Moralische Entrüstung reicht nicht aus

Die Kirchen tun sich schwer beim Umgang mit den Rechtspopulisten - da lohnt ein Blick nach Österreich
Demonstration der AfD vor dem Erfurter Dom am 21. Oktober 2015. Aus Protest dagegen entschied das Bistum: Der Domberg bleibt dunkel. Foto: dpa/ Martin Schutt
Demonstration der AfD vor dem Erfurter Dom am 21. Oktober 2015. Aus Protest dagegen entschied das Bistum: Der Domberg bleibt dunkel. Foto: dpa/ Martin Schutt
Auf die Exklusionsrhetorik der Populisten von Rechts sollte man nicht gleichfalls mit Exklusion reagieren, schon gar nicht auf Seiten der Kirchen. Denn auch das „Wir“ der anständigen Demokraten gegen das „Pack“ ist eine Konstruktion, meint Ulrich Körtner, der Systematische Theologie an der Universität Wien lehrt.

Vertreter der evangelischen wie der katholischen Kirche reagierten erwartungsgemäß entsetzt auf den Erfolg der AfD bei der Bundestagswahl. Aber statt jetzt nur ihre Abscheu gegenüber der AfD zu bekunden, müssen sich die Kirchen selbstkritisch fragen, was sie möglicherweise selbst zum Wahlerfolg dieser unappetitlichen Partei beigetragen haben. Wie? Etwa indem sie Angela Merkels Politik vehement unterstützt und moralisch überhöht haben. Gleichzeitig haben sie sich mit dem politischen Islam längst nicht so entschieden auseinandergesetzt wie mit der AfD und dem Rechtspopulismus.

Im Umgang mit der AfD haben die Kirchen in Deutschland von Anfang an einen zwiespältigen Kurs eingeschlagen. Zwar gab es auch besonnene Stimmen, die zur differenzierten Auseinandersetzung mit Funktionären und Anhängern der Partei aufgefordert haben. Es ist zudem durchaus christlich geboten, gegenüber fremdenfeindlichen, rassistischen und demokratiefeindlichen Positionen im Wahlprogramm oder von Parteifunktionären klare Kante zu zeigen. Reflexhafte Aktionen „gegen Rechts“ aber wie die Kölner Initiative „Unser Kreuz hat keine Haken“, mit denen Parteimitglieder und Sympathisanten unterschiedslos als verkappte oder offene Nazis denunziert wurden, waren in ihrer Pauschalität unsachlich und politisch kontraproduktiv. Zwar hat sich die AfD von einer ursprünglich EU-kritischen zu einer nationalistischen, rechtspopulistischen Partei entwickelt, die in Teilen rechtsextrem ist - und von diesen haben sich die Kirchen aus guten Gründen distanziert. Dennoch ist unübersehbar, dass die AfD auch unter treuen Kirchenmitgliedern beider Konfessionen ein Wählerreservoir hat. Manches deutet darauf hin, dass der Einsatz der AfD für den Schutz ungeborenen Lebens und die Ablehnung von „Gender Mainstreaming“ oder „Frühsexualisierung“ durch den Sexualkundeunterricht dafür ein wichtiger Grund sind. Solche Wähler fühlen sich zunehmend fremd nicht nur im eigenen Land, sondern auch in der eigenen Kirche, die sich scheinbar für alle Randgruppen und Lebensformen stark macht, nicht aber mehr für das eigene, als christlich verstandenes Ehe- und Familienmodell.

Ähnlich dürfte übriges der Befund für FPÖ-Wähler in Österreich lauten. Es besteht nun die Gefahr, dass die Kirchen in Deutschland dieselben Fehler wiederholen, die in Österreich begangen wurden und zum Aufstieg der FPÖ geführt haben, die inzwischen eine feste Größe ist.

Die Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen FPÖ im Jahr 2000, die bis heute einen verharmlosenden Umgang mit dem Nationalsozialismus pflegt und selbst Politiker mit rechtsextremen Anschauungen in ihren Reihen duldet, hat seinerzeit die Grundsatzfrage aufgeworfen, wie man generell den Rechtspopulismus in Europa wirksam in seine Schranken weisen kann. Die evangelischen Kirchen in Österreich fühlten sich besonders herausgefordert, ist doch der Anteil an evangelischen Kirchmitgliedern unter FPÖ-Wählern und -Funktionären mancherorts traditionell relativ hoch. Ihre Vorgängerpartei - der „Verband der Unabhängigen“ (VdU) - entstand nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur als Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialisten, sondern auch als Auffangbecken für deutschnationale Kräfte. In der 1956 aus dem VdU hervorgegangenen FPÖ gibt es noch immer einen deutschnationalen und nationalliberalen Flügel, der für sich das Erbe der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848 und ihres nationalliberalen Gedankenguts reklamiert.

Die Gründe für den rasanten Aufstieg der FPÖ unter Jörg Haider und auch für ihre jüngsten Wahlerfolge liegen zu einem nicht geringen Teil in der Erstarrung des politischen Systems in Österreich nach 1945, nicht etwa darin, dass alle FPÖ-Wähler Nazis sind. Die gegen Österreich nach Bildung der schwarz-blauen Regierung unter Wolfgang Schüssel im Jahr 2000 verhängten Sanktionen der übrigen EU-Staaten sollten den europaweit aufstrebenden Rechtspopulismus eindämmen - und bewirkten doch eher das Gegenteil. Schüssel wollte die FPÖ gerade durch ihre Regierungsbeteiligung entzaubern, was teilweise, wenngleich auch nur vorübergehend gelang. Die vom ehemaligen Bundeskanzler Vranitzky ausgegebene SPÖ-Doktrin, niemals eine Koalition mit Haiders oder Heinz Straches FPÖ einzugehen, hat sich im Laufe der Jahre abgenutzt. Klassische SPÖ-Wähler sind längst zu FPÖ-Wählern geworden, und im Burgenland regiert inzwischen die SPÖ in einer Koalition mit der FPÖ. Auch auf Bundesebene schließt die SPÖ eine Koalition mit der FPÖ nicht mehr grundsätzlich aus, wenngleich eine övp-FPÖ-Regierung weitaus wahrscheinlicher ist.

Gern preist sich die FPÖ als „natürlicher Partner der christlichen Kirchen“ an. Das ist zu bestreiten. Ein wehrhaftes Christentum à la FPÖ, das vor Antisemitismus und islamfeindlichen Parolen nicht zurückschreckt, widerspricht nach Geist und Buchstabe der neutestamentlichen Botschaft des Evangeliums. Aber: So gewiss die Auseinandersetzung mit politischem Extremismus auch auf einer moralischen Ebene geführt werden muss, so wenig können moralische Entrüstung, Menschenketten und Lichtermeere realpolitische Strategien ersetzen. Es wird deshalb auch in Deutschland nötig sein, sich auf den unterschiedlichen Politikfeldern Punkt für Punkt mit der AfD auseinanderzusetzen und sie zu fordern. Eine Partei, die zum Beispiel nach eigenem Bekunden kein Rentenkonzept vorzuweisen hat, kann sich doch nicht im Ernst als politische Alternative für Deutschland aufspielen.

Der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich hat zur Nationalratswahl Fragen zur politischen Verantwortung veröffentlicht, die sich nicht gegen eine bestimmte Partei richteten, sondern den Zweck verfolgten, „das Gewissen zu schärfen, die eigene Meinung verantwortungsvoll zu prüfen und zu begründen und darüber freimütig mit anderen ins Gespräch zu kommen“. Statt pauschaler Verdikte gegen die FPÖ haben sich Vertreter der evangelischen Kirchen in Österreich in den vergangenen Jahren anlassbezogen zu Wort gemeldet, wenn die Partei offen fremdenfeindliche Parolen verkündete oder christliche Symbole auf durchsichtige Weise für fremdenfeindliche Zwecke missbraucht hat. Die Gradwanderung besteht freilich darin, die Kritik so anzubringen, dass sie nicht zur unbezahlten Wahlwerbung für die Rechtspopulisten wird, weil die Skandalisierung und moralische Entrüstung für Schlagzeilen und die Mobilisierung der eigenen Anhänger sorgt.

Kritik etwa an der Schließung der Balkanroute für Flüchtlinge, die ganz wesentlich auf die Initiativen der Österreichischen Bundesregierung zurückging, oder an der gesetzlichen Festlegung eines Richtwerts („Obergrenze“), wie sie auch die CSU in Bayern fordert, ist doch nicht schon allein damit ausreichend begründet, dass man sie als Übernahme „rechter“ Positionen brandmarkt. Die politische Herausforderung für die etablierten Parteien besteht darin, jene Wähler, die sie an den rechten oder linken Rand verloren haben, für eine gemäßigte Politik zurückzugewinnen. Ohne Korrekturen der eigenen Politik wird das jedoch kaum gelingen.

Gut gemeinte Appelle

Bloße Ausgrenzung und Ächtung werden auch die AfD weiter stärken. Beschwörungsformeln wie die des rheinischen Präses Rekowski, man brauche jetzt eine „Koalition für ein offenes, soziales und gerechtes Deutschland, in dem Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit mehr zählen als Ausgrenzung und Angstmache“, lesen sich als unverdrossenes „Weiter so“, das Sorgen bereitet, und zwar sowohl was die Zukunft der Kirche als auch diejenige des Landes betrifft. Derartige Appelle sind zweifellos gut gemeint, aber auch dazu geeignet, die politische Polarisierung in Deutschland und die Entfremdung zwischen den Menschen in West- und Ostdeutschland, die sich zunehmend unverstanden fühlen, zu vertiefen.

Wenn das kirchliche Mainstream-Milieu auf AfD-Wähler nur mit Unverständnis und Abgrenzung reagiert, stehen den Kirchen noch schwere Zeiten bevor. Gerade sie sollten das Gespräch mit den Menschen suchen, und zwar nicht etwa nur, um ihnen in der Manier von Besserwissern ihre vermeintlich völlig unbegründeten Ängste auszureden, sondern um ihnen auf Augenhöhe zuzuhören und mit ihnen über ihr Verständnis dessen, was christlich und christlicher Glaube ist, ins Gespräch zu kommen.

Der Konflikt um die künftige deutsche und europäische Migrationspolitik ist nicht nur ein Stellvertreterkrieg für ökonomische Verwerfungen oder ein Indiz für die angeblich misslungene Integration der Ostdeutschen, über die nun mit westdeutscher Arroganz räsoniert wird. Es handelt sich vielmehr auch um einen kulturellen Konflikt quer durch alle Gesellschaftsschichten. Begriffe wie Identität, Heimat und Leitkultur stehen für kulturelle Werte, denen ein eigenständiger, von der Ökonomie unabhängiger Wert beigemessen wird.

Im Kern dreht sich der Konflikt um den Politikansatz des Multikulturalismus, heute gern auch Diversitätspolitik genannt. Die Kirchen stehen in diesem Konflikt erkennbar auf der Seite des Multikulturalismus. Man kann dies als eine Frucht der ökumenischen Bewegung im 20. Jahrhundert und als Konsequenz aus den unseligen Folgen des Nationalismus begreifen, der sich in zwei Weltkriegen entladen hat.

Durch die Globalisierung und die Zunahme von Migration gewinnt die Frage nach dem Verhältnis von kulturellen Mehrheitsrechten und Minderheitsrechten an Schärfe. Der an der Berliner Humboldt-Universität lehrende Soziologe und Migrationsforscher Ruud Koopmans identifiziert die Legitimitätskrise von kulturellen Mehrheitsrechten als Faktor, der den Aufstieg des nationalen Populismus in Europa wesentlich begünstigt.

Im Anschluss an den kanadischen Philosophen Will Kymlicka vertritt Koopmans eine zwischen Befürwortern und Gegnern des Multikulturalismus vermittelnde Position. Er plädiert nicht für die einseitige Durchsetzung der Mehrheitskultur, sondern für einen normativen Rahmen, der die kulturellen Rechte sowohl von Minderheiten als auch von Mehrheiten berücksichtigt. Solch ein Rahmen würde nicht nur der gesellschaftlichen Realität, sondern auch „dem Gerechtigkeitsempfinden der meisten Menschen“ genügen. Innerhalb eines solchen Rahmens bedarf es eines beständigen Aushandlungsprozesses, in dem die normativen Ansprüche der Mehrheiten wie der Minderheiten als legitim anerkannt und berücksichtigt werden.

Rechtspopulistische Parteien, wie es sie inzwischen in ganz Europa gibt, sind freilich an solch einem Aushandlungsprozess nicht interessiert. Sie vertreten eine Politik und Moral des Ressentiments, deren politische Logik dem Schema von Freund und Feind folgt. Das demokratiepolitische Problem besteht freilich darin, dass auf die rechtspopulistische Exklusionsrhetorik von demokratischen Kräften ihrerseits mit Exklusion reagiert wird. Stehen auf der einen Seite die selbst ernannten „anständigen Deutschen“ oder Österreicher, so auf der anderen Seite die „anständigen Demokraten“. Auch sie konstruieren ein „Wir“, das kollektiv gegen die anderen steht: gegen die „Nazis“, die „Faschisten“, die „Rassisten“, das „Pack“ (Sigmar Gabriel).

Prophetischer Gestus

Um der Herausforderung durch den Rechtspopulismus zu begegnen, halte ich es für notwendig, die Debatte über universelle Menschenrechte, Minderheitenschutz und Mehrheitskulturen in der von Ruud Koopmans beschriebenen Richtung auch in den Kirchen zu führen. So berechtigt die Kritik an einem neu aufflammenden Nationalismus in Europa auch ist, sollten die Kirchen Begriffe wie Nation oder Kultur nicht den Falschen überlassen.

Wenn angesichts des Wahlerfolgs der AfD von kirchenleitenden Persönlichkeiten einmal mehr das Erbe Bonhoeffers, Barmens und der Bekennenden Kirche beschworen wird, sei doch die Frage gestattet, ob denn die heutige politische Situation in Deutschland oder in Österreich mit der NS-Zeit gleichgesetzt werden darf. Der prophetische Gestus ist doch oft nur eine Attitüde besoldeter Amtsträger.

Auch wenn viel von Öffentlicher Theologie die Rede ist, meine ich einen gewissen Mangel an solider Theologie zu beobachten. Zur Flüchtlings- und Migrationskrise sollte theologisch wohl noch mehr zu sagen sein, als in biblizistischer Manier immer nur das Gleichnis vom Weltgericht, Matthäus 25, zu zitieren. Wem es um den Wandel von Ehe und Familie oder die „Ehe für alle“ geht, sucht vergebens nach gehaltvollen theologischen Argumenten, die darüber hinausgehen, politischen Entscheidungen nachträglich den kirchlichen Sanctus zu geben.

Ulrich Körtner

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