Geschützte Räume

In unseren indiskreten Zeiten wird die Beichte wieder wichtig

„Stimmt es, dass Sie ein vertrauliches Gespräch mit Herrn X geführt haben?“, fragt mich ein Journalist. Ich lache und sage: „Sollte es so sein, würde ich es nicht sagen, denn das macht den Charakter eines vertraulichen Gespräches aus.“ Der Journalist ist nachhaltig verärgert. Dass etwas vertraulich bleibt, ist offensichtlich ein Affront, gar eine Kränkung, wenn nicht eine Unverschämtheit. Je länger ich darüber nachdenke, desto deutlicher finde ich die Veränderung. Heute erzählen Menschen alles über sich. Bei Facebook posten sie unablässig, wo sie sind, wen sie treffen, was sie denken, was sie essen. Ganz zu Beginn habe ich unter falschem Namen einen Facebook-Account eröffnet, weil meine Töchter darüber Fotos teilen wollten. Obwohl ich selbst nichts aktiv gepostet habe, erhielt ich alle möglichen „Messages“ und dazu ständig Freundschaftsangebote. Ich habe diesen Spuk jetzt ganz und gar beendet. Inmitten des enormen Mitteilungsbedürfnisses ist für Vertraulichkeit offenbar kein Platz mehr. Es heißt, wenn in einer Abteilung etwas weit verbreitet werden solle, müsse es mit dem Vermerk „vertraulich“ in Umlauf gehen. „Einen Menschen ins Vertrauen ziehen“ - das ist eine sehr schöne Redewendung. Es sagt etwas aus über die Qualität einer Beziehung und über den Charakter des Menschen, mit dem gesprochen wird. Wie froh können wir sein, wenn wir Freundinnen und Freunde haben, die noch wissen, was Privatsphäre bedeutet. Auch das Beichten findet in einem solchen geschützten Raum statt. Martin Luther hat für die Evangelischen die Beichte nicht abgeschafft, wie viele meinen. Sie ist für ihn kein Sakrament, weil das sichtbare Zeichen fehlt. Auch lehnt er Bußübungen ab, weil er überzeugt ist, in der Taufe sei alles Versagen und Scheitern des Menschen aufgehoben. Aber die entlastende Funktion der Beichte, die Befreiungserfahrung, dass ein anderer Mensch, Pfarrerin oder Pfarrer, aber auch ein anderer Christ, eine Christin mir Vergebung zuspricht, die ist Luther sehr wichtig. Dass sich in unseren Kirchen Menschen einander wirklich anvertrauen können, ist ein hohes Gut. Wir sind alle leicht in Versuchung zu führen, doch etwas auszuplaudern, unter dem vermeintlichen Siegel der Verschwiegenheit weiter zu geben, was ich vom einem anderen weiß. Oder auch, sich damit zu brüsten, etwas zu wissen, wovon andere keine Kenntnis haben. All das aber verspielt Vertrauen. Ich wünsche mir, dass wir in den zwischenmenschlichen Beziehungen und in unserer Kirche die Räume des Vertrauens pflegen oder wieder herstellen. Vielleicht sollten wir neue Formen schaffen, damit Menschen beichten können. Für die Weltausstellung Reformation in Wittenberg 2017 wird die Fachkonferenz Seelsorge der EKD ein Riesenrad anbieten. Darin können Menschen zum Spaß fahren oder aber mit einem Seelsorger, einer Seelsorgerin einige Runden drehen. Ich war skeptisch, bis ich das in einer Diskussion erzählte, und eine Frau begeistert rief: „Großartig! Da kann ich tatsächlich sicher sein, dass niemand anderes zuhört!“ Es gibt sie, die Sehnsucht nach geschützten Räumen, die Sehnsucht nach Vertrauen und durchaus auch nach Beichte. Gut, wenn wir sie ermöglichen.

—— Margot Käßmann ist EKD-Botschafterin für das Reformationsjubiläum und Herausgeberin von zeitzeichen.

Margot Käßmann

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