Beglückend

Ein Geburtstagsgeschenk
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Mendelssohns unvergleichliches Talent bündelt sich in diesen 28 Klangkleinodien wie unter einem Brennglas.

Was ist eine wirklich gelungene Zugabe? Das ist, wenn nach einem großartigen Konzert noch etwas drauf gesetzt wird, weil das Publikum zwar bis zum letzten erfüllt ist, aber eben dazu noch eine Gabe sehnlichst erwartet, die zumindest symbolisch den immerwährenden Wunsch des Menschen erfüllt, dass alle Lust Ewigkeit will.

In solchem Zugaben-Zusammenhang kann durchaus die neuste Veröffentlichung von Frieder Bernius und dem Kammerchor Stuttgart verstanden werden. Nachdem diese in den vergangenen Jahrzehnten fast das gesamte Chorwerk Felix Mendelssohn-Bartholdys sowie seine beiden großen geistlichen Oratorien nicht nur wiederentdeckt, sondern durch gültige, ja mustergültige Aufnahmen der ganzen Welt geschenkt haben, sind nun die „Lieder im Freien“ erschienen. Als Zugabe eben und zwar als eine perfekte, denn diese vierstimmigen A-cappella-Gesänge mit den Opuszahlen 41, 48, 59, 88 sowie die vier Lieder Opus 100 sind schlicht zauberhaft.

Mendelssohns unvergleichliches Talent bündelt sich in diesen 28 Klangkleinodien wie unter einem Brennglas: Da ist zum einen sein großes melodiöses Können - man nehme nur eine zarte Hymne wie das „Morgengebet“ von Joseph von Eichendorff, deren Eingangszeile „O wunderbares, tiefes Schweigen, wie einsam ist’s noch auf der Welt“ eine musikalische Lebenslinie entwirft - da sind zum zweiten die gerade in dieser romantisch klar codierten Minimalmusic immer wieder ins Herz des Hörers treffenden lieblichen Harmonien, beispielsweise in Uhlands „Frühlingsfeier“ und „Ruhetal“ - ein Klangbild, das nur grobe, übellaunige Gemüter als Kitsch diffamieren könnten. Und schließlich ist da zum dritten der selbstverständlich gekonnte Umgang mit Sprache, geschult am Studium der Alten Meister des Früh- und Hochbarock. Das ist Mendelssohns magische Trias, die in dieser mustergültigen Neuerscheinung immer wieder Ohr und Herz erobern will!

Auch gibt die CD wieder einmal Grund, Frieder Bernius, dem Gründer und Ausnahme-Chorleiter des Kammerchors Stuttgart seit 1968 (!), Respekt zu zollen und Dank zu sagen: Was dieser Ausnahmemusiker, der kürzlich 70 Jahre alt wurde, für das Ansehen und den Fortgang des A-cappella-Chorgesangs in toto und für die Interpretation und in Deutschland ja unbegreiflicher Weise für die selbst heute noch notwendige Rehabilitation der Musik Mendelssohns bewirkt hat, ist unermesslich. Insofern bleibt zu hoffen: Ad multos annos, Frieder Bernius - denn alle Lust will Ewigkeit.

Reinhard Mawick

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