pro und contra

Ist der konfessionelle Religionsunterricht am Ende?
Foto: privat
Ist in einer zunehmend multireligiösen Gesellschaft, in der die Bindung an die Kirchen abnimmt, die Zeit des konfessionell organisierten Religionsunterrichts abgelaufen? Ja, meint Klaus Langer, promovierter Theologe und langjähriger Religionslehrer an einem Gymnasium.

Gemeinsam und für alle

Die Geschichte des konfessionellen Religionsunterrichts geht ihrem Ende entgegen

Konfessioneller Religionsunterricht gehört selbstverständlich zu unserem Bildungssystem und zu unserer Schulerfahrung. Trotz dieser Selbstverständlichkeit und trotz der Garantie durch das Grundgesetz ist der Fortbestand des bekenntnisorientierten Religionsunterrichts keineswegs sicher. Mit der tagtäglichen Dehnung und Verletzung des Verfassungsauftrages vollzieht sich eine allmähliche Auflösung des konfessionellen Modells auf allen Ebenen des Unterrichts. Da ist die Öffnung des Religionsunterrichts zu neuen Inhalten und Zielen. Durch das vorrangige Anliegen, die Schüler zu erreichen und in ihrer Lebensorientierung zu begleiten, haben neben der biblisch-christlichen Tradition Texte und Aktivitäten aus der Lebens- und Erfahrungswelt der Schüler einen gleichberechtigten Platz gefunden. Verkündigung des Glaubens und Vermittlung eines bestimmten Bekenntnisses sind in den Hintergrund getreten.

Die Religionslehrerschaft drängt auf eine größere Kooperation der Konfessionen und einen ökumenischen Unterricht. Bereits 2005 zeigte eine Befragung von Religionslehrern in Baden-Württemberg, dass nur eine Minderheit (21 Prozent evangelisch, 26 Prozent römisch-katholisch) der Meinung war, alles könne so bleiben, wie es ist. Etwa die Hälfte der Lehrpersonen signalisierte Interesse und Kompetenz, „Religion für alle im Klassenverband“ zu unterrichten. Der Religionslehrer versteht sich in der Regel nicht als „Zeuge des Evangeliums“ oder „Anwalt der Kirche“, sondern als Experte für Glaubens- und Lebensfragen.

Monokonfessionelle Lerngruppen sind heute die Ausnahme. Christen, Muslime und Konfessionslose sitzen im Religionsunterricht häufig beieinander. Vor allem in der Grundschule und in den Berufskollegs bleiben die Schüler nicht selten im Klassenverband zusammen – aus organisatorischen Gründen oder als Programm. In vielen Kollegs organisiert sich der Religionsunterricht als lebenspraktischer Gesprächskreis mit multikultureller Besetzung. Für die meisten Schüler ist die Trennung im Religionsunterricht nicht mehr einsichtig. Sie bleiben mit ihren Freunden zusammen oder wählen sich ihren Religionslehrer unabhängig von seiner Konfession.

Das Ergebnis der Entkonfessionalisierung lässt sich so zusammenfassen: Der faktische Religionsunterricht findet zwar weiterhin unter dem Dach von Artikel sieben Grundgesetz (GG) und in kirchlicher Verantwortung statt, aber tatsächlich ist er auf dem Weg zu einem offenen, bekenntnisfreien Unterricht. Es sind in einigen Bereichen und Schulformen nur noch wenige Schritte zu einem Religions- oder Werteunterricht für alle.

Die Kirchen halten das konfessionelle Modell für „bewährt“ und „unverzichtbar“. Sie sehen den faktischen Religionsunterricht „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen“. Die Politik hütet sich davor, das heiße Eisen von sich aus anzufassen. Für die Fachwelt sind die positiven Möglichkeiten des konfessionellen Konzeptes noch nicht ausgeschöpft. Und für die Gesellschaft? Sie schenkt der religiösen Bildung wenig Beachtung oder hat mit dem gewandelten Religionsunterricht keine Probleme. Solange diese Konstellation von Meinungen und Interessen bleibt, so lange wird über eine Revision oder einen Verzicht von Artikel sieben, Absatz drei GG nicht öffentlich nachgedacht.

Es ist allerdings etwas Neues hinzugekommen. Das bevorstehende Ende des konfessionellen Religionsunterrichts fällt zufälligerweise in eine Zeit, in der über die Teilnahme des Islam an der schulischen Bildung endgültig entschieden werden muss. Es geht nicht mehr um die Frage des Ob, sondern des Wie. Ein Unterricht nach den Grundsätzen des Islam stößt aber auf Argwohn und Skepsis. Birgt ein bekenntnisorientierter Islamunterricht nicht die Gefahr einer stärkeren Absonderung der Muslime und die Möglichkeit der Indoktrination? Wird es genügend wissenschaftlich ausgebildete Islamlehrer geben, die einen offenen und liberalen Islam vermitteln und ihre Schüler auf das Leben in einer demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft vorbereiten? Ist ein konfessioneller Islamunterricht die einzige Lösung für die Islamvermittlung an der Schule? Die Debatte um den Islamunterricht lenkt die kritische Aufmerksamkeit auch auf das konfessionelle Modell insgesamt und verbindet sich dabei mit latenten Bedenken und Erwartungen der Gesellschaft. Zum ersten Mal in der Geschichte des konfessionellen Religionsunterrichts wird die Präsenz von Konfession an der Schule zum Gegenstand öffentlicher Diskussion.

Es ist gut zu wissen, dass integrative Lösungen schon ausprobiert werden. In Hamburg setzt sich der „Religionsunterricht für alle“ das Ziel, die Schüler zu einer „dialogfähigen, sozialverträglichen Religiosität“ zu führen. In Brandenburg versteht das Pflichtfach „Lebengestaltung-Ethik-Religionskunde“ (LER) die Vermittlung von Religion als Teil der Lebensgestaltung und Wertorientierung. Die Entkonfessionalisierung des traditionellen Religionsunterrichts ist so weit fortgeschritten, dass eine Korrektur oder Weiterentwicklung des konfessionellen Modells nicht mehrmöglich ist. Seine Zeit ist abgelaufen. Der faktische Religionsunterricht, die alternativen Erprobungen und die Öffnung der Gesellschaft für eine integrative Gestaltung der religiösen Bildung werden den indirekten oder ausdrücklichen Verzicht auf Artikel sieben, Absatz drei GG erzwingen. Und die Islamdebatte wird diesen Prozess beschleunigen.

Langfristig wird die religiöse Bildung an der Schule ihre Begründung und Zielsetzung durch die Schulgesetzgebung erfahren – in Anlehnung an Artikel vier GG. Dem Staat, der die Religionsfreiheit garantiert, ist es möglich und geboten, seine Bürger zu befähigen, ihre Religionsfreiheit verantwortlich wahrzunehmen. Die Geschichte des konfessionellen Religionsunterrichts geht auf das Ende zu. Am Ende einer Geschichte steht nicht selten die Aufforderung, eine neue zu erfinden. Der gegenwärtige Religionsunterricht und seine Alternativen sind mit dieser Erfindung beschäftigt. Die Umrisse oder Perspektiven sind schon erkennbar: bekenntnisfrei, ungetrennt, verpflichtend für alle.

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Klaus Langer

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