Auf der Höhe

Über die Angst
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Der Münsteraner Theologe breitet mit knappen Strichen das ganze Panorama heutiger Ängste aus, sowohl der individuellen wie der kollektiven.

Es ist ausgesprochen passend, dass eine Predigtreihe zu den Kar- und Ostertagen das abschließende Kapitel dieses Buchs bildet. Der emeritierte katholische Münsteraner Fundamentaltheologe Jürgen Werbick, ein überdurchschnittlich produktiver Autor, treibt nämlich eine Theologie nahe an der Verkündigung als einer der kirchlichen Grundaufgaben. Das macht sich in einem nicht selten predigthaften Ton bemerkbar, der auch sein neuestes Buch Die Angst durchkreuzen prägt und der nicht unbedingt jedermanns Sache ist. Damit geht allerdings keine Schwäche in der Sachargumentation einher, ganz im Gegenteil: Werbick hat auch zum Thema Angst und gläubige Angstbewältigung sehr viel Anregendes und Bedenkenswertes zu sagen, ist dabei voll auf der Höhe der gesamtgesellschaftlichen wie theologisch-kirchlichen Problemstellungen.

Der Münsteraner Theologe breitet mit knappen Strichen das ganze Panorama heutiger Ängste aus, sowohl der individuellen wie der kollektiven. Immer präsent in seinem Buch ist die derzeit vielfach anzutreffende und politisch instrumentalisierbare Angst vor massenhafter Zuwanderung und speziell vor dem Islam als vermeintlicher Bedrohung für das „christliche Abendland“ und seine Kultur.

Thematisiert werden aber genauso die Angst vieler Zeitgenossen und -genossinnen, im Kampf um Selbstoptimierung und Selbstdurchsetzung zu kurz zu kommen, oder die Angst vor zukünftigen Bedrohungen mit ihrem Rückgriff auf apokalyptische Vorstellungen. Ein eigenes Kapitel gilt dem durch ein Werk des Soziologen Hartmut Rosa unlängst prominent gewordenen Begriff der Resonanz beziehungsweise des Resonanzverlusts als Ursache von Angst.

Es ist typisch für den Umgang des Münsteraner Fundamentaltheologen mit der christlichen Tradition und mit den biblischen Quellen des Glaubens, dass er ausdrücklich auch von der „Glaubens- Angst“ handelt. Tenor seiner diesbezüglichen Ausführungen: „Wer christlich glaubt, zu glauben versucht, ist nie auf der sicheren Seite. Er oder sie muss etwas wagen: sich hineinwagen in die Dynamik Gottes selbst, die er oder sie an der Sendung Jesu, des Christus, kennenlernen, deren ‚Ziel‘ er aber nicht absehen kann.“ Werbick ist dementsprechend sehr kritisch in der Auseinandersetzung mit unzureichenden oder sogar schädlichen Weisen, dem Glauben Trost abzugewinnen, etwa durch ein Kleinmachen des Menschen als Sünder, um die rettende Zuwendung Gottes umso stärker herauszustellen.

Sein Buch wirbt vom Anfang bis zum Schluss im besten Sinn dafür, sich auf den im Leben und Sterben Jesu nachdrücklich vorgezeichneten und von gläubigen Menschen aller Epochen bezeugten Weg mit Gott einzulassen, das Wagnis des Glaubens einzugehen. Im Originalton Werbick: „Nur Gott kann das endlich-leibhafte Menschenleben zu einem Versprechen machen, das nicht hilflos um seine Erfüllung kämpfen muss und schließlich gebrochen wird.“

Auf dieser Grundlage wagt er unter anderem den Versuch, die traditionelle christliche Rede vom endgültigen Gericht oder von der Auferstehung des Fleisches neu zu buchstabieren, ohne dabei ein problematisches Wissen um die „letzten Dinge“ zu suggerieren. Im Blick auf die Kirche plädiert Werbick für Partizipation, deren Geheimnis darin liege, dass nicht Jedem alles gegeben sei, auch nicht den Amtsträgern. Das ist vermutlich in erster Linie an die Adresse seiner eigenen Kirche gesagt, ist aber auch darüber hinaus ein beherzigenswerter Ratschlag.

Ulrich Ruh

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