Drohender Ausschluss
Ihre Glaubwürdigkeit ist vermutlich das wertvollste Kapital der Diakonie. Die evangelische Wohlfahrt, die erklärtermaßen Glaube und tätige Nächstenliebe leben will, kann nur dann private Spenden für ihre vielfältigen gemeinnützigen Tätigkeiten erwarten, wenn ihre Integrität außer Frage steht. Und: Wer sich als „Stimme der Armen“ versteht und auch exponiert, wie die Diakonie das tut, darf seinen Vorstandsmitgliedern keine exorbitanten Gehälter zukommen lassen – und sollte dies auch transparent nach außen darstellen.
Die Diakonie steht allerdings vor einem Problem: In rund 27?000 Einrichtungen und Diensten der Alten- und Familienhilfe, der Kranken- und Behindertenhilfe bundesweit agieren nicht alle Vorständler vorbildlich – wie der skandalträchtige Fall des Diakoniewerkes Bethel in Berlin aufs Neue zeigt. Dort agiert der Vorstand Karl Behle offensichtlich fast wie ein Alleinherrscher und kassiert ein ziemlich unchristliches Einkommen. Der Landesverband, das Diakonische Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, droht mit Ausschluss aus der Diakonie – es wäre nicht der erste in der jüngeren Geschichte der Diakonie.
Das Diakoniewerk Bethel, das nichts mit den weitaus bekannteren v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld zu tun hat, steht unter massivem Beschuss. Der Berliner Landesverband der Diakonie ging, wegen des fragwürdigen Umgangs mit ihren Finanzen, auf Distanz zu der Mitgliedseinrichtung und legte ihr den Austritt aus dem evangelischen Dachverband nahe. Bethel-Vorstand Karl Behle soll Medienberichten zufolge durch Satzungsänderungen seit 2011 die vollständige Kontrolle über den Träger übernommen haben. Das Aufsichtsgremium des Sozialunternehmens scheine seine Aufgaben nicht wahrzunehmen. Stattdessen kontrolliere sich Behle praktisch selbst, heißt es. Das Jahresgehalt des 68-Jährigen soll etwa 720?000 Euro betragen – und liegt damit weit über dem, was Diakoniechefs sonst erhalten. Außerdem soll sich Behle Pensionsansprüche in Millionenhöhe gesichert haben. Die Umstände eines Villenerwerbs in Berlin-Lichterfelde seien ebenfalls merkwürdig.
Das Diakoniewerk Bethel, das deutschlandweit Krankenhaus- und Pflegeeinrichtungen betreibt und insgesamt 1?700 Mitarbeiter beschäftigt, stellt sich seit Bekanntwerden der Vorwürfe im Juli dieses Jahres tot. Die Führung des Hauses gibt der Presse keine Auskünfte.
Nach Mitteilung des Berliner Diakonieverbandes ist eine Frist, die der Dachverband zur Klärung von Vorwürfen und für Änderungen der Aufsichtsstrukturen des evangelisch-freikirchlichen Trägers gesetzt hatte, ergebnislos abgelaufen. Der Verband hatte zumindest eine Absichtserklärung des Diakoniewerkes Bethel erwartet, dass Änderungen angestrebt würden, hieß es: „Da das noch nicht geschehen ist, gehen wir davon aus, dass das Diakoniewerk Bethel gGmbH selber die Konsequenz zieht und seine Mitgliedschaft beendet“, hofft der Verband.
Kündigung der Mitgliedschaft
Zugleich macht er weiter Druck: Da die Mitgliedseinrichtung die Vorwürfe nicht entkräftet hat, sah sich der Verband „gezwungen, unser zuständiges Vereinsorgan mit dem Vorgang zu befassen“, betonte der Diakonie-Dachverband, der auf diese Weise Schaden – mindestens einen Imageschaden – von den übrigen 430 Mitgliedsunternehmen des Verbandes abzuwenden versucht. Der Diakonische Rat hat den Vorstand des Landesverbandes inzwischen damit beauftragt, den Ausschluss der Diakoniewerk Bethel gGmbH vorzubereiten. Eine endgültige Entscheidung über den drohenden Rauswurf soll im November fallen.
Der Berliner Verband hat schon einmal eine Mitgliedseinrichtung ausgeschlossen. Im Jahr 2010 schloss das Diakonische Werk die Berliner Treberhilfe aus. Der damalige Geschäftsführer der gemeinnützigen Obdachlosenorganisation Harald Ehlert hatte sich zuvor etliche Kapriolen erlaubt: Unter anderem hatte er sich neben einem teuren Maserati als Dienstfahrzeug ein Jahresgehalt von weit über 300?000 Euro geleistet.
Die bundesweit 17 diakonischen Landesverbände haben als eingetragene Vereine also durchaus die Möglichkeit, aus ihrer Sicht untragbare Mitglieder aus dem kirchlichen Verband auszuschließen. Ihre Satzungen erlauben ihnen diese Sanktionsmaßnahme. In der Praxis wird sie aber extrem selten angewendet, wie der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Baden Urs Keller sagt: „Ich habe in meiner sechsjährigen Amtszeit noch nicht zu diesem Mittel greifen müssen.“
Das Verhalten des Diakoniewerkes Bethel in Berlin gegenüber dem Landesverband wäre auch in anderen Verbänden der evangelischen Wohlfahrtspflege nicht hinnehmbar. Denn nach den Vereinssatzungen sind die diakonischen Unternehmen in der Regel dazu verpflichtet, dem Verband wesentliche Änderungen in ihrer Betriebssatzung oder Betriebsverfassung mitzuteilen. Die Diakonie Baden geht noch weiter, denn dort sind die Mitgliedsunternehmen verpflichtet, „ihre Jahresberichte vorzulegen“. Der Verband fordert einen genauen Einblick in die Geschäftsbücher der – wohlgemerkt – rechtlich selbstständigen Mitgliedseinrichtungen. Laut verbindlicher Vereinssatzung „haben die Mitglieder den Nachweis geordneter Wirtschafts- und Rechnungsführung zu erbringen“. Diese beinhaltet ausdrücklich die zeitnahe Vorlage der Berichte externer, unabhängiger Wirtschaftsprüfer. In den diakonischen Landesverbänden gehen die Meinungen darüber auseinander, ob sie diese Regelungen als „besonders fortschrittlich“ oder als „besonders gängelnd“ beurteilen sollen.
Ferner legt der Landesverband den Einrichtungen nahe, den auf Bundesebene verabschiedeten Diakonischen „Corporate Governance“-Kodex anzuwenden. Darin betont der Bundesverband, die Diakonie Deutschland, bereits im Vorwort, dass für die Diakonie gute Unternehmensführung und Vertrauen „äußerst wichtig“ seien. „Der Diakonie geht es dabei um das Vertrauen der Menschen, für die diakonische Einrichtungen und Dienste da sind, sowie um das Vertrauen der Öffentlichkeit, der Mitarbeitenden, der Politik und der Menschen, die die Diakonie mit ihren Spenden unterstützen.“
Für Zündstoff führt in Einzelfällen die in den Satzungen festgehaltene Pflicht der evangelischen Sozialunternehmen, bei der Gestaltung der Arbeitsverträge und bei der Entlohnung der Beschäftigten das kirchliche Arbeitsrecht zu befolgen. Das Diakonische Werk Rheinland-Westfalen-Lippe, dessen rund 5?000 Mitglieder in ganz Nordrhein-Westfalen sowie in Teilen von Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland ihren Sitz haben, muss nach den Worten seines Vorstandes, Thomas Oelkers, „insbesondere bei Verstößen gegen das kirchliche Arbeitsrecht“ mit Ausschluss aus dem Verband drohen. Tatsächlich sei dieser aber „sehr selten“ vollzogen worden. „In der Regel wird versucht, eine tragfähige Lösung zu finden“, so Oelkers.
Besonders scharf waren die arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen vor einigen Jahren in Bremen. Das größte Diakonieunternehmen in der Hansestadt, die Stiftung „Friedehorst“, hatte in dem erbitterten Streit jahrelang ein Urteil des obersten evangelischen Kirchengerichts ignoriert – ohne dass dies für das Unternehmen Sanktionen zur Folge gehabt hätte.
Die Stiftung mit 1?400 Beschäftigten hatte seit 2005 in großem Umfang dauerhaft Leiharbeiter eingesetzt, um die Lohnkosten zu drücken. Der Kirchengerichtshof hatte aber bereits 2006 entschieden, dass dies nach kirchlichem Arbeitsrecht nicht erlaubt sei, und untersagte dem Unternehmen diese Praxis. Die Stiftung weigerte sich jedoch viele Jahre lang, dem rechtskräftigen Urteil zu folgen.
Inzwischen hat sich bei dem Unternehmen Entscheidendes geändert: Nach einem Wechsel im Vorstand beendete das Unternehmen Anfang 2013 seine Leiharbeitspraxis und die damit verfolgte Tarifflucht. Nach einem weiteren Wechsel im Vorstand setzte der bisherige Chef des diakonischen Landesverbandes Michael Schmidt diesen Kurs fort und ersetzte Hunderte von Lohndumping-Verträgen durch Arbeitsverträge, die nach den Richtlinien der Diakonie gestaltet sind.
Einen ähnlich gelagerten Fall gab es in Niedersachsen. Dort hatte die Diakonie ein Unternehmen wegen inakzeptablen Verhaltens gegenüber seinen Beschäftigten tatsächlich aus dem Verband ausgeschlossen – allerdings wurde diese Entscheidung von einem Landgericht wieder rückgängig gemacht.
Wegen Lohndrückerei und Rufschädigung wollte der Diakonieverband 2012 das Evangelisch-Lutherische Wichernstift in Ganderkesee nicht länger als Mitglied dulden. Denn das Unternehmen hatte von allen Mitarbeitern mit Einzelverträgen einen Lohnverzicht gefordert, nachdem es in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war. Beschäftigte, die sich weigerten, wurden an den Pranger gestellt, indem der Vorstand ihre Namen auf Listen öffentlich aushängen ließ.
Die Diakonie reagierte darauf mit einem Verbandsausschluss, das Unternehmen klagte aber dagegen und bekam vor Gericht Recht. „Aus formalen Gründen“, wie es in der Urteilsbegründung hieß.
Markus Jantzer