Recht auf Fakten

Fragwürdige EKD-Statistik in Sachen Kirchenaustritte
Die EKD vermeldet freudig, dass 2015 die evangelischen Kirchenaustritte um 22 Prozent zurückgegangen sind. Aber woher weiß sie das?

Chuzpe ist ein Wort, das laut Lexikon aus dem jiddischen stammt. Es ist abgeleitet vom hebräisch chuzpà, das für „Frechheit, Anmaßung, Dreistigkeit, Unverschämtheit“ steht.

Ganz so negativ wird der Begriff im heutigen Gebrauch nicht mehr verstanden: „Im Jiddischen und in den meisten europäischen Sprachen schwingt Anerkennung für eine Form sozialer Unerschrockenheit mit. Hier spricht man insbesondere von Chuzpe, wenn jemand in einer eigentlich verlorenen Situation mit Dreistigkeit noch etwas für sich herauszuschlagen versucht.“ - soweit Wikipedia.

Anerkennung für diese Art gewisser Dreistigkeit gebührt der EKD, die im tiefsten Sommerloch in einer Statistikbroschüre die neusten Kirchenaustrittszahlen kommunizierte: „Zahl der Austritte um 22 Prozent gesunken“ lautet die vermeintlich frohe Botschaft in der Überschrift der Pressemitteilung, in der zu lesen war: „Die Zahl der Austritte aus der evangelischen Kirche ging im Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr um rund 22 Prozent auf 210.000 zurück.“

Das klingt erfreulich, denn so einen hohen prozentualen Rückgang der Austrittszahlen innerhalb eines Jahres gab es zuletzt 1996, da waren es sogar knapp 24 Prozent. Wer aber in die Statistikbroschüre 2016 schaut, der ist erstaunt, darin die Zahl von 270.003 Austritten zu finden. Wo steht denn die angeblich um erfreuliche 22 Prozent gesunkene Austrittszahl 210.000? In der neuen Broschüre jedenfalls nicht. Und wenn man die gedruckte Zahl mit der in der Broschüre von 2015 vergleicht, muss man vielmehr feststellen, dass die Austritte um fast 53 Prozent gestiegen sind, nämlich von 176.551 auf eben jene 270.003. Das wäre natürlich keine so schöne Meldung gewesen, und insofern ist es verständlich, dass die EKD-Brochüre in diesem Jahr mit 270.003 Austritten zwar die höchste Zahl seit 1995 verzeichnen muss, in der begleitenden Kommunikation aber lieber vermeldet wird, dass die Zahl angeblich gefallen sei.

Woher aber die Chuzpe, das zu tun? Sie rührt daher, dass in der offiziellen Statistikbroschüre immer nur Zahlen Eingang finden, die fast zwei Jahre alt sind. Das wiederum liegt an dem langwierigen Datenaustausch zwischen den Gliedkirchen und der EKD, der es anscheinend nicht zulässt, die aktuellen Daten des Vorjahres so zeitnah festzustellen, dass sie sechs Monate später vorliegen. Und dass es 2014 (und auch schon 2013) so viele Kirchenaustritte gab, lag in erster Linie an dem neuen Verfahren zum Einzug der Kirchensteuer auf Kapitalerträge. Dass die Austrittszahlen danach auch wieder zurückgehen werden, war ebenfalls zu erwarten (vergleiche zeitzeichen 10/14 und 9/15).

Auf welche statistischen Daten oder Prognosen sich die nun verheißungsfrohe Prognose stützt, dass 2015 die evangelischen Kirchenaustritte um 22 Prozent zurückgegangen sind, ist aus den veröffentlichten Daten der EKD nicht zu entnehmen. Die Verantwortlichen können von Glück sagen, dass dies bisher niemand bemerkt hat und hoffentlich stimmt die als Faktum verkündete Prognose am Ende auch. Auf jeden Fall wäre es dringend nötig, den Datenaustausch zwischen den Landeskirchen und der EKD zu verbessern, sprich zu beschleunigen. Denn mit Dichtung und Wahrheit wird sich die Öffentlichkeit nicht immer abspeisen lassen. Sie will Fakten, und sie hat ein Recht darauf.

Reinhard Mawick

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