Beten ist riskant. Es besteht die Gefahr, dass unsere Gebete zwischen Gott und uns geraten. Wenn wir am andächtigsten beten, gehen wir direkt zu Gott - ganz ohne Gebete. Wenn das Aufsagen Eurer Gebete ein Hindernis zum Beten wird, lasst es weg. Der beste Weg zu beten ist: aufhören.“ Der amerikanische Trappist, Mystiker und Aktivist Thomas Merton, 1968 in Vietnam von einem Stromschlag getötet, bleibt anregend. Und wäre er noch Robyn Hitchcock begegnet, hätte Merton als Alternative ja vielleicht dessen Alben empfohlen. Denn die gehen auf vertrackt eingängige Weise auch den direkten Weg.
Der Engländer Hitchcock macht seit 40 Jahren feinen psychedelischen Pop’n’Roll für all jene, die aus der Spur treten und doch dicht dran sein wollen. Der Gitarrist mit super smarter Stimme und gewitzt grat-wandernden Songideen fand seinen Sound, indem er Folk, 60’s-Rock und Wave verband. Bob Dylan, John Lennon und Syd Barrett haben ihn inspiriert, was man auf seinem 21. nach ihm benannten Album immer noch deutlich hört. Zu Anfang spielte Hitchcock mit fester Band, dann machte er solo weiter, kam aber nie über Insider- und College Radio-Ruhm hinaus, doch er blieb zum Glück am Ball. Die neuen Songs begleiten exquisite Sessionmusiker aus Nashville. Countryesk sind jedoch nur „I Pray When I Am Drunk“ (über einen, der sich dabei stets für jenen Mann bedankt, zu dem er geworden ist) und der Pedal Steel-Einstieg von „1970 in Aspic“.
Hitchcocks Songfiguren sind nie trennscharf autobiographisch oder fiktiv und laden so zur Identifikation ein. Das wirkt tröstlich, obwohl Hitchcock zur Dystopie tendiert und sehr um unsere Zukunft fürchtet: „Im Grunde sind wir bloß Heuschrecken mit iPhones, Ratten mit Laptops, Kakerlaken auf Rädern“, sagt er ob unserer destruktivem Stellung im Ökosystem. Unsere Chancen zu überleben hält er für gering, trotzdem tun seine Songs richtig gut! In „Sayonara Judge“ singt er über einen, dem Erfolg, das Selbstwertgefühl und der innere Zusammenhalt abhandenkamen, dass das ja nicht alles sei - und intoniert fröhlich: „I’m a loser but I’m walking on air“. Und wir glauben ihm. Im beschwingten „Time Coast“ dankt er selig für das Leben, so obskur dabei auch die Perspektive erscheinen mag: „I’m singing to the ruins, I’m singing like a fossil“. Und auch in „Autumn Glasses“, dieser grandiosen Psychedelic Folk-Ballade mit unverstelltem Blick auf unsere Vergänglichkeit, dominiert helle Zuversicht, feine Sitargitarre inklusive.
Psychedelik ist, von der Erlebnisseite her betrachtet, pure Mystik. Verschmelzen allerdings ohne Götter und Esoterik, eine Art innerer Pyrotechnik mit vielerlei Schattierungen und Blendgraden, die dennoch erleuchtet statt bloß zu benebeln. Eine Sause für die Seele, mal mild, mal überwältigend und bei Robyn Hitchcock immer smart. Musik, bei der Gebete beiseite bleiben dürfen. Denn hier erreichen sie gerade so ihr Ziel.
Udo Feist
Udo Feist
Udo Feist lebt in Dortmund, ist Autor, Theologe und stellt regelmäßig neue Musik vor.