen Texten zugrunde liegt. Zum anderen ist sie missverständlich, da die Erzählungen von der Auferweckung Jesu dabei als historische Berichte Verwendung finden. Das sind die Texte aber nicht. Die biblischen Texte setzen den Auferstehungsglauben in Szene und plausibilisieren ihn im Kontext des christlichen Glaubens. Dabei setzen sie auch ganz unterschiedliche Reaktionsweisen in Szene. Es ist aufschlussreich, dass die Jüngerinnen und Jünger angesichts der Erscheinungen des Auferstandenen gerade nicht im Profil der Glaubenshelden gezeichnet werden – ganz im Gegenteil. Die biblischen Texte geben keine eindeutige Antwort auf eine historische Frage. Stattdessen zielen sie auf eine bestimmte Leseerfahrung ab. Sie wollen unseren Blick verändern. Jedes der Evangelien, wenn wir sie als Ganzes betrachten, führt die Leserinnen und Leser auf die Auferstehung hin. Der auferstandene Gekreuzigte ist von Anfang an in jedem Evangelium vorausgesetzt.

Was bedeutet diese Einsicht konkret für den Auferstehungsglauben?

URSULA ROTH: Die Herausforderung besteht darin, den Auferstehungsglauben an den christlichen Blick auf Gott und die Welt zurückzubinden und von dorther konkret werden zu lassen. Der Glaube an die Auferstehung lässt sich nicht unabhängig von der Vorstellung von Gott als Schöpfer fassen. Die Auferstehungsbotschaft gewinnt zudem an Plausibilität, wenn sich die Hoffnung darauf, dass die lebensfeindliche Macht des Todes überwunden ist, in das eigene Lebensgefühl einzeichnen lässt. Und letztlich lässt sich auch die Einsicht, dass die Welt – wir und alles in ihr – erlösungsbedürftig ist, weil nichts so ist, wie es sein sollte, die Auferstehungsverheißung in einem ganz anderen Licht erscheinen. Die Hoffnung auf Auferstehung wird dann zur Hoffnung darauf, dass die Differenz der erfahrenen Wirklichkeit zu dem, was die biblischen Texte als Reich Gottes beschreiben, nicht endgültig ist.

Was heißt das konkret?

URSULA ROTH: Diese Verheißung relativiert den Letztgültigkeitsanspruch bestimmter Erfahrungen, etwa die Erfahrung, dass Streit Beziehung unwiderruflich abbricht, oder die Erfahrung, dass der Tod uns endgültig definiert, weil er offensichtlich stärker ist als das Leben. Die Auferstehungsbotschaft zielt darauf ab, Leben als etwas zu verstehen, das vom Tod gerade nicht beschränkt ist, als etwas, über das der Tod keine letztgültige Definitionsmacht hat. So schmerzlich die Erfahrung des Todes, etwa beim Tod eines geliebten Anderen, ist: Es gilt die Verheißung, dass dieser Abbruch, dieser Verlust nicht von letzter Gültigkeit ist und die Bedeutung der abgebrochenen Beziehung nicht in Frage stellt.

Wie geht das in der Praxis?

URSULA ROTH: In der religiösen Praxis – im Gottesdienst oder im Seelsorgegespräch – sind es religiöse Sprachformen, nicht so sehr theologische Texte, die zum Auferstehungsglauben anstiften. Ich denke dabei nicht nur an biblische Texte, sondern auch an religiöse Gedichte. Zum Beispiel das Gedicht „Auferstehung“ von Marie Luise Kaschnitz. ‚Auferstehung‘ wird hier als Erfahrungswirklichkeit „mitten am Tage“ skizziert. Das Gedicht wirkt gerade dadurch, dass der Inhalt dieser Auferstehungserfahrung letztlich nur zaghaft angedeutet wird (siehe Text auf der vorherigen Seite). Oder der „Entwurf für ein Osterlied“ von Rudolf Otto Wiemer, der in starken Bildern das Bild des himmlischen Friedens in die Gegenwart einzeichnet: „Die Erde ist schön, und es lebt sich leicht im Tal der Hoffnung. / Gebete werden erhört. Gott wohnt nah hinterm Zaun“, oder der schöne Schluss: „Der Engel steht abends am Tor. / Er hat gebräuchliche Namen und sagt, wenn ich sterbe: Steh auf.“ (siehe diese Seite links)

Was will uns das sagen?

URSULA ROTH: Interessanter finde ich die Frage, wieso es gerade Texte wie diese sind, auf die Menschen ihren Auferstehungsglauben oder auch ihren Auferstehungszweifel beziehen. Wieso werden gerade Texte wie diese im Rahmen der privaten Frömmigkeitspraxis verwendet? Offensichtlich kann sich in poetischen Texten oder auch in der Musik eine Gewissheit vermitteln, die sich mit dem dogmatischen Argument nicht so schnell einstellen mag.

Können Sie dafür ein konkretes Beispiel nennen?

URSULA ROTH: Wenn ich „Christ ist erstanden“ singe, vergegenwärtige ich eine Glaubensgewissheit, die über Generationen als Trost und Ermutigung wahrgenommen wurde. Das berührt mich vor allem auch emotional. Je nach religiöser Sozialisation können das bei anderen Menschen ganz andere Lieder oder ganz andere Musiken sein. Ganz generell scheint mir, dass wir beim Nachdenken über den Auferstehungsglauben gerade die emotionale Wirkung von Ostergeschichten, Osterliedern und Ostergedichten nicht vernachlässigen dürfen.

Die Fragen stellte Reinhard Mawick am 1. März in München.

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Entwurf für ein Osterlied

Die Erde ist schön, und es lebt sich leicht im Tal der Hoffnung. Gebete werden erhört. Gott wohnt nah hinterm Zaun.

Die Zeitung weiß keine Zeile vom Turmbau. Das Messer findet den Mörder nicht. Er lacht mit Abel.

Das Gras ist unverwelklicher grün als der Lorbeer. Im Rohr der Rakete nisten die Tauben.

Nicht irr surrt die Fliege an tödlicher Scheibe. Alle Wege sind offen. Im Atlas fehlen die Grenzen.

Das Wort ist verstehbar. Wer Ja sagt, meint Ja, und „Ich liebe“ bedeutet: jetzt und für ewig.

Der Zorn brennt langsam. Die Hand des Armen ist nie ohne Brot. Geschosse werden im Flug gestoppt.

Der Engel steht abends am Tor. Er hat gebräuchliche Namen und sagt, wenn ich sterbe: Steh auf.

(Rudolf Otto Wiemer: Ernstfall. Gedichte, Kiel 1963)

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Auferstehung

Manchmal stehen wir auf

Stehen wir zur Auferstehung auf

Mitten am Tage

Mit unserem lebendigen Haar

Mit unserer atmenden Haut.

Nur das Gewohnte ist um uns.

Keine Fata Morgana von Palmen

Mit weidenden Löwen

Und sanften Wölfen.

Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken

Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.

Und dennoch leicht

Und dennoch unverwundbar

Geordnet in geheimnisvolle Ordnung

Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.

(Marie Luise Kaschnitz: „Seid nicht so sicher. Geschichten, Gedichte, Gedanken“, Gütersloh 1979)

Ursula Roth

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