Cool Istanbul s

Krautrockdub vom Bosporus
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Hohe Trancegefahr, aber die Spiritualität wurzelt definitiv diesseits tanzender Derwische

Als Recep Erdogan nach dem Putschversuch zum Großevent in den Istanbuler Stadtteil Yenikapi rief, lud man auch haufenweise Celebrities diverser Sparten, die sich nicht lumpen ließen. Bloß Sängerin Sila erklärte, sie sei zwar gegen den Putsch, aber auch gegen diese Show in Yenikapi. Ein Shitstorm und Hassartikel regierungshöriger Blätter folgten. AKP-regierte Städte sagten Silas Konzerte ab, die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen „Herabsetzung der türkischen Nation“ ein. De facto-Auftrittsverbote haben Baba Zula bislang nicht, doch sie drohen. Mit ihrer anarchischen Quirligkeit und kritischen Texten stehen sie eh für Aufstand gegen den Sultan, eines ihrer Alben heißt nicht von ungefähr Itaat Etme (Do Not Obey), und 2013 waren sie bei den Gezi-Park-Protesten dabei. Sie verkörpern das Cool Istanbul, wo sich Ost und West auch in den Stilen treffen. Auf diese Vielfalt der 15-Millionen-Metropole beziehen sie sich immer wieder emphatisch.

Baba Zula gibt es seit 1996, weithin bekannt machte sie 2005 Fatih Akins Film „Crossing the Bridge“ über den Sound von Istanbul. Sie nennen ihre Musik Orientaldub - ein funkelnder, tanzwütiger Mix aus türkischem Folk, Dub, Psychedelia, Krautrock, Rock‘n‘Roll, Blues und Funk, der einen Heidenspaß macht. Baba Zual sind Osman Murat Ertel (Saz, Gitarre, Vocals, Bass, Percussion) und Mehmet Levent Akman (Maschinen, Elektronik, Becken, Löffel, Percussion) mit wechselnden Sängerinnen und Weggefährten. Zum 20-jährigen Bestehen liegt nun die Doppel-CD XX vor: CD 1 bietet 13 Tracks, darunter zwei Liveversionen, die ihre Spielfreude und hypnotische Kraft auf den Punkt bringen. Besonders fasziniert das 20-minütige Abdülcanbaz. Yororo Kanto beginnt als psychedelischer Funkpop à la Steely Dans Do it again und kippt dann in Dub. Der absolute Hit ist Asiklarin Sözü Kalir (Eternal Is The Word Of Poets). Die treibende Krautrocknummer mit Seitenhieben auf Politiker fährt gleich unentrinnbar in Herz, Becken und Beine - nach einem interreligiösen Gebet gespielt, geriete die Begegnung unweigerlich körperlich, alle gingen in Bauchtanzmodus über. Hohe Trancegefahr, aber die Spiritualität wurzelt definitiv diesseits tanzender Derwische und vermählt Sinn und Sinnlichkeit.

Ein Pendant zum eingemischten Pferdewiehern, das man so frei wie brünstig finden kann, ist der recht explizite Erotika Hop mit signifikantem Stöhnen. Dub-Mastermind Mad Professor nimmt es im Remix Erotik Adab Dub genüsslich auf. CD 2 umfasst insgesamt 15 Dub-Versionen ihrer Songs. Dieses Reggae-Remix-Spiel mit Hall und Echo ist eh ein Steckenpferd von Baba Zula, am Bosporus geerdete Kosmopoliten, die schon mit vielen zusammenarbeiteten (etwa Jaki Liebezeit von Can). Etliche berühmte Gäste sind auch auf XX dabei.

Udo Feist

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