Mutter und Monster

Das Leben besteht nicht nur aus Vergnügen: Life isn’t all beer and skittles, nicht nur Biertrinken und Kegeln. Das wissen die Briten nicht erst angesichts des Brexits. „Meine Prognose lautet, dass der durchschnittliche IQ der Briten in den nächsten 15 Jahren um zehn Punkte fallen wird.“ Das hat, berichtet die Süddeutsche Zeitung, nicht Thilo Sarrazin festgestellt, Deutschlands Spezialist für den Intelligenzquotient von Ausländern, sondern der Mannheimer Alkoholismusforscher Rainer Spanagel. Er spielte auf das Komasaufen, das Bingedrinking, junger Briten an. Aber warum neigen sie dazu?

Fachleute wissen, dass sich Süchte verlagern können. So ist in Großbritannien der Verkauf von Teebeuteln zwischen 2013 und 2015 um 14 Prozent zurückgegangen. Und das liegt an den 16- bis 34-Jährigen! Von ihnen trinken nur 16 Prozent mindestens fünf Tassen täglich. Bei den 55- bis 64-Jährigen tun das dagegen 30 Prozent.

Aber eigentlich, natürlich ist die EU Schuld: Schottland wollte einen Mindestpreis für alkoholische Getränke einführen. Und dann hätte eine Flasche Wein mit zwölf Prozent Alkohol mindestens 6,25 Euro gekostet. Aber Mindestverkaufspreise pro Alkoholeinheit würden den freien Warenverkehr in der EU zu sehr einschränken, befand der Europäische Gerichtshof in Luxemburg, dem Land, das beim Alkoholverbrauch zu den Spitzenreitern Europas gehört.

Steckt hinter dem Urteil Angela Merkel, die – AfD-Pegida aufgepasst! – den IQ christlicher Schotten zugunsten abstinenter Muslime schwächen will? Schließlich hat sie den Brexit mitverursacht, weiß die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Flüchtlingswelle und deutsche Politik trugen dazu bei, dass Großbritannien sich zum Austritt aus der EU entschloss.“ Zwar waren nur England und Wales dafür, im Unterschied zu Schottland, Nordirland und London. Aber der Verfasser des Kommentars ist Jahrgang 1961. Möglicherweise hat er keinen Erdkundeunterricht genossen, sondern ist sachkundegeschädigt. Dafür kennt er sich in der Physik aus und weiß, dass Merkel eine Atombombe entwickelt hat: „Mit ihrem Manhattan-Projekt der Mitmenschlichkeit“ habe sie „Deutschland zur moralischen Supermacht“ aufgerüstet. Noch nie habe eine Physikerin „ein größeres Experiment“ gewagt. Nun ja, viele Physikerinnen hat es auch nicht gegeben. Die Kanzlerin habe ihre Flüchtlingspolitik mit der Wiedervereinigung verglichen, schreibt die faz, aber „die Dimensionen, die hier gesprengt werden, sind noch ganz andere“. Hoffentlich hat die Redaktion genügend Vorräte an Wasser und Knäckebrot angelegt.

Oberhalb des Kommentars „Merkels Manhattan-Projekt“ steht ein Foto des Gemäldes „Krönung Mariens“ aus dem Freiburger Münster. Es zeigt eine Maria, die die Hände zu einer Raute zusammengelegt hat. Das Frauenbild schwankt eben auch bei der FAZ zwischen Mutter und Monster.

Jürgen Wandel

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