Fragwürdig

Religiöses Sonderrecht
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Eva Müller weist zutreffend auf wunde Punkte im religionsrechtlichen System der Bundesrepublik hin.

Dürfen Muslime eigene Gerichte unterhalten? Eine islamische Schiedsgerichtsbarkeit, etwa zu Ehefragen, ist in Kanada oder Großbritannien schon länger ein Thema. In westlichen Staaten läuft die Meinungsbildung aber ganz zu Recht darauf hinaus, die Tätigkeit religiöser Richter einzudämmen. Die Gerichtsbarkeit ist Aufgabe des Staates. Dies wird in Bezug auf Muslime durchweg auch in der Bundesrepublik Deutschland betont.

Nur: Die Debatten, die bei uns geführt werden, sind auf einem Auge blind. Durchweg wird verdrängt, dass in der Bundesrepublik eine außerstaatliche religiöse Gerichtsbarkeit bereits vorhanden ist, da die Kirchen eigene Gerichte besitzen.

Auf evangelischer Seite werden vor Kirchengerichten Verwaltungs- oder Arbeitsrechtsstreitigkeiten ausgetragen. Die römisch-katholische Kirche unterhält darüber hinaus Ehegerichte und übt sogar eine interne Strafgerichtsbarkeit aus.

Es ist das Verdienst der Journalistin Eva Müller, die dunklen Seiten der katholischen Justiz durch ihr Buch Richter Gottes. Die Geheimprozesse der Kirche. Paralleljustiz mitten in Deutschland. einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Sie hat bereits 2013 ein Buch publiziert, das sich unter dem Titel „Gott hat hohe Nebenkosten“ kritisch mit dem kirchlichen Arbeitsrecht befasste. Das Buch wurde zum Bestseller; die Kritik traf ins Schwarze.

Auch dieses Mal beruht die Darstellung auf breiten Recherchen und weist zutreffend auf wunde Punkte im religionsrechtlichen System der Bundesrepublik hin. Einige Buchkapitel zeichnen nach, wie die Kirche zum sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch kirchliche Amtsträger noch in den vergangenen Jahren einer Vertuschungsstrategie folgte.

Statt des Staates urteilten katholische Kirchengerichte, wodurch der öffentlichen Aufklärung, der tatangemessenen Bestrafung und den Interessen der Opfer geschadet wurde. Ausführlich geht das Buch auf die Ehegerichte der Kirche ein.

Sachlich korrekt werden die Eigenarten der römisch-katholischen Ehe- und Sexuallehre wiedergegeben, die selbst für Katholikinnen und Katholiken nicht mehr nachvollziehbar sind. Da die katholische Kirche eine staatliche Ehescheidung nicht anerkennt, muss eine frühere Ehe kirchengerichtlich für nichtig erklärt werden, bevor eine Frau oder ein Mann neu heiraten darf. Kirchenmitglieder können daher in Zugzwang geraten, sich einem Ehenichtigkeitsverfahren zu unterwerfen - vor allem dann, wenn sie in einem Arbeitsverhältnis zur katholischen Kirche stehen. Diese Kirche ist bekanntlich ein sehr großer Arbeitgeber und übernimmt in dieser Funktion im Auftrag des Staates öffentliche Aufgaben.

Andererseits droht für ihre Beschäftigten, die die kirchliche Moral verletzen, letztlich die Kündigung. Daher nehmen die Betroffenen Ehenichtigkeitsprozesse mit all ihren Befremdlichkeiten auf sich.

Wie demütigend solche Prozesse verlaufen, schildert das Buch an authentischen Beispielen. Bemerkenswert ist, dass sich einzelne katholische Kirchenrechtler aus der Deckung begeben haben. Sie lassen sich namentlich zitieren und schildern derart ernüchternd die Realität der Kirchenprozesse, dass sich das Fazit aufdrängt: In der Bundesrepublik Deutschland - eigentlich ein säkularer Rechtsstaat - existiert eine nebenstaatliche religiöse Gerichtsbarkeit, von der die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und ihre Privatsphäre verletzt werden. Zugleich wird deutlich, wie fragwürdig die Barmherzigkeitsrhetorik von Papst Franziskus ist und wie starr die alte katholische Ehemoral konserviert wird. Dies alles bedarf der kritischen Diskussion.

Hartmut Kress

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