Ein Lieblingszitat in meinen Islamkursen stammt von der israelischen Schriftstellerin Batya Gur: „Die Verallgemeinerung ist die Mutter der Feindseligkeit. Differenzierung ist die Mutter des Friedens.“ Wie herrlich ist es, als Leser feststellen zu dürfen, dass es auch noch Bücher über den Islam gibt, die dieser Einsicht Rechnung tragen. Zu ihnen zählt der bemerkenswerte Reisebericht der Journalistin Karen Krüger. Sie ist keine Islamwissenschaftlerin, doch Soziologin. Und angesichts dessen, dass zwei von drei Deutschen keine regelmäßigen persönlichen Kontakte zu Muslimen haben, setzt die teilweise in Istanbul aufgewachsene Autorin konsequent auf Kontakte, Beziehungen und Gespräche mit Muslimen.
Herausgekommen ist dabei nicht das x-te Buch über den Islam in Deutschland, sondern ein bodenständiger, persönlich gefärbter, facettenreicher Bericht, der die vielfältigen Schicksale, Lebenswelten und Berufe von deutschen Muslimen und Musliminnen für sich selber sprechen lässt. Krüger besucht, begleitet und befragt die unterschiedlichsten Muslime, sei es in ihrem privaten, sei es in ihrem beruflichen Umfeld. Wir lernen den Alltag eines muslimischen Bestatters in Hamburg kennen, das progressive Engagement der Hamburger Imamin Halima Krausen oder den Kölner Kabarettisten Fatih Çevikkollu, der seine Show mit den Worten schließt: „Sagen wir: Ich hasse Moslems, oder sagen wir: Ich hasse Terroristen? Die den Unterschied nicht kennen, die sind das Problem.“ In Köln, wo sich deutsch(-türkisch)e Muslime besonders wohl fühlen, hat Krüger viele Kontakte hergestellt, teilweise sogar bis über den Rand der islamischen Community hinaus. Sie nimmt die Leser mit, wenn sie die Muslime besucht und sich gerade von Frauen deren oft leidvolle Lebensgeschichte erzählen lässt, wie etwa von den Gründerinnen des „Zentralrats der Ex-Muslime“ Mina Ahadi und Arzu Toker.
In der Justizvollzugsanstalt Wiesbaden sucht Krüger den Sufi Husamuddin Meyer auf, der zu den wenigen muslimischen Seelsorgern in Deutschland gehört, die im Gefängnis arbeiten. Dabei sollte es gerade hier viel mehr Imame und Sozialarbeiter geben, da Gefängnisse zu den gefährlichsten Radikalisierungsmilieus überhaupt zählen. Meyer zufolge hatten die meisten der (muslimischen) Jugendlichen im Gefängnis bereits Kontakt zu Salafisten. So leistet der Imam wichtige Vorbeugungs- und Aufklärungsarbeit: der Gott des Koran sei kein Gott von Rache und Gewalt, sondern von Vergebung und Barmherzigkeit. Krüger sucht die entlegensten Orte auf, sogar eine muslimische Pfadfindergruppe im Wald, eine islamische Bank oder die Modefirma „StyleIslam“, die auch T-Shirts mit dem Aufdruck „Jesus and Mohammed - Brothers in Faith“ herstellt.
Gelegentlich und wohl dosiert recherchiert und referiert Krüger Hintergründe und Zusammenhänge, deren Darstellung dann den Reisebericht unterbrechen, ehe es wieder weitergeht. Sehr anschaulich ist das Kapitel über die Goethestraße im Münchener Bahnhofsviertel, wo die Autorin Hotel- und Cafébesitzer interviewt hat. Und wo die politische Großwetterlage der Türkei ebenso für Spannungen sorgt wie in einer ditib-Moschee.
Auch wie extrem weit auseinander die innerdeutschen islamischen Welten sind, macht dieses Buch deutlich. Wir lernen eine christlich-islamische Familie im Schwabenland kennen, wohingegen im Sachsenland die Stimmung beklemmend wird: das kleine Islamische Zentrum von Dresden droht von den Rechtspopulisten und der riesigen Aufklärungsarbeit, die gerade hier zu leisten ist, aufgerieben zu werden. Fazit: das Buch macht Mut, direkte Kontakte zu Muslimen zu suchen. Wem man auch begegnet, sie sind immer anders.
Martin Bauschke
Martin Bauschke
Martin Bauschke ist Theologe und Religionswissenschaftler. Er wohnt in Berlin.