Hilfreiche Tropfen
Knappes Wasser gehörte für Agnes Irima schon immer zum Alltag. „In den letzten Jahren hat sich die Situation aber sehr zugespitzt“, sagt die Kleinbäuerin aus Zentral-Kenia.
Agnes und ihr Mann leben mit ihrer großen Familie auf einer kleinen Farm in einem Dorf südöstlich des Mount Kenya. Ihr Land ist kaum größer als ein halbes Fußballfeld. Dennoch baut die Familie dort mit Sorghum, Mais, Bohnen sowie verschiedenen Gemüse- und Obstsorten einen Großteil ihrer benötigten Lebensmittel an. Das Geld, das sie als Tagelöhner auf Baustellen und anderen Farmen verdienen, geben sie für Schulgebühren oder Kleidung aus. Sie führen in ihrem kleinen Haus ein bescheidenes Leben, ohne Strom oder fließend Wasser. Gekocht wird über dem Holzfeuer, das in einem kleinen Lehmverschlag vor sich hin schwelt. Aber die Familie kann sich von ihrem Land ernähren. Eigentlich.
Denn ihre kleine Landwirtschaft ist vom Regen abhängig. Der fällt normalerweise zwei Mal im Jahr. Bleibt er jedoch aus, steht schnell der Hunger vor der Tür. Und das passiert immer häufiger.In Folge des Klimawandels steigen die Temperaturen in Kenia. Dürren nehmen zu. Der Grundwasserspiegel geht dramatisch zurück. Nur wenige Tage hat es in der Regenzeit zwischen Oktober und Dezember 2016 geregnet. Ein Großteil der Wasserquellen versiegte. Selbst in der Hauptstadt Nairobi wurde Anfang 2017 das Wasser rationiert. Auch die klassische Regenzeit zwischen März und Mai 2017 hat nicht die erhoffte Erlösung gebracht. In den dürren, ariden und semiariden Regionen lagen die Niederschläge nach Auskunft des Famine Early Warning Systems Network deutlich unter dem erforderlichen Maß. Nach wie vor ist die Situation in den trockenen, nördlichen Regionen, wie Marsabit oder Turkana, dramatisch. In den semiariden Regionen hat es nach der kenianischen National Drough Management Authority massive Ernteausfälle bei Mais und Bohnen gegeben. Entsprechend stiegen und steigen die Preise für Grundnahrungsmittel.
Agnes Irima blickt über den Hof, wo ihre Schwiegermutter im Schatten einer großen Drilllingsblume, einer Bougainvillea, kniet. Mit rhythmischen Bewegungen malt sie auf einem Stein Mehl aus Sorghum. Daraus kocht die Familie einen nährstoffreichen Brei. „Das ist unser täglicher Energy Drink.“ Agnes lächelt. Dann wird sie wieder ernst: „Vorausgesetzt wir haben genug Wasser für die Zubereitung.“
Neue Wasserstelle
Bereits auf der Fahrt zu ihrer kleinen Farm ist die Dürre nicht zu übersehen. Die Maisfelder entlang der Straße sind vertrocknet, die gelbbraunen Pflanzen tragen keine Kolben. Wie durch einen Tunnel aus rotem Staub führen die letzten Kilometer über eine Piste, vorbei an wasserlosen Flussbetten. Menschen schleppen gelbe Kanister auf dem Rücken. Andere transportieren sie auf Fahrrad, Motorrad oder Eselskarren.
Diese 30-Liter Behälter sind das Rückgrat der Wasserversorgung im ländlichen Kenia. Kaum ein Dorf verfügt über eigene Brunnen oder gar Leitungen. Die meisten Menschen müssen jeden Tag etliche Kilometer mit den gelben Kanistern zurücklegen, um sie an Wasserlöchern, Gebirgsquellen, Flussläufen oder Staubecken zu füllen.Auch Agnes Irima holt das Wasser mit einem gelben Kanister. Doch seit kurzem muss sie dafür nur noch einige Hundert Meter gehen, zu einer neu gebauten Wasserstelle am Rande des Dorfes. Gespeist wird diese aus einem Rock Catchment System, mit dem große Mengen Regenwasser aufgefangen werden. Oben am Hang des Berges, an dessen Fuß das Dorf liegt, thront ein Felsen von der Größe eines Mehrfamilienhauses. Seine über zweitausend Quadratmeter große Oberfläche neigt sich leicht nach unten. Mit behauenen Natursteinen hat eine lokale Baufirma eine Rinne um den Felsen gemauert. Bei Regen leitet diese das Wasser, das auf die Oberfläche prasselt, in einen großen Tank, gebaut ebenfalls aus Zement und Natursteinen. Von diesem aus führt eine Leitung ins Dorf.
„Ich brauche meinen Kanister nur noch unter den Hahn zu stellen.“ Das Leben von Agnes Irima lässt sich einteilen in eine Zeit vor der Versorgung mit Wasser aus dem nahen Hahn - und in eine Zeit danach. Vorher musste sie für Wasser fast sieben Kilometer weit laufen. Fünf Stunden am Tag war die Farmerin damit beschäftigt. Meist ging Agnes sehr früh am Morgen zum Wasserholen. Genau genommen noch in der Nacht.
Um rechtzeitig zu der Wasserstelle am Fluss zu gelangen, musste sie morgens um drei Uhr aufstehen, um mit den anderen Frauen aus dem Dorf aufzubrechen. Zusammen waren sie laut. Das schützt vor wilden Tieren, vor Pythons oder Leoparden. „Am meisten aber fürchteten wir Überfälle von Menschen.“ Noch größer war die Angst davor, nach dem anstrengenden Marsch lange anstehen und mit den anderen streiten zu müssen oder kein Wasser mehr vorzufinden.
In der Trockenzeit führen viele Flüsse kein Wasser mehr. Die Menschen graben dann Löcher in das Flussbett, in denen Wasser zusammenläuft, das sie heraus- schöpfen. Hat das vor ihnen schon jemand gründlich erledigt, braucht es einige Stunden, bis sich wieder Wasser gesammelt hat. „Ich musste es dann mühsam mit der Kalebasse herausschöpfen oder weitere Stunden zur nächsten Wasserstelle laufen.“ Auch ist das Wasser in diesen Löchern schmutzig, unter anderem weil sich wilde und domestizierte Tiere auch an ihnen bedienen. Das führt zu Problemen mit Darmwürmern oder zu Krankheiten wie der Amöbenruhr. „Besonders die Kinder litten häufig an Durchfall.“ Kinder trinken, wenn sie Durst haben und Wasser vorfinden, egal wie schmutzig es ist. Aber auch Agnes Irima konnte das Wasser nicht immer abkochen. Wenn sie und die anderen Frauen nach einigen Stunden Fußmarsch an eine Wasserstelle kamen, stürzten sie sich durstig auf das Wasser.
Das Schlimmste aber waren die Sorge und die ständige Anspannung. Wenn Wasser keine Selbstverständlichkeit ist, beschäftigt es einen vierundzwanzig Stunden an sieben Tagen in der Woche. „Ich hatte nachts Albträume, dass ich keines finde“, fährt sie nach einer kurzen Pause fort. „Was wäre dann mit den Kindern geworden?“ Aber auch wenn sie Wasser vorfand: Mehr als dreißig Liter lassen sich über den langen Weg nicht transportieren. Damit musste die vielköpfige Familie einen Tag auskommen. Das Waschen von Geschirr und Wäsche inklusive. „Ich wusste deshalb immer ganz genau, wie viele Becher Wasser in dem gelben Kanister sind.“ Das weiß sie allerdings auch heute noch. Obwohl das Wasser aus dem Hahn am Dorfrand sprudelt, ist es immer noch knapp. Zwar genügen nur wenige Tage Regen, um den großen Tank zu füllen. Aber erst jetzt konnte der Anglikanische Entwicklungsdienst, der das System gebaut hat, zwei weitere Tanks für das Dorf fertigstellen.
Täglich die doppelte Menge
„Wir gehen davon aus, dass sich in der nächsten Regenzeit ausreichend Wasser sammelt - auch wenn es wieder nur wenige Tage regnet“, erklärt eine Mitarbeiterin des Entwicklungsdienstes, der von Brot für die Welt aus Deutschland unterstützt wird. Agnes Irimas Familie steht nun selbst in Zeiten großer Dürre täglich die doppelte Menge Wasser zur Verfügung. Mit diesen sechzig Litern füllt man in Mitteleuropa zwar nicht einmal eine halbe Badewanne. Hier aber erleichtern sie einer ganzen Familie das Leben.
Mit ähnlich einfachen Mitteln schützt der Entwicklungsdienst der Anglikanischen Kirche auch die Landwirtschaft der Menschen: Auf der Fahrt zur Gemeinde Ngariama, dicht am Nationalpark Mount Kenya, ziehen die gleichen Bilder vorbei: vertrocknete Felder, staubige Pisten, Menschen mit gelben Kanistern. Auch Felder mit Kat sind zu sehen. Viele Kleinbauern bauen aus purer Not die Kaudroge an, weil sie zur Trockenzeit gut wächst und Geld bringt. Händler fahren mit schnellen Autos übers Land, zahlen bar für einen Sack voller Blätter und brausen wieder ab nach Nairobi, von wo aus das Kat nach Somalia oder bis nach Europa transportiert wird. In der Regenzeit aber werfen die Büsche der Kat-Pflanze nichts ab. Viele Kleinbauern und ihre Familien sind zudem selbst ihre besten Abnehmer.
Die Schule von Ngariama besteht aus halb fertigen Gebäuden. Der Direktor zeigt auf dem Hof ein Bohrloch. Eigentlich wollte man hier in zwanzig Metern Tiefe auf Wasser stoßen. Doch der Grundwasserspiegel ist zu stark gefallen. „Um weiter zu bohren, fehlt uns das Geld“, sagt er. Also müssen die Schüler jeden Morgen eine Flasche Wasser mitbringen, um die Baumsetzlinge zu bewässern, die kürzlich gepflanzt wurden. Auf dem Gelände wächst bislang kein einziger Baum. Also gibt es nirgendwo Schatten. Trinkwasser muss die Schule bei Händlern kaufen. Jeder Schüler muss mit einem Becher pro Tag auskommen. Die Gegend um Ngariama war vor einer Dekade noch Buschland. Dann hat die Regierung hier Parzellen an landlose Tagelöhner vergeben. Für die Menschen ein großes Glück. Doch die Infrastruktur ist dürftig.
Timothy Muriduki Karaye ist mit seiner Familie vor sieben Jahren hierher gezogen. „Endlich ein eigenes Stück Land.“ Der 42-Jährige zeigt stolz seinen kleinen Garten, wo Kohl, Spinat, Erbsen, Sorghum, Bananen und Mangos wachsen. Das meiste verbraucht die Familie selbst. Wie gut, dass es den Garten gibt, denn das Maisfeld ist in diesem Jahr vertrocknet. Eine Bewässerung würde die Kapazitäten in den Parzellen in Ngariama sprengen. Auch der Garten muss fast täglich bewässert werden, braucht aber weniger Wasser. Zur Wasserstelle fährt Timothy viele Kilometer mit dem Eselskarren. „Das Wasser wird immer knapper“, sagt er sorgenvoll. Umso wichtiger sei der sparsame Umgang damit.
Timothy Muriduki Karaye konnte mit Unterstützung eine Tropfbewässerung anschaffen. Mit der Gießkanne hat er pro Tag vierhundert Liter Wasser benötigt, um den Garten zu bewässern. Jetzt sind es nur noch 140. Er füllt abends den Tank auf, der auf Stelzen steht. Das Wasser tröpfelt dann die ganze Nacht aus den kleinen Löchern der Schläuche direkt auf die Pflanzen. „Die wachsen seitdem sehr gut - trotz der Dürre.“ Die Tropfbewässerung hat umgerechnet knapp einhundert Euro gekostet. Es gibt also einfache Lösungen, um die Menschen vor den katastrophalen Folgen der Dürre zu schützen. Man muss sie nur umsetzen ...
Klaus Sieg (Text) / Jörg Böthling (Fotos)