Angst vor einer Spaltung

Die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes mied heikle Themen
Windhoeck: Festgottesdienst zur Erinnerung an 500 Jahre Reformation. Foto: dpa/ Gioia Forster
Windhoeck: Festgottesdienst zur Erinnerung an 500 Jahre Reformation. Foto: dpa/ Gioia Forster
Die Vollversammlung des LWB in Windhoek verlief nach außen hin friedlich und in Eintracht. Der Preis dafür war, dass Konfliktthemen wie Homosexualität nicht und die Bewertung der SWAPO sehr einseitig verhandelt wurden, wie der Journalist Benjamin Lassiwe berichtet.

Wir sind befreit durch die Gnade Gottes!, we are liberated of gods grace, sangen die Menschen im Sam-Nujoma-Stadion in Namibias Hauptstadt Windhoek. Unter freiem Himmel, im Township Katutura, hatten sich tausende Menschen aus dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika und den Nachbarstaaten versammelt, um an einem historischen Ereignis teilzunehmen: Dem Festgottesdienst zur Erinnerung an 500 Jahre Reformation, den der Lutherische Weltbund, der weltweite Dachverband von 145 Lutherischen Kirchen mit 74 Millionen Mitgliedern, Mitte Mai feierte.

Erst zum zweiten Mal hatte der Weltbund seine Vollversammlung auf dem schwarzen Kontinent abgehalten. Namibia wurde ausgewählt, weil es das lutherischste Land Afrikas ist: Gut zwei Drittel der Bevölkerung gehören einer der drei lutherischen Kirchen des Landes an. Dazu kommt eine gemeinsame Geschichte: Zu Zeiten der Apartheid unterstützte der LWB mit seinem Weltdienst die Befreiungsbewegung swapo. Immer wieder wurde das während der Vollversammlung in Namibia betont – zum Beispiel von Hage Geingob, dem Präsidenten des Landes, der die Lutheraner im noblen „Country Club“ der Hauptstadt begrüßte. „Wir sind den lutherischen Kirchen dankbar, nicht nur für moralische, sondern auch für materielle Unterstützung während unseres Kampfes gegen die Unterdrückung“, sagte Geingob. Und unter dem Applaus der versammelten Delegierten bekannte er: „I am a lutheran – ich bin ein Lutheraner.“ Dass es nach der Befreiung von der Apartheid auch zu Menschenrechtsverletzungen seitens der swapo gekommen war, fiel in Namibia allerdings weitgehend unter den Tisch. Eine Petition, die Vertreter afrikanischer swapo-Opfer an den assis-tierenden LWB-Generalsekretär Ralston Deffenbaugh übergaben, wurde in Windhoek nicht behandelt.

Ein anderes historisches Thema war dagegen während der Vollversammlung durchaus präsent, auch wenn es für Mitglieder der deutschen Delegation vermutlich präsenter war als für die übrigen Teilnehmer des Treffens: Der von deutschen Kolonialtruppen verübte Genozid an den Herero und Nama im Jahr 1904. Kurz vor der Vollversammlung hatte die ekd eine moralische Mitschuld der damaligen Pastoren eingeräumt. „Als Nachfolgeinstitution des einstigen Evangelischen Preußischen Oberkirchenrats, der seinerzeit im Auftrag aller deutschen evangelischen Landeskirchen handelte, bekennen wir uns als Evangelische Kirche in Deutschland heute ausdrücklich gegenüber dem gesamten namibischen Volk und vor Gott zu dieser Schuld“, hieß es darin. „Wir bitten die Nachfahren der Opfer und alle, deren Vorfahren unter der Ausübung der deutschen Kolonialherrschaft gelitten haben, wegen des verübten Unrechts und zugefügten Leids aus tiefstem Herzen um Vergebung.“

Von den Delegierten der Vollversammlung wurde die Erklärung der ekd ausdrücklich begrüßt. In einer eigenen Resolution boten sie den Kirchen Deutschlands und Namibias Unterstützung bei der Versöhnungsarbeit an. „Die Erinnerungen an das Unrecht der Vergangenheit müssen eingestanden werden, bevor sie geheilt werden können“, hatte der scheidende LWB-Präsident Munib Younan schon in seiner Eröffnungsansprache vor der Vollversammlung erklärt. „In Namibia kann dieser Prozess des Eingestehens vergangenen Unrechts und der Heilung traumatischer Erinnerungen wesentlich vorangebracht werden durch das sehr begrüßenswerte Schuldbekenntnis der Evangelischen Kirche in Deutschland bezüglich der deutschen Kolonialverbrechen in Namibia.“

Für ein historisches Ereignis freilich sorgte die LWB-Vollversammlung auch selbst: Erst zum zweiten Mal in der Geschichte des Weltbundes wählte sie einen aus Afrika stammenden Präsidenten, den 57-jährigen Nigerianer Musa Panti Filibus. Vordergründig setzte der Weltbund damit eine alte Tradition fort: Grundsätzlich entstammt der Präsident des lutherischen Dachverbands immer der Region, in der die Vollversammlung gerade tagt – nur 2010 in Stuttgart hatte man sich entgegen dieser Regel für den palästinensischen Bischof Munib Younan entschieden, weil ein Präsident aus der Region Asien damals überfällig war. Und so wie Younan zuvor Vizepräsident des LWB für die Region Asien war, kennt auch Filibus den LWB von innen – bis 2013 war er in der Zentrale des Weltbundes in Genf tätig, zuletzt als Direktor für Mission und Entwicklung.

Kampf gegen sexuelle Gewalt

Doch gerade Nigeria ist für Christen kein einfaches Pflaster. In der Heimat des neuen Präsidenten entführten die Terrorgruppen des Boko Haram christliche Schülerinnen – das Schicksal der Chibok-Mädchen sorgte weltweit für Aufsehen. Und zwei Monate lang habe es in einigen Diözesen seiner Kirche keinerlei öffentliche Veranstaltungen gegeben, erzählte Filibus während der Vollversammlung. Die Gefahr terroristischer Anschläge war schlicht zu groß. Und dennoch forderte der Erzbischof der „Lutherischen Kirche Christi“ einen Dialog mit moderaten Muslimen. „Man sollte jede Möglichkeit dafür nutzen“, sagt Filibus. „Denn wo Waffen gegen Waffen stehen, zerfällt die Welt zu Asche.“

Inhaltlich beschäftigte sich die Vollversammlung des LWB mit dem Thema „Befreit durch Gottes Gnade“. Mit den Unterthemen „Erlösung – Schöpfung – Gnade – für Geld nicht zu haben“ bezogen die Lutheraner Position zu Themen wie dem internationalen Menschenhandel oder dem Umgang mit der Schöpfung. Besondere Aufmerksamkeit erhielt der Kongolese Dennis Mukwege: Der Arzt, der wegen seines Einsatzes für vergewaltigte Frauen mehrfach für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde, forderte die Kirchenvertreter auf, sich entschieden gegen sexuelle Gewalt zu positionieren. „Es hängt von uns ab, den Erben Martin Luthers, alle Macho-Dämonen, die die Welt beherrschen, durch Gottes Wort auszutreiben”, sagte Mukwege. Im Kongo seien systematische Massenvergewaltigungen eine Kriegswaffe, die gezielt eingesetzt werde, um den Gegner zu erniedrigen. So wie atomare, chemische und biologische. Mukwege sagte, man habe international den Gebrauch von Chemiewaffen geächtet. Doch es gebe bisher kein vergleichbares Verbot gegen den Einsatz sexualisierter Gewalt.

Nur wenig zur Sprache kamen dagegen die inneren Verhältnisse des LWB. Schon bei der Vollversammlung 2010 in Stuttgart hatte es bekanntlich Spannungen gegeben – und die Reizthemen haben sich nicht verändert. Da ist zunächst der Umgang mit Homosexualität: Vor allem die konservativen lutherischen Kirchen Afrikas reiben sich an der Segnung oder Trauung gleichgeschlechtlicher Paare, die immer mehr Mitgliedskirchen des LWB praktizieren. Als die Schwedische Kirche die kirchliche Trauung für Homosexuelle einführte, brach die äthiopische evangelische Mekane-Yesus-Kirche alle Beziehungen zu den Schweden ab. Für den LWB sind solche Bruchstellen katastrophal: Wenn eine Kirche der anderen die Abendmahlsgemeinschaft verweigert, klafft im Weltbund eine Lücke. Im Jahresbericht des Weltbundes wird deswegen von der so genannten „Emmaus-Konversation“ berichtet.

Wie Jesus mit den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus sei man gemeinsam unterwegs. „Von gegenseitiger Achtung geprägte und in Würde geführte Dialoge über komplexe Themen sind möglich“, heißt es im Jahresbericht. Aber auch: „Die besondere Situation jeder einzelnen Mitgliedskirche muss berücksichtigt werden.“ Der LWB sei eine Kirchengemeinschaft „mit vielfältigen Themen“. „Die LWB-Kirchengemeinschaft als Ganze sollte keine Beschlüsse über den Themenbereich Ehe, Familie und Sexualität fassen.“ Deutlicher als mit diesen Worten lässt sich die eigene Zerbrechlichkeit wohl kaum vor Augen führen.

Weswegen wohl in Windhoek auch der Konflikt um die evangelisch-lutherische Kirche Lettlands nur am Rande vorkam. Die dortigen Lutheraner um den konservativen Erzbischof Janis Vanags hatten 2016 die bereits eingeführte Frauenordination – deren Umsetzung in möglichst vielen Kirchen ein erklärtes Ziel des LWB ist – wieder rückgängig gemacht. Was für den LWB purer Sprengstoff ist: Zwar wird die Frauenordination derzeit nur in 119 der 145 LWB-Mitgliedskirchen praktiziert. Dass eine Kirche sie aber aus freien Stücken rückgängig macht, ist bisher noch nicht vorgekommen. Die Vollversammlung appellierte in ihrer Schlussbotschaft lediglich an „Kirchen, die die Frauenordination beendet haben“, diesen Schritt zu überdenken. Lettland selbst wurde mit keiner Silbe erwähnt, und auch mit den Letten selbst konnte in Namibia niemand diskutieren: Nach eigenen Angaben verzichtete die Kirche aus finanziellen Gründen darauf, eine Delegation nach Windhoek zu entsenden. Worauf LWB-Vertreter mit Unverständnis reagierten: „Keine Kirche ist aus finanziellen Gründen von der Vollversammlung ausgeschlossen“, sagte der scheidende LWB-Präsident Munib Younan. „Und keine Kirche ist wegen ihrer Perspektive auf bestimmte Themen ausgeschlossen: Wir sind unterschiedlich, wir respektieren, was sie entscheiden, aber wir sind anderer Meinung.“

Denkbar allerdings ist es, dass sich die lettische Kirche generell anders orientieren will: Denn sie pflegt gute Kontakte zur Lutherischen Kirche der Missouri-Synode in den usa, die nicht dem LWB angehört, und stattdessen wichtigste Mitgliedskirche des Internationalen Lutherischen Rates (ilc) ist – einem konservativen, teils evangelikal geprägten Dachverband, der in latenter Konkurrenz zum LWB steht. Jedenfalls zeigt auch dieser Vorgang, dass der LWB weiterhin den schon in Stuttgart zu beobachtenden Zentrifugalkräften ausgesetzt ist – und der neue Präsident Musa Panti Filibus wohl alle Hände voll zu tun haben wird, den Kirchenverband in den kommenden Jahren beieinander zu halten.

Benjamin Lassiwe

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