Gebet, Notschrei, Emotion

Jüdische Perspektiven auf die christliche Trinitätslehre
Trinity - Gemälde von Fredrick D. Bunsen, 1986. Foto: Fredrick D. Bunsen
Trinity - Gemälde von Fredrick D. Bunsen, 1986. Foto: Fredrick D. Bunsen
Eigentlich widerspricht die Lehre von der Dreieinigkeit dem jüdischen Gottesbegriff fundamental. Dennoch gibt es seit jeher im Judentum eine lebhafte Auseinandersetzung mit trinitarischem Denken und Gottesvorstellungen, die ein streng monotheistisches Denken aufbrechen, zeigt der Potsdamer Judaist und Religionswissenschaftlicher Karl E. Grözinger.

Für das Judentum, dessen zentrales Bekenntnis der absoluten Einheit Gottes gilt - der Herr unser Gott ist ein Gott - muss die christliche Lehre von der Dreifaltigkeit Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist ohne Frage als häretische Abweichung vom ererbten jüdischen Monotheismus gelten. Der große mittelalterliche jüdische Philosoph Maimonides (1135-1204) nennt die Christen deshalb unverblümt „Götzendiener“. So tut es auch eine jüdisch-orthodoxe Website von heute: „Die Christen sagen zwar, dass sie an einen Gott glauben, der aus dreien zusammengesetzt ist, damit glauben sie tatsächlich an drei voneinander verschiedene Götter (.) Wenn man diese Wortspiele und Philosophisterei beiseitelässt, offenbart sich ein einfacher Götzenglaube mit drei Gottheiten.“

Angesichts eines solch massiven Vorwurfs klingen die seit dem Mittelalter vorgetragenen Widerlegungen eher distanziert, kühl und philosophisch verkopft. Und tatsächlich sind diese Widerlegungen, wie die Trinitätslehre selbst, eher ein Anliegen, das dem philosophischen Geist und Interesse dieser Zeit entspringt: Danach darf Gott, die Ursache aller Dinge, selbst keine Zeichen der Verursachung aufweisen, und zu ihnen gehört eben die Zusammengesetztheit, die Begrenzung und innere Differenzierung und Veränderlichkeit. Der Philosoph kann deshalb, will er überhaupt von Gott reden, allenfalls eine negative Theologie formulieren: „Er lebt“, heißt nur, er ist nicht tot, hat aber kein dem irdischen vergleichbares Leben. Oder er kann sogenannte Wirkattribute aufzählen, welche ganz auf der menschlichen Ebene bleiben, dessen erfahrene „Wirkungen“ beschreiben, die aber nichts mit dem Wesen der Gottheit gemein haben. So Maimonides: Wenn du es als wahr erkennst, dass Gott Einer ist, nämlich die wahre Einheit ohne Zusammensetzung und Teilbarkeit, wirst „du erkennen müssen, dass Gott in keiner Weise ein Wesensattribut zukommt . und er kein Körper sei. Wer aber glaubt, dass Er Einer sei, desungeachtet aber zahlreiche Eigenschaften besitze, der nennt ihn mit seinem Worte Einen, hält ihn aber in seinem Denken für eine Vielheit, wie die Christen, welche sagen, Gott sei einer, umfasse aber drei Personen, diese drei seien jedoch Einer.“

So einfach wie es hier erscheint, ist die Sachlage dann aber doch nicht. Denn wer philosophisch denkt, muss erklären, wie dieser absolut Eine zu irgendeiner Zeit eine Welt aus dem Nichts geschaffen, sich also verändert hat. Um dies beweisen zu können, müssen diese jüdischen Philosophen auch einen Willen Gottes annehmen, einen göttlichen Intellekt, der alles so weise gemacht und eine Allmacht, die dies alles vermochte. Ihre Lösung erinnert dann doch an die christlichen Überlegungen, wenn behauptet werden muss, Gottes Wille, Macht und Leben, - bei den Platonikern sind es dann geradezu drei: Wesen, Wille und Intellekt - seien nicht zu Gottes Wesen hinzugekommene Eigenschaften, sondern mit ihm identisch. Die separate Benennung sei nur aus unserer Sicht nötig, als menschliche Sprechweise, nicht als wirkliche Seins-Aussage über Gottes Wesen.

In diesem Sinne macht der venezianische Rabbiner Leon da Modena (1571-1648) den Christen sogar ein großzügiges Angebot. Er meint, dass er die christliche Trinitätslehre akzeptieren könnte, wenn die Trinität nur eine menschliche Beschreibungsweise, aber keine Wesensaussage für den einen einzigen Gott wäre: „Wenn sie (die Christen) damit nur das göttliche Wesen von innen, nicht von außen meinten, gäbe es keinen Dissens zwischen uns. . Und so nannten Ihn ja auch die Philosophen.: Intellectus, Intelligens, Intellectum. Und wenn die Christen dies dann Vater, Sohn und Geist nennen, so macht dies keinerlei Unterschied.“ - Eben Philosophen unter sich! Aber diese Duldung scheitert für alle jüdische Philosophen am fleischgewordenen Teil der trinitarischen Gottheit, die ja gerade nach außen hin als wirklich existierend ein separates göttliches Wesen behauptet, der fleischgewordene Logos, Jesus Christus.

Man muss an dieser Stelle noch erwähnen, dass die Widerlegung christlicher Trinitätsaussagen nicht nur mithilfe der philosophischen Logik geschieht, sondern auch in der Widerlegung der christlichen Schriftauslegung, welche ja zum Beleg dieser Lehre dienen sollte. Es ist erstaunlich zu sehen, dass sich die christlichen Exegeten hier einer Hermeneutik (Auslegungsmethode) bedienen, welche sie mit der antiken jüdisch-talmudischen Schriftdeutung gemein haben. In der Auseinandersetzung mit den Christen weisen die jüdischen Gelehrten jedoch solche in altrabbinischer Manier gewonnenen Deutungen mithilfe einer moderneren philologischen Hermeneutik zurück. Wenn etwa die christlichen Exegeten aus Genesis 1,1: „Am Anfang schuf Elohim Himmel und Erde“ aus dem Pluralwort Elohim auf mindestens eine Zweizahl des Schöpfergottes schlossen und zusammen mit dem über den Wassern schwebenden Geist auf die Trinität kamen, weisen die Juden auf die korrekte Philologie hin, welche in dem Wort Elohim ein sogenanntes Pluraletantum, also ein Pluralwort mit singularischer Bedeutung erkennt. Doch zurück zur Spekulation.

Was soll man nun allerdings sagen, wenn jüdische Denker und Mystiker zu eben derselben Zeit des Philosophenstreites von einer Selbstoffenbarung Gottes als Zehnfaltigkeit sprechen, nämlich in Gestalt der kabbalistischen Sefirot, unter denen sich auch Personen, Vater, Sohn und sogar Mutter und Tochter, finden. Ein Mitkabbalist sieht hier gar eine noch größere Gefahr für den Monotheismus als bei der Dreifaltigkeit der Christen: „Die Kabbalisten gedachten, mittels der Sefirot die Einheit Gottes auszurufen und (zugleich) dem Glauben an die Trinität entrinnen zu können, indem sie ihn als Zehnfaltigkeit darstellen. Und so wie die Völker (Gojim) sagen, er sei dreifaltig und die drei seien eins, so glauben und verbreiten einige Kabbalisten, die Gottheit bestehe aus zehn Sefirot und diese zehn seien eins! So haben sie eine Vielzahl aus ihm gemacht (.).“

Kabbalistischer Klassiker

Und dennoch ist die kabbalistische Lehre von der göttlichen zehnfaltigen Einheit akzeptierte jüdische Lehre geworden. Wie ist das denkbar? Die Kabbalisten gaben selbst die Antwort. Sie akzeptierten zwar die philosophische Formel vom unendlichen Gott der Einheit - sie nannten es En Sof (Unendliches) - aber solch philosophische Seinsaussagen waren für die gelebte Religion nutzlos. Die Menschen brauchten einen Ort, zu dem sie sich hinwenden konnten, mit Gebet und Notschrei, mit der Emotion und der Möglichkeit auf diesen Gott einzuwirken. Und dieser Gott, so sagen die Kabbalisten, sind die offenbarten Gotteskräfte der Sefirot. Der im 13. Jahrhundert lebende El’asar aus Worms meinte: „Siehe, die Einheit Gottes hat kein Ende, Er ist alles. Und wäre in der Hand der Propheten nicht etwas Vorstellbares, indem Er ihnen etwas wie einen auf einem Thron sitzenden König zeigt, wüssten sie nicht, zu wem sie beten sollten.“ Auch der erste kabbalistische Klassiker, das Buch Bahir, fragt, zu wem, wenn nicht zum erlebbaren Sefirot-Baum, man denn im Gebet die Hände erheben soll. Allerdings, so betont Josef Gikatillla, Kabbalist des 13. Jahrhunderts, sind die anthropomorphen Attribute Gottes, Kopf, Kind, Vater, Mutter, allesamt nur Symbole und nicht wirkliche Beschreibungen des göttlichen Wesens.

Es ist deutlich: Hier, wo auch Juden von einer personhaften Vielfaltigkeit Gottes sprechen, geht es nicht um differenzierende und definierende Philosophie. Hier geht es um ein anderes Anliegen, um menschliche Religiosität, um Hinwendung, um Gefühle, um Orientierung in einem sonst abstrakt leeren Raum. Für diese Einsicht besitzen wir ein modernes und sehr aktuelles Zeugnis. Der erste aschkenasische Oberrabbiner des damals noch zionistischen Palästina, Abraham Jizchak Kuk (1865-1935), fragt sich in seinen Tagebüchern einmal ausdrücklich, wie man als frommer Jude zwischen einem traditionellen Monotheismus und der neoplatonisch eingefärbten Emanationslehre der Kabbala entscheiden könne, dies sogar auf die Gefahr hin, dass dadurch die göttliche Schöpfung aus dem Nichts ins Wanken gerät. Das Resultat, zu dem Rav Kuk kommt, ist verblüffend und entspricht dem, was ich soeben schon formuliert habe. Der Rabbiner Kuk meint, die Entscheidung zwischen Monotheismus und Kabbala müsse danach getroffen werden, was dem Menschen mehr zusagt, was seinen Bedürfnissen mehr entgegenkommt. Es ist nach diesen Überlegungen Kuks nicht die philosophische Logik, die hier den Ausschlag gibt, sondern das religiöse und emotionale Bedürfnis des Menschen. Kuk notiert: „Die Auffassung, dass Gott ein Wesen völlig außerhalb des Seins der Welt ist, birgt große Schwierigkeiten, sich ihn und seine Beziehung zur Welt und zu allen Geschöpfen vorzustellen. (.) Darum neigt die Seele des Menschen zu der Vorstellung von der allumfassenden (pantheistischen) Einheit, die nur Gott (als einziges wirklich existierendes Wesen) kennt, (.), dass das wahre Sein die Gottheit ist und alles Sein, das tiefer als der höchste Gott ist, nichts anderes ist als der herabgestiegene Wille (Gottes) (- dies sind die 10 Sefirot -) (.) Aber schließlich wird alle Unreinheit zuende gehen und der Wille wird aus seiner eigenen (Unvollkommenheit) (.) wieder zum absolut Guten aufsteigen, dann wird Gott und sein Name eins sein.“

Diese sehr an christliches Denken erinnernden Worte von Rav Kuk zeigen, dass es die religiöse Motivation ist oder das religiöse Bedürfnis der Menschen, die nach seiner Auffassung das Gottes- und Weltbild bestimmen müssen. Das heißt, die Genugtuung oder die Freude, die ein Mensch von einem theologischen Gedanken gewinnt, ist die Evidenz für dessen Wahrheit. Mithin ist hier nicht die Logik der Vernunft, auch nicht die Schrift und die Tradition der Bürge für die Wahrheit eines theologischen Satzes. Die Wahrheit hat einen anthropologischen Beweis, es ist der Mensch, seine Seele oder sein Herz, welche die religiöse Wahrheit verbürgen müssen, weil er sie so will und sie ihm so zusagt. Das bedeutet für die Frage nach der Stellung des monotheistischen Eingottglaubens: Für die Wahrheit gibt es nach Rav Kuk unterschiedliche Maßstäbe. Da gibt es den Maßstab der Philosophie, für den die Wahrheit aufgrund der Logik ausschließlich im Monotheismus liegen kann. Demgegenüber kennt die Religion den Maßstab des menschlichen Glücks, der menschlichen Zufriedenheit. Der Mensch braucht für sein Glück die Nähe Gottes. Und für diesen persönlichen Glücks-Maßstab ist die kabbalistisch-platonische Emanationslehre mit ihren Sefirot die bessere Wahrheit. Der Mensch ist demnach das Maß der Gotteslehre. Ist er Philosoph, neigt er zum Monotheismus der strengen Form, ist er religiös praktizierend, neigt er zu Gottesvorstellungen, die seiner religiösen Praxis entsprechen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu schaffen. Es geht Kuk bei der Entscheidung für das Konzept der Kabbala nicht um Existenzaussagen, nicht um Gottes Existenz als Einer oder zwei, sondern es geht um das religiöse Leben, um das Streben nach persönlichem Glück. Aus einem solchen Blickwinkel betrachtet, muss auch die christliche Trinitätslehre eine neue Bewertung erfahren - selbst wenn der fleischgewordene Logos nach wie vor eine kaum zu überwindbare Hürde sein wird.

Göttlicher Dualismus

Eine letzte hier erwähnenswerte Erscheinung, welche die Weise von Gott zu reden, in ein neues Licht rückt, ist der moderne jüdische Feminismus, der sich seit den frühen Siebzigerjahren vor allem in den USA, aber auch in Israel einnistet und sich selbst als Revolution jüdischer Theologie begreift. Auch hier verschaffen sich menschliche Bedürfnisse einen Raum, die Erfahrung weiblichen Erlebens und Wahrnehmens, die sich bis dato aus der jüdischen Tradition ausgeschlossen sah. Und hier wird - ganz im Sinne der Auffassung von Abraham Jizchak Kuk - eine neue, den Monotheismus direkt betreffende Weise von Gott zu sprechen, gefordert. Die traditionelle jüdische Rede von Gott hat, trotz der Abstraktionsforderungen der Philosophie, eine Ausdrucksweise weitergepflegt, die den Emotionen der Menschen entsprach, aber philosophischen Forderungen ins Gesicht schlägt. Da ist vom Vater, vom Erbarmer, vom König und vom Retter die Rede, alles Gottesattribute, die dem menschlichen Gefühlshaushalt nahekommen, die aber vor dem strengen philosophischen Urteil seit dem Mittelalter nicht bestehen können. Allerdings, und dies ist das Neue, sehen sich viele Frauen in ihrem Empfinden und ihrer religiösen Erfahrung nicht wirklich oder kaum angenommen.

Die jüdischen Gottesattribute sind allesamt männlich. Das weibliche Element, die mütterliche oder schwesterliche Seite, fehlt. Das Wenigste, was hier gefordert wird, sind weibliche Personalpronomina in den Segensformeln oder gar die Ersetzung des männlichen Adonai (Herr) durch die einzig weibliche Gottesbenennung der jüdischen Tradition, Schechina (göttliche Einwohnung), die ja in der Kabbala tatsächlich eine weibliche Person, Tochter und zugleich Mutter Israels ist. Die Formulierungen, bis hinein in poetische Hymnen, klingen für traditionelle Ohren wie ein mann-weiblicher Gottes-Dualismus, wo der männliche Gott gar ganz unsichtbar wird. So bei der amerikanischen Feministin Lynn Gottlieb: „Shekinah is She Who Dwells within, / The force that binds and patterns creation. She is Birdwoman, Dragonlady, Queen of Heavens, Opener of the Way. / She is Mother of the Spiritworld, Morning and Evening Star, Dawn and Dusk, / She is Mistress of the Seas, Tree of Life, Silvery Moon, Fiery Sun. / All these are her names. .” (Schechinah ist Die, die innerhalb wohnt / Die Kraft, die bindet und Muster schafft. Sie ist Vogelfrau, Drachendame, Königin des Himmels, Öffnerin des Weges. / Sie ist Mutter der Geistwelt, Morgen- und Abendstern, Dämmerung und Staub, / Sie ist die Herrin des Meeres, Baum des Lebens, Silberner Mond, Feurige Sonne / All dies sind ihre Namen .)

Wer jüdische Kritik an der christlichen Trinitätslehre - oder gar an der Marienverehrung - hört, muss sich also immer fragen, zu welcher Richtung der Kritiker gerade gehört, denn die Kritik wird gemäß der nicht zentral verordneten jüdischen Theologie sehr unterschiedlich ausfallen.

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Karl E. Grözinger

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