Loyalität im Spagat

Die neue EKD-Richtlinie für Mitarbeiter von Diakonie und Kirche
Um das besondere kirchliche Arbeitsrecht gibt es immer wieder Streit. Hier: Demonstration in Düsseldorf. Foto: epd/ Stefan Arend
Um das besondere kirchliche Arbeitsrecht gibt es immer wieder Streit. Hier: Demonstration in Düsseldorf. Foto: epd/ Stefan Arend
Der Tatsache, dass immer weniger Menschen Kirchenmitglied sind, will eine neue Loyalitätsrichtlinie des Rates der EKD Rechnung tragen. Der Bochumer Juraprofessor und Arbeitsrechtsspezialist Jacob Joussen, der selbst dem Rat der EKD angehört, stellt die neue Regelung vor und bezweifelt, dass sie lange Bestand haben wird.

Lange wurde an ihr gearbeitet, lange um sie gerungen. Nun liegt ein Ergebnis vor. Anfang Dezember verabschiedete der Rat der EKD die neue „Loyalitätsrichtlinie“, wie sie kurz genannt wird, ihr Originaltitel ist ausführlicher: „Richtlinie des Rats der EKD über kirchliche Anforderungen der beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie“. Wie neu sind ihre Inhalte? Und wie ist sie zu bewerten?

Die frühere Fassung der Richtlinie war in die Jahre gekommen und passte auch nicht mehr wirklich zum geltenden Recht: Sie wurde etwa zu einem Zeitpunkt verabschiedet, zu dem das Gesetz noch nicht in Kraft war, das in Deutschland die Diskriminierung (auch die nach der Religionszugehörigkeit) verbietet. Und auch in der Rechtswirklichkeit hat sich viel verändert. Die alte Richtlinie ging noch von dem Grundsatz aus, dass nur ein evangelischer Mensch in einer evangelischen Einrichtung tätig werden darf. Das war ein schöner, klarer Grundsatz, doch mit der Realität vieler Einrichtungen hatte er nichts (mehr) zu tun: Überaus rege wurde von der für seltene Fälle vorgesehenen Bestimmung Gebrauch gemacht, der zufolge ausnahmsweise auch nichtevangelische Personen eingestellt werden durften. Dieses Auseinanderfallen von Theorie und Praxis hatte zu besonders vielen Diskussionen geführt (vergleiche zz 1/2016).

An dem genannten Grundsatz hält die neue Richtlinie fest. Trotzdem hat sie einige zum Teil erhebliche Änderungen gebracht. Sie gilt ab sofort – und zwar für alle Arbeitsverträge, die bei Dienststellen und Einrichtungen der EKD sowie beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung (EWDE) abgeschlossen werden. Das sind zwar nicht sehr viele. Doch konnte der Rat der EKD andere Rechtsträger nicht binden. Daher empfiehlt er immerhin allen Landeskirchen und ihren Diakonischen Werken die Richtlinie als Vorbild und vertraut darauf, dass sie entsprechende Regelungen treffen. Ob sie dem folgen, ist wie immer unklar. Zu wünschen wäre es, um nicht ein weiteres Feld mit uneinheitlichen Regelungen zu schaffen.

Drei Schwerpunkte hat die Richtlinie: erstens die Verantwortlichkeit für die evangelische Prägung einer Einrichtung, zweitens die Frage, ob ein neuer Mitarbeiter evangelisch sein muss, und drittens die Regelung von Rechtsfolgen, die sich aus Verstößen gegen besondere Loyalitätsanforderungen ergeben, ob zum Beispiel der Kirchenaustritt zur Kündigung führt.

Aufgabe der Arbeitgeber

Blickt man auf den ersten Bereich, hat diese zentrale Neuerung mit „Loyalität“ selbst nichts zu tun: Paragraph 2 der Richtlinie könnte in Zukunft die „Magna Charta“ der rechtlichen Regelung zur Kirchlichkeit einer Einrichtung werden. Das mag etwas hochgegriffen sein, doch die Bestimmung ist bemerkenswert, sieht sie doch erstmals vor, wer für das evangelische Profil einer Einrichtung zuständig ist. Die Vorschrift weist nämlich den Anstellungsträgern die wichtige Aufgabe zu, „für die evangelische Prägung in den Arbeitsvollzügen, den geistlichen Angeboten und der Organisation ihrer Dienststelle und Einrichtung“ Verantwortung zu tragen. So eine Aufgabenzuschreibung gab es noch nie – und sie wird immer wichtiger werden. Denn es gilt allgemein – völlig zu Recht – als entscheidende Herausforderung der Zukunft, deutlich werden zu lassen, was das Kirchliche einer Einrichtung ausmacht: Wann ist eine Einrichtung evangelisch? Was macht ihr Evangelischsein aus?

Zwar hatte die EKD in ihrem „Zuordnungsgesetz“ aus dem Jahr 2014 verschiedene Kriterien definiert, doch ganz unabhängig von diesen, etwa dem Vorhalten von Räumlichkeiten für Gottesdienste, der Feier von Andachten oder der Anwendung kirchlichen Rechts, überträgt die Richtlinie jetzt erstmals konkret den Anstellungsträgern, also dem jeweiligen Dienstgeber, die Verantwortung für die evangelische Prägung einer Einrichtung. Das ist besonders deshalb so bedeutsam, weil die Richtlinie nun (darauf ist gleich noch einzugehen) die Möglichkeiten erweitert, dass nichtevangelische Menschen in den Einrichtungen arbeiten. Dann aber muss noch mehr als früher darauf hingearbeitet werden, die evangelische Prägung erkennbar werden zu lassen. In jedem Krankenhaus wird schließlich Gutes getan – was aber macht eine solche Hilfseinrichtung zu einer evangelischen Einrichtung? Wie das geschehen soll, lässt die Richtlinie zwar offen. Doch sie macht deutlich, dass Kreativität und Verantwortungsbewusstsein erforderlich sein werden, für die nun der Dienstgeber verantwortlich ist. Er kann sich nicht mehr herausreden. Das ist ein wichtiger Schritt für die Gewährleistung des spezifisch Kirchlichen in den sozialen Einrichtungen der Diakonie.

Sehr weitgehend neu gefasst sind, zweitens, die Anforderungen, die an die Auswahl von Mitarbeitenden gestellt werden. Wer darf in einer evangelischen Einrichtung tätig werden? Diese Gretchenfrage im kirchlichen Arbeitsrecht betrifft die schon angesprochene Frage danach, ob die Kirchenzugehörigkeit eine Voraussetzung für die Mitarbeit in der evangelischen Kirche ist.

Bislang beherrschte der eingangs angesprochene Grundsatz die Auswahlmöglichkeit: Es durften in der Regel nur evangelische Menschen in einer kirchlichen Einrichtung tätig werden, oder solche Christen, mit deren Kirche die EKD in Kirchengemeinschaft verbunden ist. Von diesem Grundsatz kannte die Richtlinie früher verschachtelt formulierte Ausnahmen, sofern es nicht um Verkündigung, Seelsorge, Unterweisung und Leitung ging: Dann durften auch Christen angestellt werden, die einer Kirche angehörten, die Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) waren, oder sogar Nichtchristen, wenn evangelische Menschen nicht gefunden werden konnten. Das Problem dieser Grundsatz-Ausnahme-Regel war indes: Die Realität in zahlreichen Einrichtungen war völlig anders. Nicht nur im Osten Deutschlands verzichtete man weitgehend auf den Grundsatz, zum Teil aus blanker Not, zum Teil aus der Vorstellung, dass die evangelische Kirchenzugehörigkeit nicht so wichtig sei.

Doch besonders die Diakonie machte deutlich, dass die Aufnahme nichtchrist-licher Menschen nicht lediglich ein Notnagel sei, sondern auch eine Chance darstellen könne, das Profil einer Einrichtung zu stärken. Zudem wurden die Vorgaben des Diskriminierungsrechts von der Rechtsprechung weiterentwickelt, sodass vieles dafür sprach, diesen Grundsatz aufzugeben.

Erhebliche Vorbehalte

Leider konnte sich aber der Gesetzgeber bei der Neufassung nicht dazu durchringen, die Grundsatz-Ausnahme-Regel umzudrehen. Es wäre zu begrüßen gewesen, eine Bestimmung zu finden, der zufolge jeder Mensch, unabhängig von seiner Kirchenzugehörigkeit, in einer evangelischen Einrichtung tätig sein kann, und nur ausnahmsweise, in bestimmten Positionen ausschließlich evangelische Menschen. Für eine solche Umkehrung hätten viele Argumente gesprochen, besonders der Umstand, dass es sich genau so in vielen Einrichtungen bereits verhält. Doch gegen einen solchen Schritt gab es erhebliche Vorbehalte. Diese machten sich insbesondere an der Vorstellung fest, dass eine kirchliche Einrichtung schon aus theologischen Gründen daran gebunden sei, möglichst nur von evangelischen Menschen gestaltet zu werden, dies mache sie überhaupt erst evangelisch. Dass dies schon deshalb zweifelhaft ist, weil der bloße Taufschein noch keinen Menschen macht, der eine Einrichtung evangelisch prägt, sei nur am Rande bemerkt. Doch letztlich ist die neue Rechtslage ein Kompromiss: Das ist nicht das, was man sich wünscht, aber besser als die alte Rechtslage ist es allemal.

Wie aber sieht der Kompromiss aus? Es gilt zwar unverändert der Grundsatz, dass der, der in einer evangelischen Einrichtung arbeitet auch, evangelisch sein muss. Die Richtlinie betont dabei, dass dies ausnahmslos für Mitarbeitende gilt, die in der Verkündigung, der Seelsorge und der evangelischen Bildung arbeiten. Doch sind die Ausnahmebestimmungen besser und weiter gefasst als früher. Eine erste Gruppe, für die Ausnahmen gelten, bilden diejenigen, die in der Dienststellenleitung tätig sind. Hier genügt die Mitgliedschaft in einer ACK- oder Freikirche. Erfasst sind Organmitglieder der Einrichtung und leitende Personen.

Eine zweite Ausnahme erfasst diejenigen, die „alle anderen Aufgaben“ übernehmen, also nicht Verkündigung, Seelsorge, Bildung und Dienststellenleitung. Denn für sie können leichter als bisher auch Menschen eingestellt werden, die keiner christlichen Kirche angehören. Und es gibt eine Richtschnur für die Entscheidung über diese Ausnahmen. Es gilt, dass eine solche Einstellung (erstens) nach Art der Aufgabe unter (zweitens) Beachtung der Größe der Einrichtung und (drittens) ihrer sonstigen Mitarbeiterschaft „vertretbar“ sein muss. Alle drei Kriterien sind also zu bedenken, wenn es um die Entscheidung für oder gegen einen nichtchristlichen Mitarbeiter geht. Die Leitfrage dabei ist: Ist gerade seine Einstellung mit dem christlichen Auftrag vereinbar? Das ist ein Abwägungsvorgang.

Im Ergebnis stuft die Richtlinie also jetzt die Anforderungen an die Kirchenzugehörigkeit deutlich herab. Das ist zu begrüßen und ein Fortschritt, weil sich kirchliche Einrichtungen stärker auch für Menschen öffnen, die etwa einer anderen Religion angehören und somit die kulturelle Vielfalt einer Einrichtung prägen können.

Unverändert hält die Richtlinie abschließend daran fest, dass ein früherer Kirchenaustritt die Einstellung verhindert. Und das überzeugt nicht. Denn wieso führt ein irgendwann in der Vergangenheit liegendes Ereignis dazu, dass ich heute nicht für eine Tätigkeit in der Kirche qualifiziert bin? Gut ist aber, dass die Richtlinie dieses Unbehagen aufgreift, denn diese Unvereinbarkeit gilt nicht mehr in jedem Fall, sondern nur noch „im Grundsatz“. Das heißt, es kann besondere Situationen geben, die Ausnahmen zulassen, etwa weil der frühere Austritt gut nachvollziehbar ist. Ist ein Mensch etwa wegen eines Missbrauchsfalls in seiner Familie aus der Kirche ausgetreten, kann er später durchaus noch wieder in einer kirchlichen Einrichtung tätig werden, ohne zugleich wieder in die Kirche eintreten zu müssen.

Eine dritte, allerdings nur sehr behutsame Neuregelung der Richtlinie betrifft die eigentlichen Loyalitätsanforderungen während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses. Nach der alten Fassung müssen sich alle Mitarbeitenden „loyal gegenüber der evangelischen Kirche verhalten“, von evangelischen wurde erwartet, dass sie Schrift und Bekenntnis anerkennen, bei Mitarbeitenden in Verkündigung, Seelsorge und Unterweisung wurde auch noch eine entsprechende Lebensführung erwartet. Jetzt lässt die Richtlinie diese Erwartungen etwas deutlicher werden. Dazu differenziert sie nur noch zwischen christlichen und nichtchristlichen Mitarbeitenden: Christen müssen für die evangelische Prägung eintreten – das hört sich gut an, aber was genau das heißt, bleibt leider unklar. Nichtchristen haben die evangelische Prägung immerhin zu achten (was auch immer das heißt). Alle Mitarbeitenden sind einheitlich verpflichtet, sich innerhalb und außerhalb der Arbeit so zu verhalten, „dass die glaubwürdige Ausübung ihres Dienstes nicht beeinträchtigt wird“. Damit kann etwa gemeint sein, dass die Mitarbeit in einer extremistischen Partei zu einer Loyalitätsverletzung führt, je nach Form des Engagements.

Die Sanktionen bei einem festzustellenden Pflichtverstoß sind die bekannten. Verlangt ist zunächst ein Gespräch, wenn ein Verstoß bekannt wird, als letzte Maßnahme nach Abwägung aller Umstände kommt eine Kündigung in Betracht. Beim Kirchenaustritt ist die Kündigung der Regelfall, wenn nicht zugleich ein Eintritt in eine ACK- oder Freikirche erfolgt ist. Hier sieht die Richtlinie dann auch keine Ausnahme vor. Gleiches gilt bei einem Verhalten, das die evangelische Kirche und ihre Ordnungen „grob missachtet oder sonst die Glaubwürdigkeit des kirchlichen Dienstes beeinträchtigt“. Das ist allerdings eine Sanktion, die auch andere Arbeitgeber im weltlichen Bereich verhängen können, denn ein solches Verhalten muss der Vertragspartner nicht dulden.

Wichtiger Anstoß

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen lässt sich ein Fazit ziehen. Letztlich versucht die neue „Loyalitätsrichtlinie“ einen Spagat. Auf der einen Seite haben sich diejenigen durchgesetzt, die unbedingt daran festhalten wollen, dass grundsätzlich nur evangelische Menschen in einer evangelischen Einrichtung arbeiten dürfen. So ist es formuliert, auch wenn eine Umkehr zu begrüßen gewesen wäre. Auf der anderen Seite öffnet die Richtlinie aber nun deutlich stärker als früher evangelische Einrichtungen für nichtevangelische Beschäftigte. Das ist nicht nur gut, weil es der Realität sehr viel näher kommt, sondern auch, weil es richtig ist: Davon können Einrichtungen auch sehr profitieren. Wichtig ist dann aber – aus diesem Grund ist auch diese Neuregelung zu begrüßen –, dass das evangelische Profil unverändert erkennbar und dass hierfür eine klare Verantwortlichkeit benannt ist. Insofern ist die Richtlinie ein wichtiger Anstoß für eine der Hauptaufgaben der nahen Zukunft: deutlich werden zu lassen, was eigentlich das Evangelische eines Krankenhauses oder einer Pflege- oder Kindertagesstätte ausmacht.

Wie lange die Richtlinie Bestand haben wird, ist im Übrigen unklar: Das Bundesarbeitsgericht hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob Kirchen dauerhaft das Recht haben sollen, in allen Bereichen bei der Einstellung nach der Kirchenzugehörigkeit zu differenzieren, oder nur in bestimmten, wie der Verkündigung. Es geht also darum, ob der Grundsatz, an dem die Richtlinie festhält, mit europäischem Diskriminierungsrecht vereinbar ist. Sollte der EuGH das verneinen, wird die EKD ihre Richtlinie erneut überarbeiten müssen.

Jacob Joussen

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Foto: RUB Marquardt

Jacob Joussen

Jacob Joussen ist Professor für Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht und Sozialrecht an der Ruhr-Universität Bochum.


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