Fließende Grenzen

Im Osten gibt es unterschiedliche Jugendfeiern für Konfessionslose
Katholisches Angebot für Konfessionslose: „Feier der Lebenswende“ im Erfurter Dom. Foto: kna
Katholisches Angebot für Konfessionslose: „Feier der Lebenswende“ im Erfurter Dom. Foto: kna
Die in der DDR eingeführte Jugendweihe hat sich gehalten. Doch mittlerweile sind in Ostdeutschland auch andere Riten für konfessionslose Jugendliche entstanden, selbst in den Kirchen. Emilia Handke gibt einen Überblick. Die evangelische Theologin hat über „Religiöse Jugendfeiern zwischen Jugendweihe und Konfirmation“ promoviert.

Wer an einem Frühlingsmontag in einer ostdeutschen Kleinstadt die Lokalzeitung aufschlägt, für den ist die lange Liste der Namen von Jugendlichen unübersehbar, die am Samstag in einem Kulturhaus der Stadt oder einer Schulaula Jugendweihe feierten. Und daneben steht die eher winzige Spalte derer, die in den unterschiedlichen Kirchengemeinden der Region konfirmiert wurden. Die Jugendweihe stellt in Ostdeutschland eben das Ritual einer Mehrheit dar. Und sie besitzt eine andere Öffentlichkeit als Konfirmation und Firmung. Soweit bekannt, könnte man meinen und diesen Artikel gleich wieder aus der Hand legen, weiß man doch, dass sich hier Spätfolgen der repressiven Religionspolitik der DDR zeigen, in der die Jugendweihe in vielen Familien Konfirmation und Firmung als Passageritus ersetzte. Dieser verlor im Zuge der DDR-Sozialisation seine äußere und mancherorts auch seine innere Verbindung zu Christentum und Kirche. Die staatlich forcierte Säkularisierung ist im Laufe der Generationen verinnerlicht und eine Lebenshaltung geworden. Die Jugendweihe bringt in einen Ritus gegossen - auch nach 1989/90 - implizit oder explizit die Überzeugung zum Ausdruck: Wir brauchen keine Religion. Betrachtet man die Teilnahmezahlen jedoch einmal genauer, dann zeigt sich im rituellen Umfeld viel mehr Bewegung als weithin angenommen wird: Zwar ist die Jugendweihe in Ostdeutschland immer noch das am meisten in Anspruch genommene Passageritual: 2014 standen den etwa 30 Prozent der 14-Jährigen, die an der Jugendweihe teilnahmen, etwa 13 Prozent Konfirmandinnen und Konfirmanden und drei Prozent Firmlinge gegenüber. Darüber hinaus entschieden sich ungefähr sechs bis sieben Prozent der Jugendlichen für eine Jugendfeier des Humanistischen Verbandes Deutschlands. Diese Zahlen sind nach meinen eigenen Berechnungen seit etwa zehn Jahren weitgehend stabil geblieben. Allerdings bleiben damit etwa 47 Prozent Jugendliche übrig, die an keiner der klassischen Passagerituale teilnehmen. Und das sieht in den alten Bundesländern nicht wesentlich anders aus: Hier haben im Jahr 2014 etwa 30 Prozent aller 14-Jährigen an der Konfirmation und etwa 24 Prozent an der Firmung teilgenommen. Und auf die Jugendweihe verteilen sich dort weniger als ein Prozent aller 14-Jährigen. Damit bleiben statistisch auch in Westdeutschland mindestens 45 Prozent Jugendliche übrig, die sich weder für Konfirmation und Firmung noch für Jugendweihe und Jugendfeier entschieden haben. Diese weithin anonyme Leerstelle erweist sich allerdings als durchaus produktiv: Neben vermuteten privaten Ritualen, die die Familien selbst kreieren, Reisen und besondere Feste, haben sich verschiedene Angebote freier Redner oder von Sozial-, Natur- und Erlebnispädagogen (Phönix-Zeit, Drachin-Zeit, Artemisia-Mädchenzeit, Flug des Feuervogels) etabliert. Hervorgehoben wird hier wieder stärker der passagäre Aspekt der Rituale. So wird die Schwellenzeit als Nacht alleine in der Natur inszeniert.

Kirchliche Innovationen

Daneben sind in Ostdeutschland aber auch kirchliche Innovationen jenseits von Konfirmation und Firmung entstanden. Denn die Kirche erkannte, dass letztere für konfessionslose Familien aus Ostdeutschland biografisch kaum infrage kommen und insofern keine realistische Alternative zur Jugendweihe darstellen. Der Zusammenhang zwischen der eigenen Sozialisation und der Wahl des Passagerituals lässt sich ziemlich treffend am Vorwort zum neuen Buch zur Geschichte und gegenwärtigen Gestalt von Jugendweihe und Jugendfeier ablesen. Es stammt von der 1968 in Leipzig geborenen Moderatorin, Sängerin und Schauspielerin Inka Bause: „Der wichtigste Tag in meiner Jugend war die Jugendweihe. (...) Ich feierte diesen Tag mitten im real existierenden Sozialismus. Ich beging ihn nicht als ehemaliger Pionier, fdj-ler - nein, ich beging ihn als junges Mädchen, das sich aufgehoben, glücklich und geliebt fühlte ... und nun doch mehr erwachsen. (...) Als ich dann später selber Mutter wurde - Mitte der 90er Jahre -, dachte ich irgendwann darüber nach, ob es auch für meine Tochter so einen wichtigen Tag geben würde, auf der Schwelle zum Erwachsenwerden (...). Wir sind weder katholisch noch evangelisch und gehören auch keiner anderen Konfession an. Eine Alternative zur Jugendfeier gab es für uns nie.“ Beide Kirchen dachten nach 1989/90 über eine Etablierung kirchlicher oder im Gemeinwesen verankerter Alternativen zu Jugendweihe und Jugendfeier nach. 1997 machte sich der damalige Pfarrer und heutige Weihbischof des Bistums Erfurt Reinhard Hauke daran, im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit an einer katholischen Schule in Erfurt eine kirchliche Alternative zur Jugendweihe für konfessionslose Jugendliche zu entwickeln. Genannt wird sie „Feier der Lebenswende“. Zentrale Elemente bilden die Selbstvorstellung der Jugendlichen anhand eines symbolischen Gegenstands ihrer Kindheit, das Entzünden ihrer, mitunter selbstgebastelten Kerze an der Osterkerze der Kirche, der Segen und die Wünsche, die sie für das eigene Leben und den Fortgang der Welt hegen. Etwa ein Jahr lang bereiten sich die Jugendlichen in Kleingruppen in verschiedenen Veranstaltungen wie Gesprächsrunden und diakonische Projekte darauf vor. Von Erfurt aus hat sich diese Idee in allen Bistümern Ostdeutschlands verbreitet, insbesondere an kirchlichen Schulen. In der evangelischen Kirche mahnte man generell eher zur Vorsicht. Einzelne Initiativen wurden auch hier gestartet, konnten sich aber nicht halten. Das hat damit zu tun, dass sie alle gemeindenah angesiedelt waren. Und dort wurde die Spannung zur Konfirmation als zu stark empfunden. Es war innerhalb eines Kirchenkreises mitunter eben schwer plausibel zu machen, weshalb die schwindenden personellen Ressourcen für ein eigenes Angebot neben der Konfirmation investiert werden sollten, bei der sich nur im Ausnahmefall einmal ein Teilnehmer taufen ließ. Außerdem stellte die Investition in ein solches Angebot natürlich auch Anfragen an die Konzeption der Konfirmandenarbeit.

Feier der Schulgemeinschaft

Nach Jahren der Zurückhaltung hat dann die Etablierung solcher Feiern an evangelischen Schulen neue Perspektiven eröffnet. Hier beantwortet sie die Frage, welches Angebot eine christliche Schule der wachsenden Zahl konfessionsloser Schülerinnen und Schülern machen kann, wenn sie einer Teilnahme an der Jugendweihe grundsätzlich kritisch gegenübersteht, die Schülerinnen und Schüler aber nicht bereit sind, sich für eine Teilnahme an der Konfirmation taufen zu lassen. Nicht zuletzt stärken solche Feiern, die bei der Vorbereitung Lebens- und Glaubensfragen der Jugendlichen - Was heißt Erwachsenwerden? Was bedeutet Segen? Was kommt nach dem Tod? - in den Blick nehmen, das Schulprofil, indem sie religiöse Bildungsprozesse in Verbindung mit einem biografisch bedeutsamen Ritual initiieren. Als gemeinsame Feier innerhalb der Schulgemeinschaft, an der Konfirmandinnen, Konfirmanden und Firmlinge mitunter zusätzlich teilnehmen, übernehmen sie zudem eine wichtige Funktion der Jugendweihe und Jugendfeier. Heute gibt es in allen neuen Bundesländern mindestens 36 Initiativen, und gegenwärtig nehmen über 1?000 Jugendliche an einer solchen Feier teil. Das entspricht etwa einem Prozent aller 14-Jährigen. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die Feiern an Schulen für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, wo sie ein gemeinsames Ritual im geschützten Raum der Schulgemeinschaft ermöglichen. Hier zeigt sich, dass Inklusion im Rahmen von Jugendweihe, Konfirmations- und Firmvorbereitung eine große Herausforderung darstellt.

Mut zum Risiko

Auf Seite der evangelischen Kirche ist die Kritik an diesen Feiern, die unterschiedliche Eigennamen wie „Feier der Lebenswende“, „Wunsch- und Segensfeier“, „Segensfeier“, „Take off-Fest“, „Feier des Erwachsenwerdens“, „Wegweiser-Projekt“ oder „Juventusfest“ tragen, noch nicht verstummt. Es wird gefragt, ob man der Konfirmation mit einer „Konfirmation light“ eine gefährliche Konkurrenz an die Seite stellt und sich die Kirche damit ins eigene Fleisch schneidet. Im Rahmen meiner theologischen Promotion über „Religiöse Jugendfeiern zwischen Jugendweihe und Konfirmation“ habe ich in Halle an der Saale Familien untersucht, die an einer solchen Feier teilnahmen. Und es zeigt sich, dass sich in Ostdeutschland trotz aller Bemühungen um eine Öffnung der Konfirmandenarbeit in der Regel nur ein bis zwei Prozent aller 14-Jährigen anlässlich der Konfirmation taufen lassen. Damit wird deutlich, dass die Konfirmation ein höchst voraussetzungsreiches Ritual darstellt, das ohne kirchliche Bezüge innerhalb der Familie kaum gewählt wird. Dies ist der Grund, weshalb in der ostdeutschen Diaspora seit einigen Jahren Wege ausprobiert werden, die die Grenzen der Kirchenmitgliedschaft und - durch eine ökumenische Gestaltung einzelner Initiativen - die Grenzen der konfessionellen Differenzierung partiell überschreiten. Auf eine solche risikobereite Kommunikation des Evangeliums, die religiösen Lern- und Erprobungsräumen eröffnet, wird er angesichts der konfessionslosen Mehrheit die in Ostdeutschland rund 75 Prozent der Bevölkerung immer stärker ankommen.

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Emilia Handke

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Foto: Yvonne Most

Emilia Handke

Dr. Emilia Handke (*1986) leitet als Pastorin das Werk „Kirche im Dialog“ der Nordkirche, hat in diesem Rahmen u.a. die Gründung der Hamburger Ritualagentur st. moment verantwortet und treibt die Idee deutschlandweit voran. Sie ist Lehrbeauftragte für Praktische Theologie.


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