Zukunft jenseits der Metropolen

Kirche auf dem Land heißt, hinausgehen zu den Anderen
Foto: privat

Urbanisierungshype und Untergangsprognosen für ländliche Räume: Abgehängte Regionen ohne öffentlichen Nahverkehr, Internetanschluss und Arbeitsplätze seien es. Ist diese Einschätzung richtig, oder gibt es das doch: ein gutes Leben auf dem Land?

Nicht auf dem Land leben müssen, aber können, ja dürfen. Das ist eine Perspektive. Den Umzug ins Dorf als Chance verstehen: für einen Lebensabschnitt - und vielleicht wird ja mehr daraus. Der ländlich geprägte Sprengel Mecklenburg und Pommern meiner Landeskirche besticht durch Strände, Schlösser, Gutshäuser, Seen- und Flusslandschaften. In den vergangenen 25 Jahren sind nicht nur über 900?000 Menschen von hier fortgezogen. Es gibt auch 750?000 Zuzüge: Freiberufler und Künstler, spezialisierte Produzenten und Pionierunternehmer, Flüchtlinge und Lebenskünstler. Sie wissen das Leben hier zu schätzen und stellen etwas auf die Beine.

Naturnahes Leben wird von Stadtflüchtern auch gerne idealisiert. Doch das Leben auf dem Land ist keineswegs idyllisch. In vielen Regionen gibt es Konflikte zwischen agrarindustriellen Produktionsstrukturen auf der einen und bäuerlicher Landwirtschaft, Handwerk und nachhaltigem Tourismus auf der anderen Seite. Dörfer wirken wie verlassen, wenn man abends durch sie fährt. Menschen fühlen sich abgehängt. Hochburgen der Rechtspopulisten finden sich in der Peripherie nicht selten. Wer hier hinzieht, muss sich auch engagieren.

Die ländlichen Räume haben sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Die Innenwelt der Dörfer ist vielfältig geworden. Eine bunte, nicht immer einfache Mischung von Alteingesessenen, Zugezogenen, Migranten und Flüchtlingen gibt es hier. Herausforderung und Chance für Kirche ist das. Paulus beschreibt im Epheserbrief, wie Christus hier seine Gemeinde bauen will: „Und er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren … So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn.“

Dies ist ein wunderbares Bild gelebter Gemeinschaft der Verschiedenen durch die Kraft des Evangeliums. Hier werden wir eingefügt: wir Verschiedenen. Nicht einfach aneinandergelegt. Das würde nicht lange halten. Sondern: „ineinandergefügt“. Für kirchliches Leben auf dem Land heißt das: nicht für sich bleiben, sondern hinausgehen zu den Anderen - zu den Konfessionslosen und den Skeptikern, zu den von der Vielfalt und dem Wandel Verunsicherten, zu den Abgehängten und den in Demographieängsten Erstickenden, zu den Flüchtlingen und den Alteingesessenen, die sich einsam fühlen. Sie einladen in die Gemeinschaft des Dorfes und Leben teilen mit ihnen, wann und woher auch sie auch immer kamen. Das schenkt Zukunft jenseits der Metropolen.

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Gerhard Ulrich ist Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), Landesbischof der Nordkirche und Herausgeber von zeitzeichen.

Gerhard Ulrich

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Gerhard Ulrich

Gerhard Ulrich war bis vor kurzem Landesbischof der evangelischen Nordkirche und ist Herausgeber von zeitzeichen.


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