Überraschung

Altes Testament und Gottesdienst
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Fremdelt die Gemeinde mit dem Alten Testament? Dieses Buch macht die Probe aufs Exempel im sonntäglichen Gottesdienst.

Dass „der Christ sogar beim Lesen der Psalmen deutlich fremdele“, wurde - im Anschluss an Formulierungen Friedrich Schleiermachers - in den vergangenen Jahren als ernsthaft gemeintes Argument in den Debatten um die Bedeutung des Alten Testamentes für die christliche Kirche verwendet (Notger Slenczka). Dieses Buch macht darauf die Probe aufs Exempel: Es geht der Präsenz des Alten Testamentes im christlich Vertrautesten nach, dem sonntäglichen Gottesdienst. Der ist, so das eindeutige und überzeugende Ergebnis, „nicht nur von alttestamentlichen Motiven und Worten gefüllt, er entfaltet im Lebens-, Sprach-, und Klangraum des Alten Testaments seine Gestalt und seine Botschaft“.

Jürgen Ebach geht dazu der Liturgie „seiner“ Gemeinde in Bochum-Dahlhausen Schritt für Schritt nach vom Eingangslied bis zum Schlusssegen. Voran stehen zwei Abschnitte über den „Ort des Gottesdienstes“ und das „Glockenläuten“. Die 26 Kapitel sind unterschiedlich lang und in Herangehensweise und Fragestellung sehr verschieden. Das entspricht den differenzierten Befunden - je nachdem, ob direkt alttestamentliche Worte benutzt oder Texte zitiert werden, wie beim „Amen“ und beim „Halleluja“, bei den Psalmen und beim Segen; oder ob der große alttestamentliche Hintergrund eher vergessen ist und wieder aufgedeckt werden muss, wie beim Namen Gottes oder bei der Fürbitte. Wieder anders liegen die Dinge, wo mitten in speziell christlichen Zusammenhängen die Erhellung ihrer alttestamentlichen Herkunft, Begrifflichkeit und Färbung ganz neue Dimensionen aufreißt, wie bei Formulierungen im Glaubensbekenntnis, in den Einsetzungsworten des Abendmahls oder im Vaterunser. Schließlich wird ein ganz neues Licht auf Aspekte des Gottesdienstes geworfen, die eher als Randfragen gelten. So geht es in der Kollekte um die große biblische Tradition der Gerechtigkeit. Und Abkündigungen können sich als Ort für die prophetische Tradition erweisen.

Auf zwei durchgehende Stärken des Buches sei ausdrücklich hingewiesen. Die eine ist das Beharren auf sprachlicher Genauigkeit, auf der Erläuterung biblischer Begriffe durch Aspekte ihrer Geschichte sowie auf Schwierigkeiten wie der Reichtum von Übersetzungen. Die andere ist eine Fülle von Anregungen, wie man dem, was Gottesdienst immer schon war und sein wollte, besser gerecht werden kann. Da sind bekannte Beispiele wie der dringende Hinweis auf eine angemessenere Auswahl der (oft geradezu verstümmelten) Psalmen für den Gebrauch im Gottesdienst. Da ist die Anregung, verstärkt „Präfamina“ zu nutzen, also einleitende konkrete Verstehenshilfen für die Textlesungen; oder die, den Formulierungen des traditionellen Kanzelgrußes aus 2. Korinther 13, 13 durch eine angemessenere Übersetzung („Zuwendung“ statt „Gnade“) „wenigstens zuweilen“ gerecht zu werden. Bei all dem handelt es sich nicht (jedenfalls nicht nur) um Anregungen zu einer Liturgiereform, sondern um Möglichkeiten, die am nächsten Sonntag ausprobiert werden könnten.

Die Grundidee des Buches erwuchs ursprünglich aus der Aufgabe, eine „Theologie des Alten Testamentes“ im akademischen Unterricht zu lesen. Damit dürfte es zusammenhängen, dass manche Kapitel sich zu gewichtigen Darstellungen zentraler Themen biblischer Theologie entfaltet haben. Das gilt besonders für Grundaspekte der biblischen Rede von Gott. So werden Themen, wie der Name Gottes und der Umgang mit ihm sowie die abgründigen Fragen der Allmacht Gottes oder der Beziehung von Gott und dem Bösen, relativ breit entfaltet. Zentrale Momente einer alttestamentlichen Theologie, die vom vorgegebenen Rahmen her, einem christlichen Gottesdienst, naturgemäß randständig bleiben müssen, haben - man denke beispielhaft an die Freiheitstradition des Exodus - die Potenz, unsere Gottesdienste zukünftig biblischer und damit noch realitätsbezogener zu machen.

Für alle, die regelmäßig mit dem Sonntagsgottesdienst und seinen so festen Formen zu tun haben, ob als Pfarrerin oder Pfarrer, als Presbyter (dazu ein eigenes Kapitel) oder einfach als Gottesdienstbesucher, bietet das Buch die große Chance, sich überraschen zu lassen. Altes und Vertrautes kann angesichts drohender Routine neu wahrgenommen und damit wieder fremd und gerade durch diesen Umweg aufs Neue vertraut werden. So lobe ich mir das „Fremdeln“.

Frank Crüsemann

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