Sachkenntnis

Von der Natur des Geistes
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Es gelingt Pauen zu zeigen, wie weit wir noch von einer Vereinbarkeit der internen und externen Bewusstseinserkundung entfernt sind.

Mensch und Natur lassen sich mittlerweile detailliert und nahezu umfassend naturalistisch erklären. Sobald es jedoch um die Natur des Geistes geht, gerät menschlicher Forschergeist immer wieder an die Grenzen des Wachstums. Daran haben auch die groß angelegten Programme zur Hirnforschung der vergangenen Jahrzehnte nichts geändert. Michael Pauen, Philosophieprofessor an der Humboldt-Universität Berlin, ist dennoch zuversichtlich, dass die Naturwissenschaft eines Tages Wege finden wird, das Bewusstsein zu erklären.

Derzeit jedenfalls klafft zwischen objektiv wissenschaftlicher Erfahrung (Extrospektion) und subjektiver Wahrnehmung (Introspektion) eine unüberbrückbare Erklärungslücke. Nach Pauen muss dies jedoch nicht so bleiben. Unsere Vorstellungen von Geist und Gehirn haben sich nachweislich immer wieder tiefgreifend verändert. Die Geschichte der Erforschung des Geistes reicht von altertümlichen Vorstellungen vom „Lebenshauch“ über Platons immaterielle Seele bis hin zum neuzeitlichen - an Hirnfunktionen gebundenen - Bewusstsein. Dass ein Problem in seiner heutigen Gestalt als unlösbar gilt, hat somit für die Zukunft nicht viel zu bedeuten.

Ohne jedwede Polemik und mit großer Sachkenntnis und sprachlicher Klarheit legt Pauen in drei Kapiteln die jeweiligen historischen Bezüge offen, stellt die systematischen Argumente unter Berücksichtigung der theoretischen Begrifflichkeiten vor und interpretiert die empirischen Befunde der Hirnforschung. Pauen ist von der Gleichwertigkeit der Innen- und Außenwahrnehmung überzeugt. Keine ist der anderen als Wissensquelle überlegen - und beide sind fehleranfällig. Daher geht es Pauen zunächst auch „nur“ um die Integration von subjektiver Erfahrung in einen soliden naturalistischen Ansatz. Noch sind die Hindernisse groß. Aber sie sind keineswegs unüberwindlich. Gerade die Hirnforschung hat immer wieder bewiesen, wie leicht sprunghafte und kaum vorhersehbare Zunahmen unseres empirischen Wissens über das Geist-Gehirn-Problem möglich sind. Beinahe noch wichtiger ist indes, dass sich dabei auch unsere Vorstellung von dem Problem selbst schon mehrfach fundamental verändert hat.

Zudem können wir heute doch gar nicht wissen, welche empirischen Methoden uns künftig bei der Problemlösung zur Verfügung stehen. Vermutlich wird sich eine solche Lösung auf Prozesse im Gehirn stützen, die derzeit noch völlig außerhalb unserer Vorstellungskraft liegen. Pauen ist davon überzeugt, würde uns morgen jemand die endgültige Lösung des Hirn-Geist-Problems präsentieren, wäre sie vermutlich für uns ebenso unbegreiflich wie etwa einem Renée Descartes die Möglichkeiten der modernen Magnetresonanztomographie.

Darauf, dass die Quantenphysik bereits gezeigt hat, dass sogar der Naturalisierung der Materie Grenzen gesetzt sind, geht Pauen leider nicht ein. Erstaunlicherweise, denn es sind mutmaßlich die gleichen Grenzen, die auch einer umfassenden Erklärung des Geistes entgegenstehen. Pauen geht es allerdings zunächst auch weniger um die Lösung als vielmehr um eine Weiterentwicklung des Problems. Sein Buch ist jedenfalls ein gelungenes Plädoyer dafür, unser eigenes Denken daraufhin zu schärfen, dass das, was wir heute „bewusste Erfahrung“ nennen, auch weiterhin zugleich „Bestandteil des Problems und Gegenstand der Lösung“ bleibt.

Es gelingt Pauen zu zeigen, wie weit wir noch von einer Vereinbarkeit der internen und externen Bewusstseinserkundung entfernt sind. Der Resignation erteilt er jedoch eine Absage. Neugier lohnt sich - zumal es ohnehin für den menschlichen Geist nichts Spannenderes gibt, als die Natur des Geistes zu erkunden.

Reinhard Lassek

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