Meisterwerk

Über das Rechtsdenken Luthers
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Dieses Buch ist ein großer und bleibender Beitrag zur historischen Würdigung und Vergegenwärtigung der Reformation.

Bücher können erfreuliche Überraschungen bieten. In diesem Fall beginnt die Überraschung schon beim Preis. Ein tausendseitiges wissenschaftliches Werk wird in edler Leinenausgabe für weniger als 70 Euro und als Broschur sogar für weniger als 30 Euro angeboten. Überraschungsreich ist aber vor allem sein Inhalt. Der Tübinger Rechtsgelehrte Martin Heckel bündelt eine lebenslange Beschäftigung mit dem Rechtsdenken Luthers wie mit den rechtlichen Voraussetzungen und Wirkungen der Reformation in einer packenden, kraftvoll geschriebenen Darstellung.

Heckel sieht in der Reformation ein großes rechtsgeschichtliches Ereignis. Besonders anschaulich zeigt sich das daran, dass die Reformation nur deshalb ihren Gang nehmen konnte, weil die ihr vorausgehende Reichsreform Kaiser Maximilians die Rechte des Kaisers zu Gunsten der Reichsstände eingeschränkt hatte. Wegen dieser Verschiebung lief der Versuch Kaiser Karls V., den päpstlichen Bann 1521 auf dem Wege der Reichsacht durchzusetzen, ins Leere.

Doch das starke Gewicht, das Heckel auf die rechtliche Seite der Reformation legt, ändert nichts daran, dass er sie als zentrales theologisches Geschehen begreift. Auch dafür muss ein Beispiel genügen. Mit erfrischender Klarheit arbeitet Heckel den ursprünglichen Sinn von Luthers Anschauungen über das Verhältnis zwischen Gottes Reich und dem Reich der Welt sowie der damit verbundenen Unterscheidung zwischen geistlichem und weltlichem Regiment heraus. Gegenüber verkürzenden Darstellungen, die Luthers so genannte „Zwei-Reiche-Lehre“ nur als Unterscheidungslehre begreifen, arbeitet Heckel in exemplarischer Anknüpfung an die Bergpredigt-Auslegung des Reformators die Zuordnung der Reiche und Regimente als entscheidende Pointe heraus. Denn die Verkündigung des Evangeliums als Kern des geistlichen Regiments soll die Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit erreichen und die weltliche Gewalt soll den Frieden aufrechterhalten, damit Raum für die freie Weitergabe des Evangeliums entstehe.

Zugleich beachtet der Verfasser die kontingenten historischen Gegebenheiten und Entwicklungen dieser Zeit. Sie beeinflussten die Haltungen und Aussagen der Reformatoren tiefgreifend, bisweilen auch in verhängnisvoller Weise. Ohne die detaillierte Kenntnis der geschichtlichen Bedingungen lassen sich die Schärfen der Auseinandersetzung wie auch Inkonsistenzen und Fehlentwicklungen theologischer Art nicht verstehen. Nicht nur an Luthers Aussagen zu den aufrührerischen Bauern und zu den Juden, sondern noch grundsätzlicher an seinem Umgang mit der staatlichen Toleranzpflicht macht Heckel das deutlich. Denn zunächst verweigert der Theologe Luther dem Staat in klarer Weise das Recht, über Irrlehren zu urteilen, und verpflichtet ihn somit zur Toleranz, solange sich die Irrlehrer an die Rechts- und Friedensordnung halten. In seinen Äußerungen zu den Dissentern der Reformation verstößt Luther jedoch gegen diese Toleranz, weil er falsche, von ihm „schwärmerisch“ genannte Auffassungen über die Umwandlung der politischen Ordnung in einem verfehlten Glaubensverständnis begründet sieht. Er fordert deshalb den Staat dazu auf, gegen dieses Glaubensverständnis als solches vorzugehen; die Grenze, die er zuvor dem staatlichen Handeln gezogen hatte, hebt er damit selbst wieder auf.

Der Autor hat sein Forscherleben nicht nur der staatlichen wie kirchlichen Rechtsgeschichte, sondern ebenso dem geltenden staatlichen wie kirchlichen Recht gewidmet. Er zieht deshalb auch klare Schlüsse für die Gegenwart. Dabei wird seine persönliche Haltung erkennbar, ohne Ausschließlichkeit zu beanspruchen.

Heckels Werk verhilft seiner Leserschaft dazu, zwischen dem bleibend Wichtigen und dem Zeitgebundenen in Luthers Denken zu unterscheiden. Gerade dadurch ist dieses Buch ein großer und bleibender Beitrag zur historischen Würdigung und Vergegenwärtigung der Reformation. In einer Zeit, in der die einen die Reformation theologiefern „historisieren“ während andere sie geschichtsfern „theologisieren“, zeigt dieses Meisterwerk, dass historisches Verständnis und theologische Tiefenschärfe einander nicht konterkarieren. Sie können sich vielmehr zu einem Gesamtbild verbinden. Für das Reformationsjubiläum ist ein solches Gesamtbild unentbehrlich.

Wolfgang Huber

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