Gebündelt

Erfahrungen im Reformprozess
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„Das wirkliche Vermögen der Kirche sind die Menschen, die das Evangelium weitertragen. Doch eben dieser Schatz wird in der Evangelischen Kirche mit ihren Strukturveränderungen sträflich übersehen.“

Das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, bewirke ich.“ Mit diesem Satz aus Römer 7,19 könnte man die Erfahrungen zusammenfassen, die von verschiedenen Menschen, Gruppen und Gemeinden mit dem durch das EKD-Impulspapier „Kirche der Freiheit“ ausgelösten Reformprozess seit 2006 gemacht worden sind. Gesammelt und herausgegeben wurden diese Erfahrungen durch Gisela Kittel, Professorin für Evangelische Theologie und ihre Didaktik in Bielefeld, und Eberhard Mechels, Professor für Systematische Theologie in Bethel. In ihrem Buch nahmen sie Beiträge von 19 Autoren aus verschiedenen Landeskirchen auf, in denen zum Teil erschütternde Erfahrungen mit den Folgen von Zwangsfusionen von Kirchengemeinden und Zwangsversetzungen von Pfarrern in den Wartestand zu finden sind.

Gewollt war vom Impulspapier der EKD ein „Wachsen gegen den Trend“. Gefordert war deshalb ein „Mentalitätswandel“. Doch was tatsächlich herauskam, war Hierarchisierung, Zentralisierung, Bürokratisierung und Ökonomisierung der Kirche. Beklagt wurde diese Folge des Reformprozesses in dem „Wormser Wort“, das im Zusammenhang des 73. Deutschen Pfarrertages 2014 erschien und auch in dem vorliegenden Buch abgedruckt ist. Darin heißt es: „Die Kirche lebt nicht mehr aus der Freiheit des Wortes, sondern unterwirft sich (…) der Logik des Marktdenkens und wird so zu einem Konzern (…)Heute müssen wir zehn Jahre Umbauprozesse beklagen, die die Kirche geschwächt haben.“ In das Buch ist auch ein „theologischer Ruf aus der Ev.-Luth. Kirche in Bayern“ aufgenommen, der schon 1999 „wider die Ökonomisierung der Kirche und die Praxisferne der Kirchenorganisation“ unter dem Thema „Evangelium hören“ erfolgt war. Im Gegenzug zu dem Beratungsprozess, der 1996 im Kirchenkreis München von der Firma McKinsey begleitet wurde, fragen die Erlanger Theologen: „Was wird aus der Kirche, wenn sie sich mehr und mehr als Unternehmen versteht?“ Und weiter: „Was wird aus dem Evangelium, wenn in der Kirche die Sprache des Wettbewerbs, der Leistung und des Erfolgs gesprochen wird?“ Vom Hören auf das Evangelium her und nicht durch Anpassung an herrschende Marktstrukturen sollte die kirchliche Erneuerung geschehen. Als Hörende sei die Kirche nicht „Anbieterin“ des Evangeliums. Als lebendiges Wort lasse sich das Evangelium nicht zur Ware machen. „Kirchenentwicklung“ werde nicht durch selbstmächtige Zielsetzungen und Strategien ihrer Verwirklichung garantiert. Es sei vielmehr die gemeinsame Wahrnehmung des einen Amtes, das auf das Evangelium hören lehrt und lernt, wodurch die Kirche erneuert werde. Der Versuch jedoch, einen „Markt“ für etwas aufzubauen, was gar nicht im Besitz der Kirche ist, müsse ins Leere laufen. Deshalb sei auch der Gottesdienst kein „Angebot“ und keine „Veranstaltung“ der Kirche, sondern ihr Ursprungsgeschehen, aus dem sie lebe.

Dieser „theologische Ruf“ aus Erlangen war wichtig für die Entstehung eines „Bayrischen Gemeindebundes“, der sich 2008 in Nürnberg als „Aufbruch Gemeinde“ bildete. Einige seiner Forderungen sind auch in das vorliegende Buch eingeflossen, wie zum Beispiel: „Die kirchlichen Finanzmittel müssen umgeschichtet werden.“ Wenn etwa zwei Drittel der Kirchensteuereinnahmen bei den Ortsgemeinden blieben, könnten auch kleinere Gemeinden fortbestehen. Und weiter: „Das Subsidiaritätsprinzip, wonach übergeordnete Instanzen nur die Aufgaben übernehmen, die die unteren nicht allein leisten können, ist konsequent anzuwenden.“

Alle Autoren und Herausgeber sind sich einig in der Überzeugung: „Das wirkliche Vermögen der Kirche sind die Menschen, die das Evangelium weitertragen. Doch eben dieser Schatz wird in der Evangelischen Kirche mit ihren Strukturveränderungen sträflich übersehen.“ Ich denke, dass dieser Satz auch von ganz vielen Mitgliedern der Kirchenleitungen unterschrieben werden würde. Fragt sich nur, ob daraus dann auch die entsprechenden Konsequenzen für kirchliches Handeln gezogen werden, damit „Kirche der Reformation“ ohne Fragezeichen zum Thema werden kann.

Christian Möller

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