Kalte Köstlichkeit

Variationen über Eis. Italienisches, versteht sich
Foto: pixelio/Dietmar Meinert
Seit weit über hundert Jahren lieben die Deutschen italienisches Eis. Aber was ist mit den sauren Gurken?

Sollte es so richtig heiß sein, wenn Sie dies lesen, werden Sie vielleicht nicht weiterlesen, sondern lieber einen Eissalon aufsuchen. Einen italienischen, versteht sich. Ist es eher kühl, könnten Sie vorher eine Ausstellung über die Geschichte der Eissalons besuchen – vorausgesetzt, sie wohnen nicht allzu fern der altehrwürdigen Stadt Neuss am Niederrhein, wo im dortigen Clemens-Sels-Museum noch bis 19. September die Ausstellung „Gelato!“ zu sehen ist.

Es geht in dieser famosen Ausstellung zwar nur um die regional-niederrheinische Eissalon-Historie, aber die unterscheidet sich kaum von der anderwärts: Irgendwann im 19. Jahrhundert tauchten überall italienische Eisverkäufer mit ihren zweirädrigen Karren auf, exotische Erscheinungen damals und ernstzunehmende Konkurrenz für den in der heißen Jahreszeit blühenden Straßenhandel mit sauren Gurken. Notabene: Im Sommer litten die Zeitungen unter Nachrichtenmangel, und so nahmen sie in der Saure-Gurken-Zeit was sie auftreiben konnten. Eine Notiz über so eine Ausstellung hätten sie mit Kusshand genommen.

Schon seit weit über hundert Jahren also lieben die Deutschen italienisches Eis. Und in den Wirtschaftswunderjahren nach 1950, als die nunmehr automobilisierten Massen über die Alpen an südliche Strände eilten, blühten die Eissalons erst richtig auf. Zu Hause erinnerten die Motive auf den Pappbechern, die allmählich die traditionellen Silberkelche verdrängten, an die schönen Urlaubszeiten oder lockten diejenigen, die noch nicht „da unten“ waren.

Dabei lag die Heimat des Speiseeises gar nicht an Italiens Küsten, sondern in den von den Deutschen so schnöde überrollten Alpen, nämlich in den Dolomiten. Das war ein ausgesprochen karger Landstrich. Und so war es eine glänzende Idee der Bergbewohner, sich auf die Herstellung von Speiseeis zu verlegen. Über einen Grundstoff verfügten sie ja: Eis. Das wurde nicht etwa unters Speiseeis gemischt, es diente vielmehr dazu, zwischen den doppelten Wänden der Eisbottiche zusammen mit Salpeter die Verdunstungskälte zu erzeugen, die nötig war, aus den Zutaten die kalte Köstlichkeit werden zu lassen.

Die einstmaligen Bergbauern aus den Dolomiten verstanden es. Bei ihnen gedieh die Herstellung des Speiseeises zu einer bis heute nicht übertroffenen Kunst. Ein Geschäft war damit freilich nur in der Ferne zu machen, so auch jenseits der Alpen in deutschen Landen. Und weil es da verschiedentlich Anstände wegen der Hygiene gab, war die massenhafte Gründung von Eissalons kurioserweise der gestrengen Obrigkeit und ihrer Verbote des ambulanten Eishandels zu verdanken.

Viele der Ausstellungsstücke in Neuss stammen von den Eigentümern des dort noch immer existierenden Eissalons Zampolli. Mancher Eissalon ist schon seit Generationen im Besitz einer Familie, das ist keine Ausnahme. Und auffallender Weise hat kaum ein Nachfahr der Gründer den Kontakt zur Heimat verloren.

Es ist also viel zu schauen und zu lernen in der Neusser Ausstellung. Der Jibber auf so ein richtig schönes Eis bleibt dabei nicht aus. Sollte Ihnen aber der Weg nach Neuss zu weit sein und Sie nicht etwa saure Gurken bevorzugen, dann suchen Sie einfach unter Außerachtlassung aller historischen Reflexion einen Eissalon auf. Einen italienischen, versteht sich.

Die Ausstellung „Gelato!“ ist bis Sonntag, 17. September 2017 im Clemens-Sels Museum Neuss zu sehen. Katalog 12,50 Euro. Einen besonderen Blick hinter die Kulissen ermöglichen die sogenannten Kuratorenführungen. Hier erläutern die Verantwortlichen Hintergründe der Ausstellung, sowie Schwierigkeiten und Überraschungen während der Vorbereitung. Am 23. August, 7. und 14. September, jeweils 15:30.

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Helmut Kremers

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