„Reine Tat Gottes“

Warum die Auferstehung Jesu eine Realität ist
Verhülltes Altarkreuz der Michaelskirche in Ammerbuch-Entringen bei Tübingen. Foto: epd/ Gerhard Bürle
Verhülltes Altarkreuz der Michaelskirche in Ammerbuch-Entringen bei Tübingen. Foto: epd/ Gerhard Bürle
Die Botschaft des Ostermorgens ist eine Wirklichkeit, ohne die der Glaube keinen Grund hätte. Sie ist weder buchstabengetreu noch rein symbolisch zu verstehen, und sie ist nicht abhängig von unserem Glauben – aber nur im Glauben zu fassen, meint der Theologe Peter Bukowski, der bis 2015 Moderator des Reformierten Bundes war.

Wenn wir am Sonntag einen christlichen Gottesdienst besuchen, bezeugen wir damit faktisch den auferstandenen Christus. Wie immer es um unseren Glauben bestellt sein mag, wir benehmen uns so, als seien wir in dieser Sache sicher. Denn indem wir den Sonntag als „Tag des Herrn“ feiern (Offenbarung 1,10), bekennen wir unsere Zeit als bestimmt von der Gegenwart des Auferstandenen. Entsprechend beginnen wir „im Namen des Vaters und des Sohnes...“, bekennen uns im Gebet zu seiner Herrschaft („..., der mit dir und dem Heiligen Geist lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit...“) und in seinem Namen wird uns Trost zugesprochen, die Vergebung der Sünden zugesagt, werden wir in die Nachfolge gerufen. Wäre Christus nicht auferstanden – Paulus hat diesen Gedanken in 1. Korinther 15,12–19 in Auseinandersetzung mit seinen Gegnern einmal durchge-spielt – dann würde es uns als christliche Gemeinde schlicht nicht geben. Oder aber – noch schlimmer: Gäbe es uns aus unerfindlichen Gründen dennoch, so wäre eine Versammlung im Namen des toten Jesus ein vergebliches Unterfangen (Vers 14); mehr noch, es wäre schlimmste Falschmünzerei (Vers 15), ein Skandal vor Gott und ein Betrug an den Menschen. Wir wären, mit Paulus gesagt, „die elendesten unter allen Menschen“(Vers 19).

„Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten“ (1. Korinther 15,20). Nun also gibt es zu Recht die in seinem Namen und unter seinem Wort versammelte christliche Gemeinde und Kirche. Allerdings: Dieses Bekenntnis, obwohl alles entscheidend, ist fraglich. Fraglicher als jeder andere Satz des Glaubensbekenntnisses. Und das nicht nur unter den ‘Außenstehenden‘, sondern zuerst und vor Allem unter den Christenmenschen selbst! Und nicht erst heute oder seit der Neuzeit, sondern von Anfang an. Als die Frauen den Jüngern von ihren österlichen Erfahrungen berichten, hören wir von diesen: „Es erschienen ihnen die Worte als wär’s Geschwätz und sie glaubten ihnen nicht“ (Lukas 24,11). Die zentrale Frage lautet, ob dem Satz von der Auferstehung die Valenz einer Realitätsaussage zukomme und, wenn ja, in welcher Weise.

Zwei Antwortmöglichkeiten halte ich für problematisch: Die sogenannte literalistische beharrt darauf, dass die Auferstehung eine historische Tatsache sei (man denke nur an den Streit um das leere Grab). Das ist fromm gemeint, unterschlägt aber, dass wir es hier nicht mit einem Ereignis zu tun haben, welches wie irgendein anderes der Weltgeschichte verstanden werden könnte. Weil Jesu Auferstehung als „reine Tat Gottes“ (Karl Barth) bezeugt wird (nicht umsonst ist an vielen Stellen von „Auferweckung“ die Rede), entzieht sich der Kern des Geschehens dem historischen Beweis ebenso wir einer historischen Kritik. Im Gegenzug wurde und wird deshalb versucht, die Botschaft von der Auferstehung symbolisch zu verstehen; als mythologische Umschreibung der Tatsache, dass der gekreuzigte Jesus im Glauben seiner Nachfolger weiterlebt, dass er somit weiterwirkt, wodurch die Bedeutsamkeit seines Lebens und Sterbens über die Zeit hinausreicht. Aber auch dieser Verstehensversuch ist problematisch: Er blendet den Ereignischarakter der Auferstehung, an dem allen biblischen Zeugen gelegen ist, aus, bzw. erklärt ihn für uneigentlich. Damit wird zugleich unterschlagen, dass alle Osterzeugnisse den Glauben in einem Geschehen außerhalb seiner selbst begründet sehen. Sie halten daran fest, dass der Osterglaube ein von außen angestoßener, also begründeter Glaube ist und von diesem Grund reden sie.

Den Mächten des Todes entronnen

Dies möchte ich im Folgenden konkretisieren, indem ich im Hören auf eine der Ostergeschichten auf Spurensuche gehe. Johannes 20, 11–18 erzählt von der Begegnung Maria Magdalenas mit dem Auferstandenen.

In die Mitte der Geschichte hat der Erzähler eine Notiz eingebaut, die das ganze Geheimnis des Ostertages in einem kleinen Halbsatz bündelt: ... und sie sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist (Vers 14). Dieser Hinweis enthält das ganze Geheimnis des Ostertages: Der gekreuzigte Jesus ist den Mächten des Todes entronnen, er lebt und begegnet den Seinen als der Auferstandene. Aber zugleich bringen die wenigen Worte unsere Not auf den Punkt. Das Geheimnis bleibt unzugänglich: Der Auferstandene steht da und die Seinen erkennen ihn nicht.

Wie sollten sie, wie sollten wir in der Lage sein, etwas zu erkennen, was jenseits aller menschenmöglichen Erfahrung liegt!? Der Theologe Ernst Lange hat einmal gesagt: Der Glaube wird mundtot gemacht durch die Sprache der Tatsachen. Mir ist dieser Satz bei mancher Beerdigung in den Sinn gekommen. Da soll ich vom Glauben reden als dem Sieg, der die Welt überwunden hat, aber viel lauter als auch die schönsten und frommsten Worte reden die Tatsachen: Hier wird ein geliebter Mensch zu Grabe getragen, dessen Leben unwiederbringlich zu Ende ist – trotz allem Hoffen und Mühen derer, die ihm nahe standen. Und nun sitzen die, denen eine Welt zusammengebrochen ist, vor mir, erschüttert von der Tatsache des Todes – da wollen mir die Sätze des Glaubens kaum über die Lippen.

Gerade darum ist mir der Hinweis in Johannes 20, 14 so wichtig, weil er beides zusammenhält: Unsere Not, unser Leiden und Verstrickt-Sein in die Welt der Tatsachen und das Wunder von Gottes neuer Welt, von der Gegenwart des Lebendigen, der dem Tode die Macht genommen hat: Maria Magdalena sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist.

Gleichzeitig finde ich diesen Satz ungeheuer tröstlich, denn er sagt mir: Dass du „nicht weißt“, dass dir die Augen gehalten sind und du keinen Zugang findest zum Auferstandenen Jesus Christus, das macht dessen Lebendigkeit nicht zunichte. Sie ist nicht abhängig von deinem Glauben. Wo du noch wie gebannt auf die Gräber starrst, ist er schon längst an deiner Seite und wartet darauf, dir zu begegnen. Mit den Worten eines Gesangbuchliedes (EG 376): Wenn ich auch gleich nichts fühle von Deiner Macht, Du führst mich doch zum Ziele, auch durch die Nacht. Davon erzählt unsere Geschichte, um auch uns aus der Welt der Tatsachen mitzunehmen in das Wunder seiner Gegenwart.

Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte (Vers 11). Zu Beginn der Geschichte ist Maria am Ende, wie ein Mensch nur am Ende sein kann. Mit der grausamen Hinrichtung Jesu wurde ihr alles genommen. Genommen wurde ihr der Mensch, den sie so sehr liebte und auf den sie ihr ganzes Leben ausgerichtet hat, indem sie ihm wie die anderen Jünger nachfolgte. Jedes seiner Worte und Gesten hat sie in sich aufgesogen. Sie taten ihrer Seele gut, richteten sie auf, gaben ihr Lebensmut. Und bestätigten ihr immer aufs Neue, was sie am eigenen Leibe erfahren hatte. Denn wie Lukas uns berichtet, hatte ihr gemeinsamer Weg mit Jesus begonnen, als er sie, die seelisch aufs schwerste Erkrankte, von dem, was sie quälte, befreit und sie heil gemacht hatte. Und nun hatte Jesus dieses schreckliche Ende genommen. Der Bote der Liebe, mehr noch die Liebe in Person wehrlos ausgeliefert der Niedertracht und dem Hass derer, die seine Botschaft nicht ertrugen!

Im Stich gelassen hat Maria ihn nicht. An Flucht kein Gedanke. Sie zählt zu den wenigen, die bis zu seinem Tode an seiner Seite ausgehalten haben und schließlich miterleben mussten, wie er am Kreuz unter Qualen verstarb. Und so ist ihr am Ende nichts geblieben als ihre verzweifelte Trauer und ihre Tränen. Die Zukunft ist ihr, dieser Schwester aller Traurigen, genommen. Darum klammert sie sich wie die vielen vor ihr und nach ihr an die Vergangenheit. Wenn sie den Geliebten nicht am Leben halten konnte, möchte sie wenigstens dem Verstorbenen nahe sein. So geht sie zum Friedhof. Zum Ort der Trauer und des traurigen Gedenkens. Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Gefangen in ihren Tränen vermag Maria es nicht, Zeichen der Hoffnung wahrzunehmen, jedenfalls nicht, sie zu deuten oder gar anzunehmen: das leere Grab und jene zwei Gestalten, von denen ein geheimnisvolles Licht ausgeht.

Die Bibel nennt sie Engel und jedenfalls verhalten sie sich wie gute Seelsorger. Keine lauten Töne. Erst recht keine vollmundigen frommen Sätze oder theologische Richtigkeiten. Stattdessen nur die einfühlsam-vorsichtige Hinwendung zur Trauernden und die Frage: Frau, was weinst Du? Aber es gibt einen Abgrund von Trauer, den auch bestverstandene Seelsorge nicht zu überbrücken vermag. Noch muss Maria alles, was ihr begegnet und widerfährt, übersetzen in die „Sprache der Tatsachen“, die ihre Welt so radikal hat zerbrechen lassen. Und so ist ihr das leere Grab kein Zeichen der Hoffnung, sondern Anlass zu neuer Verzweiflung. Es muss sich anfühlen, als hätte sie den Geliebten ein zweites Mal verloren, weil sie nicht einmal mehr einen Ort für ihre Trauer hat. Wörtlich: Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben (Vers 13). Spricht’s, wendet sich ab und lässt die himmlischen Helfer hilflos zurück. Die heilsame Wende wird eingeleitet mit der Notiz, auf die ich schon hinwies: Und als sie das sagte wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist (Vers 14).

Eine Wahrheit, die all unser Verstehen und Begreifen übersteigt, muss als Geheimnis erzählt werden, weil sie nur wie ein Wunder erlebt werden kann. Aber doch gibt uns die Geschichte Hinweise, die helfen, uns dem Unfassbaren zu nähern. Zunächst wird noch einmal eindrücklich deutlich gemacht, wie unüberbrückbar von Maria aus gesehen die Kluft zwischen ihrer Trauer und der Erscheinung des Auferstandenen ist. Sie sieht eine Gestalt – und erkennt sie nicht.

Die Geschichte hat eine, man könnte sagen, „natürliche“ Seite: Die Morgensonne hat Maria geblendet. Sie hat gewiss auch eine psychologische Seite: Wie soll man einen Blick für etwas haben, von dem man keine Vorstellung hat, was also nicht sein kann und deshalb nicht im Horizont des Erwartbaren liegt. Und wo man sich deshalb tunlichst schützt etwas zu sehen, was sich am Ende als Täuschung entpuppen wird und die Enttäuschung nur größer macht. Noch wichtiger aber ist die theologische Einsicht: Die Kluft zwischen unserer Welt der Tatsachen und Gottes neuer Welt zu überbrücken, ist kein uns Menschen möglicher Akt. Wie begrenzt unsere menschlichen Möglichkeiten sind, zeigt das Folgende in aller Deutlichkeit. Es kommt ja zu einer bizarren Verwechslung: Nicht nur, dass Maria Jesus nicht erkennt, sie hält ihn für den Gärtner, von dem sie vermutet, er habe ihren geliebten Jesus weggetragen (Vers 15). Mit den Worten eines Auslegers: Sie erklärt das Opfer zum Täter!

Wäre die Geschichte hier zu Ende, bliebe es bei der Kluft zwischen unserer Welt der Tatsachen und der uns unzugänglichen neuen Welt Gottes. Aber der auferstandene Jesus wendet sich der Verzweifelten noch einmal zu und erreicht ihr Herz. Spricht Jesus zu ihr: Maria. Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch Rabbuni! – das heißt: Meister! (Vers16)

Was für ein Augenblick! Dieses Gespräch besteht ja nur aus zwei Worten: Maria – Rabbuni. Aber diese Worte, nein, das eine Wort des Auferstandenen verändert alles: Maria. In dieser liebevollen Anrede erkennt sie den wieder, der sie damals angeredet hat. Der sie nicht mied, wie all die anderen, die mit ihrer Krankheit nicht umzugehen wussten. Der sie aber auch nicht als Fall zum Objekt seiner Hilfeleistung degradierte. Sondern der sie mit seiner Liebe erreicht hatte, mit ihr als Person so in Beziehung trat, dass die bösen Geister weichen mussten und sie zu neuer Lebendigkeit kam. Und als sie diese Anrede wieder hört, die ihr Herz erreicht, ihr niedergeschlagenes Gemüt aufrichtet, ihr gleichsam neues Leben einhaucht, da erkennt sie: Ihr Jesus ist nicht mehr unter den Toten. Er lebt.

Was Maria jetzt noch lernen muss ist, dass Jesu Leben wirklich neues Leben ist. Ein Leben, das den Tod ein für alle Mal hinter sich gelassen hat und uns vorausgeht in Gottes neue Welt. Deshalb Jesu Befehl: Rühr mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott (Vers 17).

Der Tod – ein für alle Mal Vergangenheit

Ohne dieses Verbot bliebe alles missverständlich und deshalb trügerisch. Ein Jesus, ganz so, wie er vorher war, den Maria hätte umarmen und also im wahrsten Sinne des Wortes hätte be-greifen können, wäre einer, der wie der auferweckte Lazarus dem Tod auf wundersame Weise noch einmal entronnen ist, dem also noch einmal eine Lebensfrist geschenkt ist, um letztendlich doch zu sterben. Die Zukunft des be-greifbaren Jesus wäre der Tod. Aber Jesus ist eben nicht, wie Lazarus, noch einmal vom Tode zurückgekehrt, vielmehr ist er von den Toten auferstanden. Will sagen: Maria begegnet dem, der nie mehr fallen wird, für den der Tod ein für alle Mal Vergangenheit ist und dessen Zukunft ewiges Leben heißt.

Ihn kann sie nicht begreifen und nicht festhalten. Sie darf das nicht einmal wollen. Aber von ihm darf sie sich anreden und neu ins Leben holen lassen. Und von ihm muss sie erzählen: Dass er auf immer zu Gott gehört. Und dass er den Seinen an Gottes Zukunft Anteil gibt. Denn in dieser alles entscheidenden Begegnung mit Maria verbindet er sich auf ewig mit uns: Geh hin und sage meinen Brüdern und Schwestern: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater (Vers 17).

So bekommen wir mitten in der Welt des Todes Anteil an seinem Leben. Hoffnung, die nicht zuschanden wird. Und ob wir es nun schon glauben oder uns noch fühlen wie Maria und die Jünger, bevor ihnen ein Licht aufgeht – in österlicher Anrede kommt der auferstandene Jesus uns nahe, auf dass wir nicht länger im Dunkeln tappen.

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Peter Bukowski

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