Verschrottete Dämonen

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Die Gedanken zu den Sonntagspredigten in den kommenden Wochen stammen von Jürgen Kaiser. Er ist Pfarrer in Stuttgart.

Besiegte Angst

Sonntag Judika, 18. März

Da sprach der Herr zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben. (4. Mose 21,8–9)

Wer in der Wüste lebt oder durch sie ziehen muss, begegnet Schlangen. Vor ihnen hat man Angst. Und man kann seine Ängste auch auf sie projizieren. Sie werden dann zu Dämonen, ja zum Symbol des Schlechten, des Bösen, des Teufels. So werden aus Schlangen Gottheiten des Todes. Sie wurden auch angebetet, um sie abzuwehren.

Schlangen spielen in allen Kulturen eine Rolle – als Dämonen, als das Böse oder umgekehrt als etwas Heiliges, das man gleichwohl fürchten muss. Die alten Hebräer haben die Schlangen dagegen entdämonisiert, ja entmythologisiert. In der Geschichte von Mose und der Schlange aus Erz werden sie zu Werkzeugen Gottes. Zunächst zu bösen, mit denen Gott sein Volk, das mal wieder murrt und ungehorsam ist, bestraft.

Aber so wurden Schlangen zu Werkzeugen und nicht zu Göttern. Die Schlangengötter waren vielmehr abgeschafft, hatten ihre Macht verloren. Vor Schlangen musste man sich zwar immer noch in Acht nehmen, aber eben vor Tieren, nicht mehr vor Göttern. Und die eherne Schlange stand später im Tempel von Jerusalem herum, bis sie der Prophet Hiskia schlicht entrümpelte. Andere Völker beteten Schlangen noch als Dämonen an, als Hiskia die eherne Schlange auf den Schrottplatz warf.

Archaisch ist der Predigttext, und so liest er sich auch. Dabei ist er ein Text der Befreiung. Niemand anderes als Gott befreite seine Leute vor dämonischen Vorstellungen. Der Gott der Juden ist eben einer, der befreit – das ist die Botschaft. So waren die Ängste nur noch Ängste, keine Götter mehr. Götter kann man nicht besiegen, aber Ängste schon.

Steiniger Weg

Palmsonntag, 25. März

Gott der Herr hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel. (Jesaja 50,5–6)

Auch wenn man es in Deutschland kaum für möglich hält: Weltweit wächst die Zahl der Christen. Denn für viele ist die Botschaft Gottes nicht nur eine, die befreit, sondern auch eine, die erfolgreich, schön und reich macht. So propagieren es jedenfalls viele Prediger. Und das nicht nur im fernen Südamerika und Afrika. Mitunter auch bei uns. Und wenn man als Christ nicht erfolgreich, schön und reich wird, hat man zu wenig geglaubt.

Dann fehlt es eben an Glaubensstärke, und es gilt: Zurück auf Los, nochmal versuchen! Jene Erfolgsprediger und ihre Jünger, alle Wellness-Christen sollten nicht lesen, was der Schüler des Jesaja schreibt. Denn der verhagelt ihre Show. Er behauptet glatt das Gegenteil von dem, was jene verkündigen. Der Gläubige ist bei ihm ein Jünger, ein Knecht Gottes, der leidet, der eine Wahrheit verkündet, die niemand hören will. Die Botschaft macht ihn nicht stark und reich, sondern führt in die Erfolglosigkeit.

Aber das bedeutet nicht, dass Gott sich abgewendet hat. Im Gegenteil. Gott kommt gerade im Leiden ganz besonders nahe. Das hat das Volk Israel erfahren. Und Christen erkennen das durch die Geschichte von Jesus von Nazareth. Sie beginnt ja in einfachsten Verhältnissen, in einem Stall, in einer Krippe.

So kommt Gott zu den Menschen nicht als allmächtiger Herrscher, sondern als hilfloses Baby. So etwas gibt es in keiner anderen Religion. Das zeichnet das Christentum aus. Gott beschreitet in Jesus den steinigen Weg vom Stall in Bethlehem zum Kreuz in Jerusalem. Da ist es nichts mit Erfolg, Schönheit und Reichtum.

Aber das Ziel, das hat es in sich. Nur ist das ein anderes, als das, was die Wellnessprediger und ihre Anhänger erstreben. Ich habe mal ein Graffiti mit der Aufforderung gesehen: „Mach‘s wie Gott! Werde Mensch!“ Und dazu gehören die dunklen Seiten des Lebens, die Brüche, die eigene Schwäche, Versagen und Leiden. Aber in all dem kommt Gott ganz nah. Hinfallen ist normal. Aber mit Gott kann man immer wieder aufstehen – und mitmachen, dass die Welt und die Menschen friedvoller, gerechter und fröhlicher werden.

Scheinbare Eselei

Karfreitag, 30. März

Und darum ist er auch der Mittler des neues Bundes, auf dass durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen. (Hebräer 9,15)

Als man in Rom eine Hauswand aus frühchristlicher Zeit ausgrub, fand man ein Graffiti, das wohl um das Jahr 100 nach Christus angebracht worden war. Es zeigt einen gekreuzigten Esel und darunter den Satz: „ Marc, der Christ, betet einen Esel an.“ Hier hat sich wohl ein Schuljunge verewigt und einen christlichen Mitschüler geärgert.

Die Botschaft vom Kreuz ist heute so unverständlich wie damals. Denn die Christen beten einen Gott an, der gänzlich versagt und schändlich und qualvoll stirbt. Er habe sich geopfert, sagen die Christen, und sei so zum Opfer für die Menschen geworden.

Beim Begriff „Opfer“ horchten die jüdischen Bewohner des Römischen Reiches auf und natürlich auch die Christen, die als Juden aufgewachsen waren. Schließlich wussten sie, dass der Hohepriester einmal im Jahr das Allerheiligste des Tempels in Jerusalem betrat, um mit einem Sühneopfer die Schuld des ganzen Volkes zu sühnen, damit wieder ein Neuanfang möglich war.

Mit dem Bild von diesem Ritual und dem Begriff „Opfer“ hat der judenchristliche Schreiber des Briefes gearbeitet, den man später Paulus unterschob. Er richtete sich an Christen jüdischer Herkunft, die immer noch auf das baldige Kommen des Auferstandenen warteten, aber dabei ziemlich müde geworden waren.

Die Botschaft lautet – und sie gilt bis heute: Christen glauben, dass Gott an Karfreitag die alte Welt überwunden und an Ostern mit einer neuen Schöpfung begonnen hat. Und ich bin ein Teil davon. Das macht mich frei. Auch wenn andere es für eine Eselei halten.

Offene Ohren

Ostersonntag, 1. April

Der Herr ist ein Gott, der es merkt, und von ihm werden Taten gewogen. Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen aus der Asche. (1. Samuel 2,3+8)

Hanna ist nicht zu beneiden. Sie ist zwar die Lieblingsfrau ihres Mannes, und das weiß auch jeder. Aber in einer Zeit, in der der Wert einer Frau nach der Zahl ihrer Kinder, besonders der Jungen, gemessen wird, ist Hanna eine Verliererin. Denn sie hat keine Kinder. Neben ihr glänzt Zweitfrau Pennina. Zwar darf sie im Gefolge nur hinten mitgehen, aber dafür ist sie mit Kindern gesegnet. Wie die Menschen sich über Hanna das Maul zerrissen, kann man sich vorstellen. Sie spürte das und litt darunter.

So geht es Menschen, wenn sie ihr Ansehen in der Gesellschaft auf ihr Selbstwertgefühl umrechnen. Wer ständig die verachtenden Blicke bemerkt, fühlt sich klein und wertlos.

Hanna ging nach Jerusalem in den Tempel, rang mit Gott und legte sich mit dem Priester Eli an, der sie für betrunken hielt. Sie feilschte mit Gott, und er erhörte sie. Sie wurde von ihrem Mann schwanger, gebar einen Sohn und trug Gott ein Loblied vor. Aber hier sang nicht ein Engel, sondern ein Mensch, der Hass und tiefste Verletzungen erlebt hatte.

So findet sich bei Samuel eine der ganz seltenen Meinungsäußerungen von Frauen, die das Alte Testament überliefert: Hanna singt die ewige Botschaft, dass Gott bei den Erniedrigten ist und dass er ein Gott ist, „der es merkt“. Von keinem der anderen Götter der damaligen Zeit konnte man das sagen. Hanna brachte auf den Punkt, was für ein Gott der Gott Israels war. Und wie der es „gemerkt“ hat. Ein Gott, der es merkt. Da sollten wir, die wir seinen Namen tragen, die Augen und Ohren öffnen, dass wir es auch merken: Wo die Dürftigen und Armen sind und was unsere Aufgabe ist.

Besiegter Aberglaube

Quasimodogeniti, 8. April

Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und er hat ihn aufgehoben und an das Kreuz geheftet. (Kolosser 2,14)

Quasimodogeniti“ wird der Sonntag nach Ostern genannt. Die lateinische Bezeichnung bezieht sich auf die Aufforderung des 1. Petrusbriefes: „Seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein, auf dass ihr durch sie wachset zum Heil.“

An Quasimodogeniti wurde in der Alten Kirche getauft. Und mit der Taufe begann ein neues Leben. Das alte war vergangen, die Schuld war vergeben, die Sünde hatte keine Macht mehr.

Wie neugeboren muss sich auch Kaiser Karl V. gefühlt haben, als Jakob Fugger vor seinen Augen seine Schuldscheine in den offenen Kamin warf. So waren die Beweise für die hohe Verschuldung des Kaisers weg. Aber er hätte die Kredite ohnehin nicht bezahlen können, die er für die Bestechung seiner Wähler aufgenommen hatte. Fugger war ein Stratege und wusste, dass er in des Kaisers Gunst blieb, wenn der die Schuldscheine verbrennen würde. Historienmaler haben die Szene für die deutschen Geschichtsbücher verewigt. Als Ausgleich bekam Fugger die Finanzherrschaft über Lateinamerika übetragen – außer Brasilien. Das bekamen die anderen Schwaben: die Welser. Die besaßen auch Schuldscheine.

Die Schuld der Menschheit ist mit der Kreuzigung Jesu Christi und der Taufe erledigt. Für jeden Gläubigen gilt das auch persönlich. Das betont der Paulusschüler, der den Kolosserbrief verfasst hat. Er kämpft mit Esoterikern, die der Gemeinde einreden wollen, mit Hilfe von Engeln, Schutzengeln und was es sonst noch auf dem religiösen Markt gibt könne man alles auf der Erde lösen. Den Esoterikern hält der Kolosserbrief entgegen: Kraft der Kreuzigung und der Taufe gilt Gottes Heilswerk dem gesamten Kosmos. Daher braucht es keine anderen Mächte mehr – weder Engel noch Teufel.

Jürgen Kaiser

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