Gewählte Spiritualität

Die EKD sollte konfessionelle Unterschiede pflegen

Im Schatten des Reformationsjubiläums ist das ganze Jahr über an ein anderes Ereignis erinnert worden, das für den Protestantismus wichtig war. 1817 rief König Friedrich Wilhelm iii. die lutherischen und reformierten, sprich: calvinistischen Kirchengemeinden Preußens auf, sich zusammenzuschließen. Und auch in anderen Regionen Deutschlands vereinigten sich die beiden evangelischen Konfessionen auf der Ebene der Ortsgemeinde oder der Landeskirche. Ungewöhnliches passierte 1818 in der damals zu Bayern gehörenden Pfalz. Dort stimmten alle wahlberechtigten Lutheraner und Reformierten, damals nur Männer, für die Bildung einer „Vereinigten Protestantisch-Evangelisch-Christlichen Kirche“. Aber auch dort, wo die Vereinigung der Konfessionen von der Obrigkeit betrieben wurde, entsprang sie dem Willen der meisten Kirchenmitglieder.

Die Kirchenunionen des 19. Jahrhunderts bedeuteten einen Schritt nach vorn, wenn man bedenkt, dass Lutheraner und Calvinisten einander im 16. und 17. Jahrhundert mindestens so heftig bekämpft hatten wie die Papstkirche. Und unierte Kirchen sind kein deutscher Sonderweg, wie lutherische Konfessionalisten gerne behaupten. Nur zwei Beispiele: 1947 vereinigten sich Anglikaner, Kongregationalisten, Methodisten und Presbyterianer zur „Kirche von Südindien“. Und 2004 schlossen sich Reformierte, Altreformierte und Lutheraner zur „Protestantischen Kirche in den Niederlanden“ zusammen. In beiden Ländern waren Kirchenunionen schlichtweg notwendig, um das christliche Zeugnis in einer nichtchristlichen Umwelt zu stärken.

Und in Deutschland haben sie dazu beigetragen, den Konfessionalismus zu überwinden. Damit ist die evangelische Kirche scheinbar in der (Post-) Moderne angekommen. Denn die inner-evangelischen Unterschiede dürften den meisten Zeitgenossen gleichgültig sein. Eine Spiritualität beurteilen und wählen sie danach, ob diese anspricht und guttut.

Aber gerade an diesem Punkt können Konfessionen wichtig werden. Die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD) kann Zeitgenossen, Getaufte und Nichtgetaufte, anziehen, die eine ausgefeilte und sorgfältig gestaltete Messe suchen und zugleich eine Kirche der Freiheit. Andere, die die Messe, eine lutherische oder römische, als Brimborium empfinden, fühlen sich im nüchternen Predigtgottesdienst aufgehoben, wie ihn Reformierte und oberdeutsche Lutheraner pflegen. Sie schätzen, dass die Predigt dort im Mittelpunkt steht - wenn sie etwas taugt.

Wer durch bestimmte Gottesdienstformen angezogen wird, lässt sich vielleicht auch für die theologischen Erkenntnisse und Bekenntnisse interessieren, die jenen zugrunde liegen. Konfessionelle Besonderheiten können Zeitgenossen ansprechen, wenn sie ihren spirituellen Bedürfnissen gerecht werden.

Umso wichtiger sind Einrichtungen, die das Erbe der Konfessionen fruchtbar machen, statt sie konfessionalistisch zu verengen. Ob sie Amt der VELKD oder Geschäftsstelle des Reformierten Bundes heißen, ist dabei zweitrangig. Entscheidend ist, dass sie personell und finanziell so ausgestattet sind, dass sie die Stärken ihrer Konfession einbringen können. Sie helfen damit auch jenen unierten Landeskirchen, in denen die Gottesdienstgestaltung Mängel aufweist.

Jürgen Wandel

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