Trinität ganz praktisch

Wir können noch heute von Augustin lernen, meint der Doktorand Martin Brons
Foto: Daniel Ursus Ochs
Foto: Daniel Ursus Ochs
Er studierte ein Jahr in Rom, wo ihm ein alter Mönch den Kirchenvater Augustin ans Herz legte. In seiner Dissertation untersucht Martin Brons, Pfarrer an der Nürnberger Egidienkirche, welche Bedeutung die Trinitätslehre in der Gottesdienstpraxis des antiken Kirchenlehrers hatte.

Mein Weg in die Theologie lag zwar sehr nahe, da mein Vater Pfarrer war und ich die kirchliche Arbeit in der Gemeinde praktisch von der Pike auf inhaliert habe. Aber ich hatte lange Zeit vor, Medizin zu studieren, habe mich beim Roten Kreuz und später bei den Johannitern engagiert. Als ich etwa 17 Jahre alt war, begann ich mir zu überlegen, durch welchen Beruf ich mich künftig prägen lassen wollte. Theologie und Pfarrberuf empfand ich für mich dann doch als umfassender oder ganzheitlicher, weil sie Gott und die Menschen in den Blick nehmen. Also habe ich Theologie studiert, unter anderem auch ein Jahr lang in Rom. Dort verbrachte ich viel Zeit mit dem katholischen Patristiker und Benediktinermönch Basil Studer, einem Freund unserer Familie. Er hat in mir die Faszination zum Kirchenvater Augustin geweckt, die sich durch das weitere Studium erst in Heidelberg und dann in Berlin bei Christoph Markschies fortgesetzt hat.

Nach dem Vikariat am Berliner Dom und einem Auslandsvikariat in Jerusalem bekam ich die Möglichkeit zu promovieren. In meiner Arbeit wollte ich das, was mich am Antiken Christentum fasziniert hat, mit meiner praktischen Gemeindeerfahrung verbinden. Der Titel meiner Dissertation lautet deshalb auch: „Augustins Trinitätslehre praktisch: Katechese, Liturgie, Predigt“. Dahinter stecken die Annahme und die eigene Erfahrung, dass unsere Tätigkeiten und Rituale zurückwirken auf unser Wissen und Handeln. Betrachtet man dagegen die Wissenschaftsgeschichte zu Augustins Trinitätslehre, stellt man fest, dass diese ausschließlich durch sein philosophisches Hauptwerk De Trinitate geprägt wurde. Augustin war aber knapp 40 Jahre lang Priester und Bischof der nordafrikanischen Stadt Hippo Regius, und so ist es doch geradezu absurd, völlig außer Acht zu lassen, wie seine Trinitätstheologie in seiner tagtäglichen kirchlichen Praxis zur Geltung kam. In meiner Arbeit habe ich also versucht, Augustins trinitarisches Denken konsequent aus seinen Musterunterweisungen zur Aufnahme in den Katechumenat, seiner gottesdienstlichen Praxis und seinen Predigten abzuleiten. Das hat bisher noch niemand gemacht. Ein Nebeneffekt von diesem Zugang ist, dass sich durch die Predigten und kirchlichen Rituale auch das konkrete religiöse Leben der Menschen zur Zeit Augustins gut darstellen lässt.

Ausgangspunkt für meine Untersuchung waren die rund 560 erhaltenen authentischen Predigten von Augustin. Damals wurde frei gepredigt, aber während des Gottesdienstes alles von sogenannten Schnellschreibern, den Stenographen der Antike, festgehalten. Man findet in diesen Predigten also Augustins authentisches Wort und sicher auch viele spontane Gedanken; er hat diese Predigten nicht weiter bearbeitet, geglättet oder gedanklich nachgebessert. Mir ist aufgefallen, dass Augustin an besonders wichtigen Festtagen des Kirchenjahres wie Ostern oder Pfingsten, erfahrungsbezogene Hörersignale setzt, wie zum Beispiel den Appell: „Denk an deine Stirn!“ (lateinisch: recole frontem tuam).

Was bedeutet das? Augustin weckt in seinen Predigten die Erinnerung an wichtige biographische Ereignisse im Leben eines Christen, um diese dann trinitätstheologisch auszulegen. Dazu muss man wissen, dass man zur Zeit Augustins schon vor der Taufe als Christ galt, nämlich ab dem Zeitpunkt, zu dem man in den Katechumenat aufgenommen wurde. Zwischen diesem ersten entscheidenden Schritt und dem zur Taufanmeldung, Taufvorbereitung und Taufe selbst konnten oft Jahrzehnte liegen. Bereits das allererste Aufnahmegespräch war aber eine Glaubensunterweisung, die mit einem Aufnahmeritual verbunden war, eben unter anderem der Kreuzesbezeichnung auf der Stirn.

Augustin ruft also in wichtigen Predigten den entscheidenden Moment in der Biographie eines spätantiken Christen in Erinnerung, in dem dieser – damals zumeist als Erwachsener – in die Kirche aufgenommen wurde; und er verknüpft diese unmittelbare Erinnerung mit einer eindeutig trinitarisch ausgerichteten Theologie, indem er in allen möglichen Facetten immer wieder von Gott-Vater, dem Schöpfer, spricht, von Jesus Christus, dem Gekreuzigten und dem Erlöser und dem Heiligen Geist, der ermöglicht, dass wir als Glaubensgemeinschaft leben. Der Dreieinige Gott wird also unmittelbar an das Leben der Gläubigen angedockt und erfahrungsbezogen ausgelegt.

Um diese Beobachtungen wissenschaftlich sauber darzustellen, konnte ich auf Ergebnisse der gegenwärtigen Gedächtnis- und Ritualforschung (Ritual Studies) zurückgreifen. Grundsätzlich wird heute zwischen dem biographisch-episodalen und dem lexikalisch-begrifflichen Gedächtnis unterschieden.

An wichtige Momente unseres Lebens erinnern wir uns in aller Regel konkret biographisch, während abstraktes Wissen nur angeeignet und auch schnell wieder vergessen wird. Die Erinnerung an den ersten Kuss kann einen ganzen Gefühlsschwall auslösen, der bis hin in die Wahrnehmung von Gerüchen geht. Der Geschichtsunterricht leistet das in aller Regel nicht, außer er ist eben mit bestimmten Erlebnissen verknüpft. Die Forschung hat gezeigt, dass Rituale die Gedächtnisfunktion unterstützen. Augustin nutzt dieses Phänomen und verbindet die kirchlichen Rituale seiner Zeit mit einer trinitarisch entfalteten Theologie. Dadurch ist der trinitarische Glaube nicht abstrakt, sondern erfahrungsbezogen verortet und durch Liturgie und Predigt inhaltlich abruf- sowie erweiterbar.

Das alles ist für mich aber nicht nur für die Betrachtung der Vergangenheit und für das Verständnis von Augustin relevant. Jeder Christ müsste die Frage beantworten können, was der Dreieinige Gott, auf dessen Namen er getauft wurde und den er im Glaubensbekenntnis trinitarisch bekennt, mit seinem Leben zu tun hat. Martin Luther, der selbst durch das Mönchtum augustinischer Fassung geprägt wurde, spricht in seiner Vorrede zum Katechismus nicht zufällig von der Form, die man „wählen und bei der man ewig bleiben“ soll. Sprachformen und Rituale entwickeln gerade in der Kontinuität ihre Kraft und müssen gleichzeitig immer wieder neu entschlüsselt werden.

Ich glaube, dass gerade heute, in der auch religiös ausdifferenzierten Welt, viele Menschen auf der Suche nach klaren Formen und Aussagen sind, die ihrem Leben Halt und spirituelle Tiefe geben können und sie zum Kern unseres Glaubens führen. Diese Doppelbewegung aus Reduktion und inhaltlicher Entfaltung leistet Augustin in Bezug auf unseren trinitarischen Gottesglauben.

Aufgezeichnet von Reinhard Mawick

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Martin Brons

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