Mit der Waffe

Protestantismus und RAF
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Der fundierte Band ist nicht nur wegen des Teils über die protestantisch-sakrale Aufladung der RAF überaus lesenswert

Zu den G 20-Krawallen im Juli war Protestforscher Wolfgang Kraushaar ein oft gefragter Mann. Spannender war indes ein Interview der Wochenzeitschrift Die Zeit einen Monat zuvor, in dem er über die eminente Bedeutung des Protes-tantismus für APO und Achtundsechziger sprach. Die Traditionslinien liefen über den linken und auch politisch aufrechten Flügel der Bekennenden Kirche sowie dessen später auch in der Bundesrepublik konsequenten Widerstand gegen die Wiederbewaffnung. Personifiziert sind sie in dem Barth-Schüler und Theologieprofessor Helmut Gollwitzer, einem Mentor der Studentenbewegung, der etlichen ihrer Aktivisten persönlich nahe stand.

Das waren Wurzeln und Verbindungen zu einer radikal eschatologischen Sicht auf die Welt mit beträchtlicher Nähe zur Revolution, aus denen, so Kraushaar, auch die Bereitschaft zu „direkter Aktion“ erwuchs, wie SDS-Ikone und Gollwitzer-Freund Rudi Dutschke das nannte, also letztlich zu Gewalt. Dutschke war dabei vom Bild von Jesus als Revolutionär inspiriert. Er habe die Bergpredigt wörtlich verstanden, sagte Gollwitzer später bei dessen Beerdigung. Ganz anders als bei den heute mit der evangelischen Kirche vielfach eng verbandelten Grünen war es damals von dort bis zur Mission mit der Waffe nachmaliger RAF-Terroristen nicht mehr weit.

Dutschke gehörte nicht zu ihnen, trotz mehrerer Anwerbeversuche durch den APO -Anwalt Horst Mahler. Auch darüber schreibt Kraushaar in dem Band „Die blinden Flecken der RAF“, der pünktlich zu vierzig Jahren Deutscher Herbst, das heißt, zur Entführung von Hanns Martin Schleyer und zur Erstürmung des Lufthansa-Jets Landshut durch die GSG 9, zum Suizid der RAF-Kader in Stammheim und zur Ermordung Schleyers erschienen ist. Der versierte Kenner und Interpret der Materie versammelt hier Essays zu unterschiedlichen Aspekten der RAF – von ihrer Gründung mit der Baader-Befreiung 1970 bis zu ihrer Selbstauflösung im Jahre 1998. Es geht darin etwa um das Faszinosum der Militanz, die Vereinnahmung Jean-Paul Sartres bei dessen Stammheim-Besuch 1974 („Ein Arschloch, dieser Baader!“), die RAF und die Frauen, Horst Mahler und das Kontinuum der Schuldabwehr oder die antisemitische Selektion bei der Flugzeug-Entführung nach Entebbe. Für Kraushaar war Wilfried Böse, der damals jüdische Passagiere aussonderte, „kein intentionaler, aber faktischer Antisemit“.

Die bis auf wenige hier erstmals veröffentlichten Essays sind thematisch geordnet und setzen nie zuviel historische Vertrautheit voraus. Der Lesefluss ist gut, das Story-Potenzial, wie eigentlich immer bei der RAF, ist beträchtlich. Und wo blinde Flecken stecken, lässt sich schon erahnen, wenn man mal die eigene Haltung zur RAF reflektiert: Was hat man sich nicht davon distanziert und doch gleichzeitig Verständnis für die Wut und die Motive beteuert! Schließlich waren die von ihnen inkriminierte Kontinuität der Nazi- und BRD-Eliten unleugbar, der Vietnam-Krieg der USA ein Verbrechen und der Umgang des deutschen Staates mit den Protesten nicht minder – vom Verrat des Rechtsstaats an sich selbst durch Sondergesetze oder das Ausbooten des Parlaments durch den Großen Krisenstab einmal ganz zu schweigen.

Der ungesühnte Polizeimord an Benno Ohnesorg blieb ein lange markant nachwirkendes Fanal, die Sympathien galten insofern vielfach einer gerechten Sache. Dem hielten die von der RAF eingesetzten Mittel aber nicht Stand. Dass der erste, gescheiterte, Bombenanschlag deutscher Linksterroristen ausgerechnet einem jüdischen Gemeindehaus galt, hatte Kraushaar schon früher skandalisiert. Hier nun widmet er sich anregend weiteren Widersprüchen und überraschenden Zusammenhängen.

Aus evangelischer Warte interessiert sicher besonders, welche Bedeutung der protestantische Widerstandsgeist im RAF-Umfeld hatte und dabei zugleich spezifische blinde Flecken produzierte, nicht nur bei der Pfarrerstochter Gudrun Ensslin und ihrer, sie und ihr Engagement rechtfertigenden, Familie.

Sympathien für die Ziele der APO hatten viele, sogar auch Martin Niemöller. Die größte persönliche Nähe, auch zu deren radikalisierten Protagonisten, hatte aber sicherlich Helmut Gollwitzer. Er war der Seelsorger und später dann Trauerredner Ulrike Meinhofs sowie 1980, nach seiner Haftentlassung, der Bewährungshelfer Horst Mahlers.

Überhaupt fällt auf, wie überaus erhellend religiös konnotierte Begriffe bei den Analysen sind. Die Spanne reicht von eschatologisch überhöhten Ermächtigungsphantasien über den Märtyrer- und Opferkult bis hin zum „Konvertiten“ Horst Mahler. Dessen viele irritierender Wandel vom RAF-Gründer zum Nazi-Aktivisten hinterfragt Kraushaar mit der Überlegung, ob das überhaupt eine Bekehrung gewesen sei oder nicht vielmehr doch Kontinuität der Schuldabwehr, denn Mahler wuchs in einer überzeugten Nazi-Familie auf. Zwar muss das Buch hier wie auch sonst öfters mangels Aussagen auf Überlegungen der Individualpsychologie zurückgreifen und bleibt so notgedrungen spekulativ, aber triftig ist es dennoch.

Der fundierte Band ist nicht nur wegen des Teils über die protestantisch-sakrale Aufladung der RAF überaus lesenswert – wobei jener durchaus zum Exorzismus verbliebener Verklärungstendenzen beiträgt. Kraushaar stellt zudem an den Pranger, dass und wie der Verfassungsschutz damals ähnlich unheilvoll agierte wie jüngst bei den Nazi-Terroristen vom NSU, die Aufklärung aber verhinderte. Blinde Flecken, die nun wirklich nicht länger hinnehmbar sind.

Udo Feist

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