Wut ohne Hass

Wie man Nationalisten und Populisten begegnet
US-Präsident Donald Trump polarisiert weltweit. Foto: dpa/ Eric S. Lesser
US-Präsident Donald Trump polarisiert weltweit. Foto: dpa/ Eric S. Lesser
Seit gut zwei Monaten amtiert Donald Trump als US-Präsident. Er und andere Nationalisten irritieren und ängstigen viele. Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der EKD, plädiert für einen neuen politischen und theologischen Begriff von „Feindschaft“.

Es ist etwas geschehen, das kaum zu verstehen und nicht zu verzeihen ist: ein Zivilisationsbruch. Hier wurde etwas zerstört: ein Konsens über die Demokratie, ihre Grundregeln und wichtigsten Institutionen, ein Einverständnis über eine offene Gesellschaft, ein Gefühl für Anstand und Respekt. Auch wenn die Vereinigten Staaten schon lange unter gravierenden politischen Problemen litten, standen sie immer noch für Freiheit und Fairness, Demokratie und Sportsgeist, Fortschritt und Humor, Gleichberechtigung und Coolness. Dieses Bild ist zerbrochen, seitdem Donald Trump seine Präsidentschaft angetreten hat. Wie konnte es dazu kommen?

Zur Begründung wurde vor allem auf den Abstieg der weißen Mittelschichten hingewiesen. Ein globalisierter Kapitalismus hat die gesellschaftlichen Grundlagen, auf denen er selbst ruhte, zerstört. Ein rücksichtsloses Profitdenken, ein epochaler Verlust einstmals sicherer Arbeitsplätze, eine Privatisierung vieler öffentlicher Bereiche und eine Kommerzialisierung fast des gesamten Lebens - das sind Stichworte, die anzeigen, welch zerstörerische Kraft eine freie Marktwirtschaft entfalten kann, wenn sie keinen starken rechts- und sozialstaatlichen Rahmen besitzt.

Angst soll man ernst nehmen. Das ist aber nicht leicht. Denn anders als konkrete Sorgen, auf die man direkt reagieren kann, sind Ängste zu unbestimmt, als dass man ihre Ursachen mit bestimmten Aktionen beheben könnte. Problematisch ist die Rede von den Ängsten, die man ernst nehmen soll zudem, weil sie der politischen Analyse etwas unangenehm Therapeutisches geben - so, als hätten die Wähler des neuen Präsidenten ein psychisches Problem, von dem sie geheilt werden müssten. So nimmt man der Auseinandersetzung die angemessene Schärfe.

Es geht ja auch gar nicht vorrangig und allein um Angst. Es geht vor allem auch um Wut: Wut auf die Verhältnisse, Wut auf die Verantwortungsträger, Wut auf die Reichen, die die Früchte der Globalisierung ernten und die Kosten der Allgemeinheit überlassen, Wut aber auch auf diejenigen, die etwas anderes darstellen. Dieses Andere kann eine dunklere Hautfarbe, eine fremde Nationalität, eine abweichende religiöse Position oder sexuelle Orientierung sein.

Kein Appeasement

Diese Wut auf die anderen, die oft die noch Ärmeren sind, mag irritieren, ist aber leicht zu erklären. Wer meint, nichts zu haben, will wenigstens eine Identität besitzen. Da es anspruchsvoll ist, seine Identität positiv zu bestimmen, ist es attraktiver, dies negativ zu tun. Dazu muss man nur eine Gruppe finden, von der man sich abgrenzen kann, indem man sie als fremd etikettiert und der allgemeinen Verachtung preisgibt.

Es ist ein Grundbedürfnis, dass es Menschen geben muss, die noch unter einem stehen. So kann man sich am besten vor Beschämung schützen und ein Mindestmaß an Selbstachtung retten. Der tief verwurzelte Rassismus in Nord-amerika hält hierfür mancherlei bereit. Es ist also kein Selbstwiderspruch, dass perspektivlose Menschen aus der Provinz einen Multimilliardär aus New York gewählt haben, nur weil dieser so rabiat ihre Wut bedient. Das entspricht ihren Interessen - nicht ihren politischen und wirtschaftlichen, wohl aber dem, was sie für ihre emotionalen Interessen halten. Die Vereinigten Staaten liegen auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans, sind in vielem eine fremde Welt. Doch einige Entwicklungen dort lassen sich ebenfalls in Deutschland beobachten. Auch hier gibt es Veränderungsverlierer, abgehängte Landesteile, Bevölkerungsschichten ohne Perspektiven, Zorn über das Versagen von Verantwortungsträgern, Abstiegsängste, Orientierungsverluste und ganz reale Erfahrungen des Terrorismus - und deshalb sehr viel Wut und Hass. Auch hierzulande werden mit der Doppelstrategie „Abschottung nach außen - Spaltung im Innern“ Wahlerfolge erzielt. Die offene Gesellschaft, die dem aufgeklärten Bürger und Christen am Herzen liegt, wird angegriffen, verliert aber auch selbst an Überzeugungskraft.

Was lange als unbestreitbares Erfolgsmodell westlicher Fortschrittsgeschichte galt, steht plötzlich in Frage. Große Hilfe ist von der transatlantischen Schutzmacht nicht zu erwarten. Wir müssen in Deutschland also unsere demokratische Grundordnung selbst verteidigen. Und was wäre dafür zu tun?

Ein erster Schritt besteht darin, das Wort „Feind“ neu zu buchstabieren. Wir brauchen einen politischen und theologischen Begriff von „Feindschaft“. Das klingt ungewöhnlich, besonders wenn es von einem Theologen kommt. Freunde der offenen Gesellschaft und aufgeklärte Christen haben eine Meisterschaft im Brückenbauen entwickelt: In Dialogen werden fremde Menschen in Beziehung zueinander gesetzt, Konflikte werden durch Moderation entschärft, Interessengegensätze in Konsense verwandelt. Das ist eine hohe Kunst. Aber sie stößt an Grenzen, wenn sie es mit Feinden zu tun bekommt. Und diese gibt es. Man muss es nüchtern feststellen: Die offene Gesellschaft hat Feinde. Ein Feind ist zu unterscheiden vom Gegner. Der Gegner bewegt sich im selben Rahmen, gehört zum gleichen System, teilt viele Grundüberzeugungen. Vieles sieht er anders und will es anders haben. Er ist ein Konkurrent, mit dem man sich streiten muss, manchmal mit Wut, vor allem aber mit besseren Argumenten. Natürlich möchte man den Gegner stets besiegen. Da dies jedoch nicht möglich ist, wird man lernen müssen, dessen Siege zu akzeptieren oder einen Kompromiss mit ihm auszuhandeln.

Der Feind aber ist mehr und etwas anderes als ein Gegner: Er hasst uns und unsere politische Kultur, teilt unsere Grundvorstellungen nicht, will ein anderes System. Deshalb beschränkt er sich nicht darauf, an den herrschenden Verhältnissen und Kräften eine präzise und konstruktive Kritik zu üben, sondern versucht, ihnen die Legitimität abzusprechen. Denn der Feind will diese Gesellschaft abschaffen und durch etwas anderes ersetzen. Seine Waffe ist dabei nicht das Argument, sondern die Gewalt: die kommunikative, psychische oder körperliche Gewalt. Deshalb muss man mit ihm anders streiten als mit dem Gegner: Er darf keinen noch so kleinen Anteil an der Macht erhalten, sein Sieg ist unter allen Umständen zu verhindern, Kompromisse sind mit ihm nicht erlaubt. Es darf kein Appeasement geben. Man darf nicht vor dem Feind zurückweichen. Man muss ihm widerstehen.

Einen Fehler darf man dabei allerdings nicht begehen: Man sollte den Feind nicht hassen, dessen Hass nicht mit Gegen-Hass beantworten. Denn der Hass ist ebenso wie die Wut kein hilfreicher Gedanke, sondern nur ein heißes Gefühl, das sich leicht manipulieren lässt. Vor allem macht der Hass abhängig von dem, den man hasst. Er lässt einen am Bösen anhaften. Gebannt verfolgt man dann die öffentlichen Auftritte seines Feindes, konsumiert seine Propaganda, starrt auf seine Erfolge, lässt sich von seinem Terror in den Bann schlagen - und nicht selten wird man ihm dabei ähnlicher, als einem lieb sein kann. Man kann dies bei einigen antifaschistischen Aktivisten beobachten.

So unerfreulich es klingt: Hass stiftet nicht selten eine festere Bindung als Liebe. Wer seinen Feind nicht hasst, sondern emotional Distanz zu ihm hält, ist besser in der Lage, das zu tun, was notwendig ist, nämlich: die eigenen Schwächen ehrlich zu analysieren, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen, ein positives Ziel zu beschreiben, neue Strategien zu entwickeln, umsichtig ihre Vor- und Nachteile zu prüfen, sich verlässliche Verbündete zu suchen und dann mit ruhiger Hand dem Feind Widerstand zu leisten, ohne ihm ähnlich zu werden.

Einmalige Chance

Unsere politische Kultur, die offene, freie, demokratische, rechts- und sozialstaatliche Gesellschaft, hat zurzeit nicht nur einen Feind, sondern mehrere. Zu diesen gehören islamistische Terroristen, Religionsdiktaturen wie das sunnitische Saudi-Arabien, aber auch autoritäre Regime wie Putins Russland oder Erdogans Türkei, und nicht zu vergessen rechtsradikale Gruppen. Und nun residiert auch im Weißen Haus ein Feind der offenen Gesellschaft. Der Kampf gegen diese Feinde kann sehr unterschiedliche Formen annehmen: Mit einigen muss man auskommen und verhandeln - das nennt man Diplomatie -, gegen andere muss man sich mit polizeilichen und militärischen Mitteln verteidigen, gegen andere wiederum muss man sich mit einer Mischung aus Diplomatie und Gegengewalt durchsetzen. Aber wehren müssen wir uns. Dafür brauchen wir einen klaren und nüchternen Begriff von Feindschaft.

Das ist ein erster Schritt. Ein zweiter besteht darin, wieder politisch zu werden. Die Zeiten sind vorbei, da die Demokratie sich von allein verteidigt hat. Als Bürger muss man sich heute engagieren. Dazu sollte man sich nur in Erinnerung rufen, was wir allen Krisen zum Trotz an der gegenwärtigen Ordnung in Deutschland und Europa haben: immer noch eine einmalige Chance, in Frieden und Sicherheit zu leben und sich frei zu entfalten. Offenheit und Sicherheit bilden immer noch einen guten Zusammenhang. Das ist ein hohes Gut, das so gar nicht selbstverständlich ist.

Um es zu bewahren, braucht es einen verlässlichen Staat. Die offene Gesellschaft braucht ein vertrauenswürdiges Rechtssystem, eine verlässliche Sicherheitspolitik, eine funktionierende Verwaltung und eine soziale Ordnung. Von seinem Staat kann der Bürger nur etwas fordern, wenn er ihn respektiert. Dazu gehört, dass er von ihm Leistung einfordert, ihn aber nicht mit Erwartungen überfordert. Zudem braucht es Parteien, die die politische Willensbildung organisieren. Sie müssen gestärkt werden. Sie verdienen Interesse, präzise Kritik und Beteiligung. Mehr und geeignetere Menschen müssen sich in ihnen engagieren. Denn der Pool, aus dem die Verantwortungsträger ausgewählt werden, ist zu klein. Auch braucht es unabhängige Qualitätsmedien, um den Bürgern politische Bildung zu vermitteln. Zeitungen und Zeitschriften mit Niveauanspruch sowie öffentlich-rechtliche Medienanstalten sind unverzichtbar. Die sozialen Netzwerke sind viel zu anfällig für Manipulationen, als dass sie sie ersetzen könnten. Schließlich braucht es lebendige Zwischen-Institutionen, die den Raum zwischen dem Staat und dem Privaten gestalten: Vereine, Verbände, Gewerkschaften, verbindliche Netzwerke und auch die Kirchen. Hier können Bürger sich für ihre Belange einsetzen, politische Erfahrungen sammeln, einen Einblick in die Komplexität der Dinge nehmen und die Mühen, aber auch die Freuden der Kompromisssuche erleben. Das ist mehr, als nur im Internet Meinungen von sich zu geben.

Lange war es Mode, sich von allem Institutionellen fern zu halten. Das können wir uns nicht mehr leisten. Denn die offene Gesellschaft ist nicht einfach da. Sie wird gemacht von denen, die in ihr leben wollen und sich in großen und kleinen Institutionen für sie engagieren. Politisch werden, heißt aber auch, sich offener zu streiten. In den vergangenen Jahren wurden die Fronten von links und rechts aufgeweicht. Eine großkoalitionäre Stimmung trat an ihre Stelle. Wichtige Entscheidungen - ob zu Flüchtlingskrise, Sozialstaat, Euro-Rettung, europäischer Integration oder Atomausstieg - wurden nicht erstritten, sondern unauffällig vollzogen oder im akuten Krisenmanagement hektisch erzwungen. Das erweckt einen Eindruck fehlender politischer Legitimation, manchmal sogar des Kontrollverlustes. Deshalb gilt es, sich mehr und besser zu streiten, Interessengegensätze auszuhalten, Wahlmöglichkeiten aufzuzeigen und in der Öffentlichkeit echte Debatten zu führen. Das sollte man gerade bei den Themen Flucht, Migration und Integration tun und zwar ohne Angst. Wie können wir in humanitären Katastrophen helfen, zugleich aber unsere Grenzen behaupten? Wie können wir unsere Sicherheit verteidigen, ohne uns hochaggressiv abzuschotten? Wem wollen wir Aufenthalt gewähren und wem nicht? Darüber lohnt es sich zu streiten - mit Leidenschaft, manchmal mit einer Portion Wut, aber ohne Hass.

Die Qualität einer offenen Gesellschaft zeigt sich darin, solche Debatten offen zu führen. Offenheit ist eben nicht, wie Volksverführer meinen, ein Zeichen von Schwäche. Nur wer starke Prinzipien hat, kann anderen offen begegnen. Er muss es sogar, denn die offene Gesellschaft lebt vom Wandel. Darin ist sie aber nicht bloß progressiv, sondern auch konservativ. Denn, wie jeder gebildete Konservative weiß, leben Traditionen nur, wenn sie sich verändern. Wandlungsfähigkeit ist das Kennzeichen starker Traditionen. Sie können ja nur weiterwirken, wenn sie von den nächsten Generationen angeeignet und für eine neue Gegenwart genutzt werden. Das schönste Beispiel dafür ist die offene Gesellschaft selbst: In sie sind die besten Traditionen der Antike, des Christentums und der Aufklärung eingegangen. Deshalb ist die populistische Doppelstrategie „Abschottung nach außen - Spaltung im Innern“ nicht nur fortschritts-, sondern auch traditionsfeindlich.

Für die offene Gesellschaft sollten wir uns nicht schämen, auch wenn gerade andere Konjunkturen herrschen. Für sie sollten wir kämpfen. Ihren Feinden müssen wir entgegentreten, deren Wählern ein besseres Angebot machen. Manche werden wir nicht erreichen, andere aber schon. Das Christentum kann dafür eine zweifache Inspiration geben. Zum einen weiß es um die Macht der Bosheit: Der Mensch ist gierig und verführbar, von Natur aus keineswegs gut. Zum anderen lehrt das Christentum, die Hoffnung nicht aufzugeben. „Liebe deine Feinde“ - das ist ein hoher Anspruch. Aber man kann sich ihm in kleinen Schritten nähern, zum Beispiel, indem man versucht, aus einem Feind nicht gleich einen Freund, aber immerhin einen Gegner zu machen, mit dem man demokratisch streiten kann. Vielleicht wird aus ihm irgendwann ein Verbündeter. Auch darin steckt ein christlicher Kern der offenen Gesellschaft, nämlich der Glaube an Veränderung, Umkehr und Versöhnung.

Information

Der Text ist eine aktualisierte und gekürzte Fassung des Beitrags „Gegen den Hass - Was das gesellschaftliche Klima vergiftet“ in der Rundfunksendung „Glaubenssachen“ vom 15. Januar 2017 auf NDR Kultur.

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Johann Hinrich Claussen

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