Gesprächsimpulse

Gender bei den Katholiken
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Wer die ideologischen Gräben verlässt, findet wichtige Fragen der Gender-Theorie an die katholische Ethik.

Wie wird das Thema Gender in der katholischen Kirche diskutiert? Auf Seiten der Amtskirche ist die Position eindeutig. Papst Franziskus hält sie für einen Feind der Ehe und konstatiert einen „Weltkrieg, um die Ehe zu zerstören“. Die vermeintliche Auflösung der Geschlechterdifferenz höhle die anthropologische Grundlage von Familie aus, Sex (das biologische Geschlecht) und Gender (die kulturelle und soziale Konstruktion des Geschlechtes) seien nicht voneinander zu trennen. Auf der anderen Seite wird an den katholischen Fakultäten darüber diskutiert, wie die Ergebnisse der Genderforschung für die dortigen Fragestellungen genutzt werden können. Auf dieses „zutiefst gespaltene Bild“ weist die emeritierte Philosophieprofessorin Herta Nagl-Docekal in ihrem Beitrag für den hier rezensierten Band hin. Deren Herausgeber wollen diese Kluft überwinden, denn es geht ihnen darum, „Gender als ein Querschnittsthema theologischer Ethik sowohl in fundamentalethischer wie angewandt-ethischer Perspektive zu plausibilisieren.“

Dazu geben sie vor allem Moraltheologinnen und Moraltheologen das Wort, aber auch Vertretern und Vertreterinnen anderer Disziplinen (Philosophie, Literaturwissenschaft). Immer wieder warnen diese vor extremen Positionen – der unbedingten Ablehnung mit dem Verweis auf die „Natur“ einerseits, die radikal konstruktivistische und oft die Biologie ausblendende Perspektive andererseits. Denn wenn man diese Gräben verlässt, findet man durchaus wichtige Fragen der Gender-Theorie an die katholische Ethik. Darauf weist Konrad Hilpert hin, der ehemalige Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie an der Universität München. Die Frage etwa, wie intime Beziehungen gelingen können, auch die von homosexuellen Menschen. Oder der Stellenwert der Körperlichkeit in der Ethik und Fragen der Gerechtigkeit bei der Ordnung der Geschlechter. Konkreter wird hier die erwähnte Herta Nagl-Docekal, die nicht nur überzeugend die Gender-Theorie in Bezug zu Immanuel Kants Anthropologie setzt. Sie hinterfragt auch vermeintliche Gendersensibilitäten, wie etwa die Besetzung von kirchlichen Führungspositionen mit Frauen aufgrund der „weiblichen sozialen Fähigkeiten“. Denn damit werden das individuelle Profil, fachliche Kompetenzen und Berufserfahrungen in den Hintergrund gedrängt. Ebenso problematisch sei die Konzeption der vielfach als weiblich apostrophierten Care Ethik, die bis heute Frauen und Fürsorglichkeit miteinander verbinde, ohne die dahinterliegenden gesellschaftlichen Strukturen zu hinterfragen.

Dass Fürsorge sehr wohl auch von einem Mann verkörpert werden kann, macht der Literaturwissenschaftler Toni Tholen mit einigen Tiefenbohrungen in die Literaturgeschichte deutlich. Während Goethes „Faust“ noch „jede Form von Häuslichkeit und familialer Sorge“ aus seinem Selbstbild ausschließe, werde sie etwa bei dem Philosophen Sören Kierkegard geradezu konstitutiv für das Konzept von Männlichkeit. Allerdings geht es auch hier weniger um Fürsorge, sondern um die Gewahrwerdung der existenziellen Verzweiflung, die in den Glauben führe. Das zeitgemäße Gegenmodell findet Tholen in Jim Jarmuschs jüngstem Film „Paterson“ über einen dichtenden Busfahrer, der sich sorgend liebend um seine Ehefrau kümmert.

Dieser Band, der als das erstes „Jahrbuch für Moraltheologie“ im Herder-Verlag erschienen ist, ist keine Lektüre für den Einstieg in das Genderthema. Dazu sind Sprache und Inhalte der Beiträge zu sehr in der akademischen Welt verortet. Gleichwohl ist zu hoffen, dass sie gerade durch ihre differenzierten Blicke auf das Thema diejenigen zum konstruktiven Austausch bringen, die sich in ihren ideologischen Schützengräben bequem eingerichtet haben.

Stephan Kosch

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