Auf die Tiara gekackt

Über die drastische Bildpolemik zur Zeit der Reformation
David de Negker: Spottblatt auf die katholische Geistlichkeit (um 1545/1559). Foto: Kunstsammlungen der Veste Coburg
David de Negker: Spottblatt auf die katholische Geistlichkeit (um 1545/1559). Foto: Kunstsammlungen der Veste Coburg
In der Zeit der Reformation wurde auf dem Gebiet der Propaganda mit harten Bandagen gekämpft. Dazu gehörten auch Bilder und Karikaturen, die den Gegner in Glaubensdingen schmähten. Neben Kritik am Papsttum attackierten sich die Protestanten auch gegenseitig. Klaus Weschenfelder, Direktor der Kunstsammlung Veste Coburg, stellt das Genre und einige Werke vor.

Mit einem „Schmähgedicht“ erregte unlängst ein deutscher Fernsehkabarettist erhebliches Aufsehen, weil der Geschmähte in einigen Beleidigungen analen, fäkalen und sexuellen Inhalts, sowie in Unterstellungen perverser Gewalt den satirischen Charakter des Vortrags nicht erkennen wollte und sich als in seiner Würde verletzt erklärte.

Auch zur Bildpolemik gehören derartige Konnotationen wegen ihrer unfehlbaren Wirkung, und das nicht erst seit jüngster Zeit. Es war die Epoche der Reformation mit ihren Glaubenskämpfen, die Wesentliches zur Ausformulierung des satirischen Bildes beigetragen hat.

Begünstigt wurde diese Form der Auseinandersetzung mit religiös Andersdenkenden durch das neue Medium der Druckgraphik, die, was ihre Verbreitungsgeschwindigkeit und oft auch ihre Anonymität betrifft, für die damalige Zeit so etwas war wie heute das Internet. Für illustrierte Flugblätter nimmt man Auflagen von 1.000 bis 2.000 Exemplaren an, dann war die Druckkapazität von Kupferstichplatten erschöpft. Aber Flugblätter mit Holzschnittillustrationen, die zusammen mit den Lettern gedruckt werden konnten, machten weitaus höhere Auflagen möglich.

Alles begann durchaus moderat und vor allem lehrhaft: Luthers erster Bibeldruck, das „Septembertestament“ von 1521, erschien in einer Erstauflage von etwa 3.000 Exemplaren und enthielt mit Cranachs Illustration zur Offenbarung des Johannes eine offenkundige Kritik am Papsttum. Das bei der Vermessung des Tempels auftauchende Tier aus dem Untergrund trug die Tiara und kennzeichnete den Papst als den Antichrist. Das Bild wurde vom sächsischen Herzog Georg dem Bärtigen gegenüber Luthers Schirmherrn Kurfürst Friedrich I. als Angriff auf die Autorität der römischen Kirche beanstandet und war schon in der zweiten Auflage, dem im Winter erschienenen „Dezembertestament“ entschärft worden. Auch Luthers „Passional Christi und Antichristi“ von 1521 mit 26 Holzschnittillustrationen Cranachs blieb in der didaktischen Gegenüberstellung vom Vorbild Christi und dem Verhalten des Papstes ohne polemische Schärfe.

Dergleichen Lehrhaftigkeit verlor sich aber bald. In der Beschreibung der „Grewlichen Figuren des Papstesels und des Mönchskalbs“ (1523) charakterisierten Luther und Melanchthon in satirischer Überspitzung die negativen Eigenschaften von Papstkirche und Mönchtum. Ihren Text ließen sie von Lucas Cranachs Werkstatt mit zwei „Freaks“ bebildern, deren körperliche Deformationen die Missstände der Kirche bezeichnen sollten: Der Eselskopf etwa passe so wenig auf den geschuppten Frauenkörper, wie der Papst als Haupt der Kirche. Und das Mönchskalb trete in der Geste des Predigers auf, die herausgestreckte Zunge erweise aber seine Rede als Geschwätz.

Zoten und Fäkalien

Mit monströsen Bildern war das Pub-likum durch die einschlägigen Mirakel-Darstellungen vertraut, und der Vergleich von Menschen mit Tieren war aus den Illustrationen zu spätmittelalterlichen Fabeln geläufig. Für die Fabel hegten die Reformatoren wegen ihrer didaktischen Qualitäten eine besondere Vorliebe. Melanchthon schätzte sie im Unterricht, Luther verfasste eigene Fabeln und übersetzte solche von Äsop. „Verschlagene Füchse“ oder „Wölfe im Schafspelz“ bevölkerten denn auch bald als eindeutig identifizierbares Personal der Papstkirche die reformatorische Bildsatire.

Dabei aber blieb es nicht: Schnell erweiterte sich im Kampf um den richtigen“Glauben das bildliche Vokabular und ließ den Willen zur Verunglimpfung und Beleidigung erkennen. Verwünschungen, Zoten und Fäkalien kamen ins Spiel. Ziele waren der Papst, die Protagonisten seiner Kirche und das Mönchtum ganz allgemein. Spätmittelalterliche Bildformeln, wie etwa der Einzug der Kirchenfürsten in die Hölle, wurden aufgegriffen und ins Vulgäre überführt. Eine um 1550 entstandene drastische Bildsatire des in Augsburg tätigen Formschneider David de Negker zeigt die Einfahrt des Papstes in den Rachen des Teufels. Der hockt auf einem Ablassbrief, und ein Bein steckt in einem Weihwasserkessel. In seinem Maul sitzen Mönch und Nonne bereits zu Tisch, während der Papst dieser frivolen Gesellschaft von einem Höllenwesen mit besonderer Antriebskraft zugeführt wird.

Einen Höhepunkt erreichte die polemische Auseinandersetzung in Bildern, als die Glaubensfragen nach dem Scheitern des Augsburger Reichtags und der Gründung des Schmalkaldischen Bundes zu einem politisch-militärischen Konflikt geworden waren. Luthers kongenialer Bildlieferant, die Wittenberger Cranachwerkstatt, steuerte die Abbildungen bei zu seiner 1545 unter dem Titel „Abbildung des Bapstum“ erschienenen Sammlung von Holzschnitten mit drastischen Versen. Auf einem Blatt lässt ein Bauer seine Winde gegen den Papstthron fahren, auf einem anderen kacken Bauern in die Tiara. Ebenfalls zur Cranachwerkstatt gehörte ein Meister mit den Initialen BP, der 1538 den Holzschnitt zu einem Flugblatt mit dem satirischen Papstwappen angefertigt hat. Der Papst wird als Komplize des Judas dargestellt. Der Text in Form einer Gerichtsszene wirft dem Papst Geldgier und Missbrauch des geistlichen Amtes vor. Die beiden Protagonisten baumeln am Strick. Während Judas sich selbst gerichtet hat, soll der gehenkte Papst den Vollzug eines Todesurteils an sich vorwegnehmen.

In einem Flugblatt aus dem Jahr 1569, das sich gegen den 1534 gegründeten Jesuitenorden wendete, wohnen Papst und katholischer Klerus der Kopulation von Hund und Schwein bei, aus der kleine Schweinehunde hervorgehen, die wiederum die Lehre der „Suiten“ (=Jesuiten) in die Welt tragen. In einer solchen Darstellung scheinen sich metaphorische Elemente der Fabelillustration mit anthropologischen Mustern der Schmähung zu kreuzen. Zu ihren hässlichsten bildlichen Ausprägungen gehört die „Judensau“, die als Skulptur an spätmittelalterlichen Bauten, wie beispielsweise der Wittenberger Stadtpfarrkirche (siehe Seite 44) zu sehen war und auch in gedruckter Form Verbreitung fand. Auch Schmähbriefe und Schandbilder jener Zeit, mit deren Hilfe außergerichtlich, öffentliche Rechtsverstöße angeprangert werden sollten, bedienten sich gelegentlich der Darstellung von Schweinen, um ehrverletzend zu wirken.

Wenn auch dem Bild im Flugblatt eine herausragende Rolle zukam, so überließ man gleichwohl die Botschaft nicht dem Bild allein. Flugblätter, nicht nur die im Glaubensstreit entstandenen, bedienten sich zumeist ausführlicher Erläuterungen. Komplexe theologische oder kirchenpolitische Kommentare begleiteten die Bilder. Ihre Autoren setzten auf die Lesefähigkeit des Publikums, wenngleich damit zu rechnen ist, dass die an öffentlich zugänglichen Ort angeschlagenen Flugblätter auch vorgelesen wurden und zum gemeinsamen Hohngelächter Anlass bieten sollten. Das Bild diente als eine Art schnell zu begreifende Zusammenfassung des Textes. Bezeichnenderweise wurden die Sebald und Barthel Beham, die „gottlosen Maler von Nürnberg“, im Januar 1525 nicht wegen ihrer kirchenkritischen Bilder vor den Rat der Stadt zitiert und verhört, sondern wegen ihrer gottlosen Reden. Wie reagierten die Papstkirche und die kaiserliche oder reichsstädtische Obrigkeit darauf? Schlug das Imperium zurück? Die häufigste Reaktion bestand in der Zensur, deren Erfolg aber Grenzen hatte. Flugblätter breiteten sich enorm schnell aus. Von jedem Blatt wurden hunderte von Abzügen in Umlauf gebracht. Darüber hinaus konnte, lange vor der Durchsetzung eines Urheberrechtsschutzes, jede erfolgreiche Darstellung in Windeseile an anderen Orten kopiert werden. Nicht zuletzt verlor die Zensur in den Territorien der evangelischen Fürsten und Reichsstädte nach und nach an Wirksamkeit.

Selbst unter den Augen von Kaiser Ferdinand I. in Wien wurden papstkritische Bilder vertrieben. Ein Holzschnitt von Hanns Lautensack zeigte das Gleichnis vom armen Lazarus (Luther) und dem reichen Prasser (Papst). Der arme Lazarus, so erzählt das Bild, erhält nichts vom Tisch des reichen Prassers. Welches Los aber den Prasser-Papst am Ende trifft, ist im Hintergrund zu sehen: Er brennt im Höllenfeuer, dagegen wird die Seele des Lazarus in Abrahams Schoß aufgenommen. Noch im Jahr der Entstehung des Holzschnittes tauchte eine Kupferstichkopie des Nürnbergers Andreas Obermayr in Wien auf, wo das Blatt von mehreren Händlern vertrieben wurde. Einige von ihnen wurden 1558 verhört und bestraft. Auch Lautensack wurde in Nürnberg befragt. Er redete sich darauf hinaus, die Zeichnung aus ganz persönlichen Motiven angefertigt zu haben, ohne jemanden beleidigen zu wollen. Ein anderer habe die Zeichnung im Holz geschnitten, er habe für sich zu Geschenkzwecken 200 Abzüge gemacht, dann sei der Holzstock zerbrochen.

Nur anfangs und ganz vereinzelt gab es Autoren, die es den Verfassern gegen die Papstkirche gerichteter polemischer Texte und Bilder mit gleicher, bildsatirischer Münze heimzahlten. Dazu gehörten die Humanisten und Theologen Thomas Murner (1475-1537) und Johannes Cochläus (1479-1552). Murner war selbst reformatorisch gesinnt, stellte aber die Papstkirche nicht in Frage und geriet deshalb in Gegensatz zu Luther. Seit 1520 verfasste er vier mehr oder weniger polemische Schriften gegen Luther, darunter 1522 sein in Versform gehaltenes satirisches Meisterwerk „Von dem großen lutherischen Narren“, auf dessen Titelblatt der Kater Mur(r)ner den lutherischen Narren besiegt. Pointierter noch als Murners schnurrender Kampfkater charakterisierte Hans Brosamers Titelholzschnitt zu Johannes Cochlaeus’ Schrift den Reformator in Analogie zum siebenköpfigen Tier der Apokalypse als Person von unberechenbarer Charaktervielfalt, als Mönch, Heiligen, Schwärmer, tölpelhaften Visitierer und gewaltbereiten Barabas.

Erst mit Beginn der Gegenreformation gewann auch die antireformatorische Bildpropaganda an Boden, blieb aber sowohl an Umfang und Schärfe hinter derjenigen der Reformation zurück. Sie konzentrierte sich in erster Linie auf Luther, dem sie Unaufrichtigkeit vorwarf oder einfach nur Fress- und Sauflust unterstellte. So der sehr erfolgreiche Stich des 1620 nach der Niederlage der Protestanten in der Schlacht am Weißen Berg zwangsweise aus Böhmen auswandernden dickbäuchigen Reformators.

Luthers Fresslust

Was aber die Gegenreformation in der Bildpropaganda nur mit Mühe zustande brachte, schaffte das eigene Lager: Die Verächtlichmachung von Weggefährten. Noch zu Luthers Lebzeiten hatte sich die Reformation in verschiedene Richtungen aufgespalten. Nach seinem Tod bot der Streit um die richtige Nachfolge des Reformators Anlass zu spöttischen oder hämischen bildlichen Darstellungen. Das Flugblatt „Anatomia M. Lutheri“ von 1568 beschreibt die protestantische Uneinigkeit nach dem Tode des Reformators mit der Metapher der anatomischen Sektion. Um den Seziertisch stehen die Reformatoren, die danach trachten, Teile von Luthers Körper zu entfernen oder zu zerstören. Mehrere Personen werden im Begleittext bezeichnet. Calvin sticht Luther ins Herz, Melanchthon schaut zu. Wenn man bedenkt, dass die Sektion bis 1557 von der Papstkirche generell verboten - Ausnahmen bestätigten die Regel - und danach nur an den Leichen von Verbrechern und Selbstmördern geduldet war, kann man das Tabu ermessen, an das die Darstellung rührt.

Der Wille zur Herabwürdigung des Gegners und die Bereitschaft zum Tabubruch gehörten ebenso zu den Voraussetzungen der Bildpolemik der Reformationszeit wie die technischen Möglichkeiten und künstlerischen Fähigkeiten, diese Intentionen im Massenmedium Flugblatt und Flugschrift umzusetzen.

In einer Zeit, als Luther sich in seiner Vorlesung über den Prediger Salomo über die Toleranz in weltlichen Dingen äußerte, entfaltete gerade die reformatorische Propaganda mit Bildern eine Polemik, die in Umfang, Erfindungsreichtum und Schärfe bis dahin unbekannt war. Sie hat der modernen Bildsatire den Boden bereitet.

Klaus Weschenfelder

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